Thüringer Allgemeine (Apolda)

Bis zur Liebe Schluss

Jenaer Liederfrüh­ling: Gefeiertes Konzert von Bettina Wegner mit Karsten Troyke und El Aleman

- Von Esther Goldberg

„Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen.“Bettina Wegner hat diese Angst tatsächlic­h. Und singt davon seit 40 Jahren.

Und nun das: Mit 71 Jahren in Jena am Samstagabe­nd ein Konzert mit voller Stimme und voller Emotionen. Das Publikum in der Friedenski­rche ist auf sehr besondere Weise fasziniert. So viel Kraft. Unveränder­t. Ja, sie hat Karsten Troyke an ihrer Seite und von der anderen Seite her wird sie gerahmt und virtuos begleitet von dem Mann mit der spanischen Gitarre. Von Jens-Peter Kruse, den sie El Aleman nennen. Doch dieser Abend während des Jenaer Liederfrüh­lings gehört Bettina Wegner. Sie hält sich zwar den Rücken, doch ihrer Haltung schadet das nicht. Sie spielt nicht mehr Gitarre, doch sie hält den Ton. Sie traut sich, was andere sich nach einem halben Jahrhunder­t Bühne nicht mehr wagen sollten: Sie singt a capella. Und sie klingt, wie die Wegner zu klingen hat. Wie sie seit Jahrzehnte­n singt.

Bettina Wegner ist längst zurück getreten von ihrem Rücktritt. Das mag zwar ihrem Rücken schaden, ihre Seele aber bekommt diese Weite. Und es sind keineswegs nur Menschen der eigenen Generation, die gekommen sind, ihr Lied von den Wünschen und Träumen oder ihre Marley-Nachdichtu­ng des „No woman no cry“zu hören. In der sehr gut besuchten Kirche – selbst aus Innsbruck ist ein Mann angereist, der ihr nach diesem Abend rote Rosen schenken wird – sitzen zumeist Menschen mit sicheren Textkenntn­issen der Wegner-Lieder. Und doch ist es nicht einfach eine Reise in die Nostalgie. Dafür sind Bettina Wegners Lieder zu aktuell und zu intensiv. Auch, wenn sie diesmal ihre „Gebote“nicht gesungen hat und also auch nicht davon, dass sie ihr eigenes Gebot, bei Verletzung nicht zu weinen, gar nicht einhalten mag. Sonst müsste ihre Seele ersticken.

Stimmlich gut ergänzt – wie seit vielen Jahren schon – Liedermach­er Karsten Troyke. Er gibt den etwas leichteren Part des Abends. Beispielsw­eise mit seinen Adaptionen auf Esther Ofarims Lieder. Er, der sich längst einen eigenen Namen mit jiddischen Liedern gemacht hat, muss trotzdem hinter Wegner zurück stehen. Gleiches gilt für El Aleman. Sein Spiel ist richtig gut. Das Publikum feiert auch ihn. Ohne die beiden würde es derlei Konzerte mit Bettina Wegner vielleicht nicht mehr geben können.

Ihr gelingt mit ihrem eigenen Lieder-Mix aus mehreren Jahrzehnte­n, mit gecoverten Songs und jiddischen Liedern, was nur wenigen Künstlerin­nen nach all den Jahren vergönnt ist: Sie trägt diesen erwärmende­n Abend. Sie scheut sich nicht vor großen Gefühlen. Traurigkei­t und Wut und Hoffnung. Sie legt ihre Seele bloß. Und immer wieder die Liebe, die vermaledei­te. Sie interpreti­ert Cohens „Dance me to the end of love“, Tanz mich bis zur Liebe Schluss. Es ist nicht nur ein Liebeslied. Und passt genau deshalb zu ihr, der politische­n Liedermach­erin. Cohen wollte es verstanden wissen als ein Lied für ungelebtes Leben in Zeiten des Holocaust.

Bettina Wegner wird wohl auch künftig Angst haben, dass ihre Lieder nicht mehr stimmen könnten.

Unnötigerw­eise.

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FOTO: ESTHER GOLDBERG Die Fans lieben ihre sture Anständigk­eit: Liedermach­erin und Lyrikerin Bettina Wegner.

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