„Firmen wollen Fachkräfte nicht verlieren“
Warum der Arbeitsmarkt robuster ist und Trump für Unsicherheit sorgt, erklärt IfW-Chef Felbermayr
Die Verspätung ist ihm unangenehm. Der Taxifahrer von Gabriel Felbermayr war auf der Fahrt in unsere Berliner Redaktion in einen Unfall verwickelt. Doch der dynamische Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft holt die verlorene Zeit schnell auf, durch seine präzisen Positionen zu allen Fragen der Weltwirtschaft.
Die Wachstumsprognosen werden immer weiter gesenkt. Ist das nur eine Delle oder das Ende eines langen Aufschwungs?
Gabriel Felbermayr: Wahrscheinlich ist es beides. Abschwung ja, Rezession nein. Zuletzt hat sich gezeigt, dass es doch besser läuft als befürchtet. Am Ende werden wir für das laufende Jahr wahrscheinlich eher bei 0,8 Prozent als bei 0,5 Prozent Wachstum landen. Aber auch das wäre weniger als die Hälfte der vergangenen Jahre.
Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt?
Hier sehen wir eine Verlangsamung des Stellenaufbaus, es werden aber noch immer Jobs geschaffen. Das ist anders als früher: Der Arbeitsmarkt ist deutlich widerstandsfähiger geworden, weil die Unternehmen Arbeit horten und ihre Fachkräfte nicht verlieren wollen. Deshalb sehen wir keine Bremsspuren.
Neue Herausforderungen kommen von der Digitalisierung. Viele Branchen müssen sich neu aufstellen. Sind deutsche Unternehmen gut auf den Wandel eingestellt?
Natürlich weiß keiner, wie sehr diese Entwicklung sich auswirken wird. Es gibt Studien der OECD, wonach 55 Prozent der Jobs im Industriebereich automatisiert werden können. Was möglich ist, muss aber nicht ökonomisch sinnvoll sein. Deutschland hat einen Vorteil, der das Land gegen Verwerfungen widerstandsfähiger macht: sein duales Ausbildungssystem. Die Fachkräfte sind näher dran an den technischen Veränderungen, so kann sich das Land schneller auf Wandel einstellen.
Wie sehen Sie die deutschen Schlüsselindustrien aufgestellt? Die Autoindustrie ist in einer tiefen Krise.
Da reden wir nicht über Disruption, sondern über Disruptionen. Die Autoindustrie ist in einem Zangenangriff – die Regulierungen bei Diesel und CO2 auf der einen und die Drohungen mit Zöllen auf der anderen Seite. Da kann es für die Konzerne lohnender sein, außerhalb von Deutschland zu investieren. Die Wertschöpfung ist schon stark unter Druck geraten, und ich sehe nicht, dass sich das schnell bessern wird. Wer in Zukunft in den USA verkaufen will, wird dort investieren. Und wer Elektroautos in China absetzen möchte, muss vor Ort produzieren. Strukturell läuft seit Jahren einiges gegen die Automobilindustrie in Deutschland.
Benötigen wir eine andere Industriepolitik?
Wir brauchen eine ergebnisoffene Politik. Eine Industriepolitik, die alles vorgibt, droht teuer und ineffizient zu werden. Wichtiger wäre, Anreize zu setzen. Selbst deutsche Start-ups drängen in die Vereinigten Staaten, weil es dort ein Ökosystem gibt, günstige Finanzierungen und einen großen, funktionierenden Markt. Das sollte die Herausforderung für Wirtschaftspolitik sein. In Deutschland fließt immer mehr Geld in Sozialleistungen – wichtiger wäre, in Bildung und Forschung zu investieren. Unsere deutschen Forschungseinrichtungen bleiben chronisch unterfinanziert. Unser Anspruch müsste ein deutsches Berkeley sein. Zudem muss es darum gehen, den großen Binnenmarkt in Europa voranzubringen und Barrieren abzubauen. Sprachbarrieren lassen sich beispielsweise mit künstlicher Intelligenz überwinden.
Inwieweit gefährdet die immer größere Kluft zwischen Reich und Arm nicht nur den gesellschaftlichen Frieden, sondern auch die Wirtschaftskraft in Europa?
Ganz erheblich. In Deutschland ist das nicht so sichtbar, in Frankreich aber sehr wohl, wie die Gelbwestenbewegung zeigt. Diese Auseinandersetzungen hemmen die wirtschaftliche Dynamik. Unsere Sozialsysteme müssen die Abgehängten auffangen – aber das bindet immer mehr Ressourcen. Wir werden deshalb ein Hochsteuerland bleiben.
Mit seiner Zollpolitik stellt USPräsident Donald Trump nun auch noch den Welthandel auf den Kopf.
Europa könnte von einem Konflikt zwischen China und den USA sogar profitieren. Die Chinesen geraten unter Druck, machen den USA Zugeständnisse, und die Europäer könnten als Trittbrettfahrer davon profitieren. Wir haben gerade deshalb Ruhe, weil Trump sich auf China konzentriert. Auch die Handelsumlenkungen haben uns geholfen. Aber die Unsicherheiten wirken sich natürlich negativ aus.
Ist es rational, was Donald Trump macht?
Individuell ist es rational, kollektiv ist es irrational. Nun kämpft Amerika first gegen China first – und auch wir reden über eine nationale Industriestrategie. Die Summe dieser rationalen Ansätze führt nicht zu einer besseren Welt: Ganz im Gegenteil werden Wachstumspotenziale beschädigt. Das Vertrauen in den freien Handel, das die USA einst als Hegemon durchgesetzt haben, gibt es nicht mehr.
Fürchten Sie eine neue Energiekrise durch die Zuspitzung im Iran-Konflikt?
Nein. Die Abhängigkeit vom Erdöl ist dramatisch gesunken, übrigens auch eine positive Folge der Energiewende. Die Ölpreise machen uns heute weniger Sorgen als noch vor 40 Jahren. Aber die Unsicherheit ist größer geworden. Das macht Prognosen und Planungen noch schwieriger.
Lautet die Antwort darauf: Mehr Europa?
Ganz klar. Aber Europa ist selbst Quell der Unsicherheit. Seit drei Jahren wissen wir nicht, ob und wie der Brexit kommt. Die Eurokrise ist nicht gelöst: Wir haben große Unsicherheiten, was Italien und Griechenland betrifft. Wir sollten uns dringend darüber Gedanken machen, wie wir Europa stärken können. Eine große Stärke ist unser Binnenmarkt. Das ist unser attraktives Angebot an die anderen Machtblöcke – und unser wertvollster Chip in allen Verhandlungen.