Durstfibel
Jeder Weinkellner kehrt täglich sein Innerstes nach außen, indem er den lieben Gästen seinen Geschmackszeugnis vorlegt. In Form der Weinkarte. Nun gibt es hier, ähnlich wie bei den Speisekarten, gehörige Unterschiede. Da wäre die unter Mithilfe des örtlichen Großmarkts langweilige und unsortierte Aufzählung, nach dem Motto „aus jedem Dorf eine Kuh“. Dann das Who is Who-Verzeichnis, auf dem nur globaler Weinadel vertreten ist – oder die Liste der Etikettensammlers, bei der jeder Jahrgang bis zur Reblauskatastrophe vor 150 Jahren gelistet wird. Nicht zu vergessen die orangen Hipsterweincomics, Antischwefelmangas genannt, wo allein das Wort Trinkfluss auf dem Index steht – und man sich auf lange Vorträge des Kollegen über tierische Gerüche und damit verbundene Geschmäcker einlassen muss (der sich dabei meist sanft durch den ondulierten Vollbart streicht).
Im Idealfall aber erkennt man an einer Weinkarte den Herzschlag des Sommeliers (oder der Sommelière). Und das im Einklang mit dem Menü. Nähe spielt eine große Rolle – sowohl auf dem Teller als auch im Glas. Auf der Piazza Navona in Rom trinkt man schließlich auch keinen spanischen Rotwein. Und zu den WinzernumdieEckehatmannun mal die kürzesten Wege – meine besuche ich mit dem Rad, zumindest auf dem Hinweg – und sieht sie nicht nur einmal im Jahr bei der Messe oder auf Bildern im Internet. Gleichzeitig muss eine gute Weinkarte leben und sich verändern, einem im besten Falle wie ein Fortsetzungsroman mit steigender Spannung vorkommen.
Aber eigentlich, so gerne ich die Weinkarten der Kollegen lese, meistens sage ich, wenn ich dann vor ihm oder vor ihr sitze, einfach nur: Schenk doch was ein! Nur das zeigt, wie‘s Herz pocht… Im Idealfall im Gleichklang.