Thüringer Allgemeine (Apolda)

Was die EU kostet – und was sie uns bringt

Deutschlan­d ist der größte Nettozahle­r der europäisch­en Gemeinscha­ft, profitiert aber von Binnenmark­t, Euro und Verbrauche­rschutz

- Von Christian Kerl

Im Europawahl­kampf spielen die Finanzen der EU nur eine Nebenrolle, dabei wird Geld bald das große Streitthem­a in Europa: Was darf die EU kosten – und wer zahlt die Rechnung? Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) sagt schon „eine Riesenaufr­egung“voraus, wenn die Mitgliedst­aaten demnächst über das neue Siebenjahr­esbudget der EU verhandeln, das ab 2021 gelten soll. Spätestens dann stellt sich die Frage, die Wahlkämpfe­r in diesen Wochen gern umgehen: Ist Deutschlan­d der Zahlmeiste­r? Lohnt sich dann die EU für uns überhaupt? Ein Faktenchec­k:

Das kostet uns die EU:

Deutschlan­d zahlt als größtes EU-Land mit Abstand auch den größten Beitrag in die Unionskass­e ein – 21 Prozent beträgt der Anteil, berechnet aus Einwohnerz­ahl und Wirtschaft­skraft. Gut 30 Milliarden Euro hat der Bund voriges Jahr an Brüssel überwiesen. Ein guter Teil kommt von der EU zurück an Fördermitt­eln – etwa für Investitio­nszuschüss­e, Regionalfö­rderung oder Forschung. Dennoch ist Deutschlan­d unterm Strich mit Abstand der größte der zehn Nettozahle­r in der EU. 2017 zahlte der Bund elf Milliarden Euro mehr in die Gemeinscha­ftskasse als die EU nach Deutschlan­d überwies. Dahinter lagen Großbritan­nien (5,4 Milliarden) und Frankreich (4,6 Milliarden).

Größter Nettoempfä­nger war 2017 Polen mit einem Plus von 8,6 Milliarden Euro, gefolgt von Ungarn und Rumänien. Das Bild vom deutschen Zahlmeiste­r relativier­t sich etwas, wenn die Nettoleist­ung pro Kopf der Bevölkerun­g verglichen wird: Da geben die Schweden mit 139 Euro pro Bürger am meisten ab, die Deutschen liegen auf Platz zwei mit 129 Euro. Doch eines ist sicher: Die Kosten für den Bund werden steigen. Nach dem Austritt des Nettozahle­rs Großbritan­nien wird der deutsche Anteil am Brüsseler Etat auf 24 Prozent klettern. Und zugleich plant die EU Mehrausgab­en etwa für Verteidigu­ng oder die Migrations­politik. Das Bundesfina­nzminister­ium hat intern schon mit einer Summe von 15 Milliarden zusätzlich kalkuliert. Allerdings bremst Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) inzwischen. Aber sind die steigenden Milliarden­beiträge überhaupt vermittelb­ar? Ja. Zwar ist auch die EU vor milliarden­schweren Fehlinvest­itionen nicht gefeit. Aber als große Exportnati­on hat die Bundesrepu­blik einen besonders großen Nutzen vom Binnenmark­t, von offenen Grenzen und der Reisefreih­eit – und von der gemeinsame­n EUPolitik auf vielen Feldern:

Die deutsche Wirtschaft verkauft rund 60 Prozent ihrer Exporte innerhalb der Union – deshalb profitiert Deutschlan­d vom gemeinsame­n Markt so stark wie kein anderer EU-Staat. Der Wohlstands­gewinn durch den Wegfall von Zöllen und Handelshem­mnissen beläuft sich für Deutschlan­d auf 86 Milliarden Euro jährlich, heißt es in einer soeben veröffentl­ichten Bertelsman­n-Studie. Deshalb zahlt es sich für Deutschlan­d aus, wenn die Wirtschaft in anderen Teilen der EU wächst.

Deutschlan­d ist neben den Niederland­en der einzige EU-Staat, der durch die europäisch­e Gemeinscha­ftswährung gewonnen hat: Der Euro hat uns seit 1999 einen Wohlstands­zuwachs von 1,9 Billionen Euro gebracht, so das Freiburger Centrum für Europäisch­e Politik (CEP). Frankreich und Italien sind demnach die großen Verlierer, weil sie ohne eigene Währungsst­euerung an Wettbewerb­sfähigkeit verloren.

Die EU ist als Wirtschaft­sraum mit 500 Millionen Einwohnern ein attraktive­r Handelspar­tner. Mit immer mehr Wirtschaft­sregionen schließt die Union neue Handelsver­träge mit modernen Standards ab, die einzelne EUStaaten so kaum aushandeln könnten – zuletzt mit Japan und Kanada, bald mit Australien und Südamerika.

Mit der Datenschut­zgrundvero­rdnung hat die EU 2018 weltweit Maßstäbe gesetzt, wie persönlich­e Daten auch im digitalen Zeitalter vor Missbrauch geschützt werden können.

Seit 2017 können EU-Bürger bei Reisen in andere EU-Länder ohne Extragebüh­ren telefonier­en, SMS versenden oder das Internet nutzen. Vom nächsten Mittwoch an dürfen Telefonate ins EU-Ausland nur noch maximal 19 Cent pro Minute kosten. Ein Beispiel für den Verbrauche­rschutz, den die EU regelt. Dazu gehört etwa auch, dass Fluggäste in der EU seit 15 Jahren Anspruch auf Entschädig­ung haben, wenn ihr Flugzeug verspätet ist oder der Flug gestrichen wird.

Das EUFörderpr­ogramm Erasmus zahlt Auslandsau­fenthalte für Studenten und Auszubilde­nde in 33 Ländern – über 100.000 junge Leute aus Deutschlan­d nehmen jährlich teil.

Ein einzelner Staat hätte sich schwer getan, ab 2021 Einwegplas­tikprodukt­e wie Strohhalme zu verbieten. Auf EU-Ebene wurde das Verbot beschlosse­n. Auch beim Klimaschut­z handeln die EU-Staaten besser gemeinsam.

Gemeinsam ist der EU gelungen, woran Einzelstaa­ten verzweifel­ten: Die Zahl der Flüchtling­e, die nach Europa kommen, ist seit 2015 um über 90 Prozent zurückgega­ngen. Dank eines Abkommens der EU mit der Türkei, besserem Außengrenz­schutz, der Zusammenar­beit mit afrikanisc­hen Staaten. Noch immer ist die EU allerdings nicht ausreichen­d für eine mögliche neue Flüchtling­skrise gerüstet.

Terror und internatio­nale Kriminalit­ät bedrohen die Sicherheit auch in Deutschlan­d. Die EU sorgt für eine immer engere Zusammenar­beit der Sicherheit­sbehörden, koordinier­t etwa durch die EU-Polizeibeh­örde Europol oder eine gemeinsame Cyberabweh­r. Zweistelli­ge Milliarden­beträge könnten durch mehr Kooperatio­n bei Rüstungspr­ojekten eingespart werden.

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ISTOCK; PDA/PA; IMAGO Gemeinsame Währung, grenzübers­chreitende­s Lernen, Exportmoto­r Binnenmark­t: Deutschlan­d profitiert auf vielen Feldern von der EU.FOTOS:

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