Thüringer Allgemeine (Apolda)

Babywunsch in Smartphone-Zeiten

Die Hälfte der Paare, die Reprodukti­onsmedizin nutzen, bekommen Nachwuchs. Viele verlassen sich zusätzlich auf Apps

- Von Caroline Rosales

Das Aufstehen um vier Uhr morgens fand Dana* nicht so schlimm, dafür dann die Fahrt über die Autobahn von Hamburg nach Reinbek – alles, um als Erste gegen Viertel vor sieben vor der noch verschloss­enen Praxis zu stehen, ihre Medikament­e zu bekommen, die Untersuchu­ng zu machen, Kontrollze­ttel auszufülle­n – und schließlic­h um neun Uhr morgens dann im Büro zu sitzen. Um die Behandlung zu bezahlen, hat sie mittlerwei­le einen Kredit aufgenomme­n. Nicht selten liegen die privatärzt­lichen Kosten im fünfstelli­gen Bereich. Dana, Medienmana­gerin und 38 Jahre alt, ist nicht krank. Sie möchte ein Kind bekommen – und das verzweifel­t.

Ihr großer Trost allerdings: In Zeiten von 5G, Achtsamkei­t und sozialen Medien hat sich die Dynamik bei Kinderwuns­chtherapie­n rasant verändert. Morgens während der Fahrt hört Dana Podcasts zum Thema, nach der Arbeit zu Hause bucht sie sich eine Kinderwuns­ch-Yogaklasse per Stream aus einem Onlineport­al. Ebenso hilft ihr der Austausch in unzähligen Foren. Dazu kommen die Paartherap­ie, die Rechtsbera­tung per E-Mail mit ihrem Anwalt darüber, welche Kosten tatsächlic­h nicht von der gesetzlich­en Krankenver­sicherung getragen werden.

Kinderwuns­chbehandlu­ngen – da lässt sich eindeutig ein Trend erkennen – sind längst nicht mehr nur für Mediziner und spezialisi­erte Kliniken ein Business: In Zeiten von Hyperselbs­toptimieru­ng und globaler Digitalisi­erung treten auch in diesem Bereich neue Geschäftsm­öglichkeit­en, aber auch hilfreiche Unterstütz­er für Betroffene auf den Plan. Eine der Spin-Doktoren solcher Netzwerke ist Julia Neuen (32), Unternehme­rin und dreifache Mutter aus Langwedel bei Bremen. Vor wenigen Monaten hat die studierte Tierpsycho­login die kostenpfli­chtige Webseite namens Storchgefl­üster gelauncht, die, wie sie sagt, „ein Komplettpa­ket“sein soll. So bietet Neuen auf ihrer Plattform Videotutor­ials als Beziehungs­coaching, zu Naturheilv­erfahren und Ernährungs­programmen in einem Abo-Paket an. Wissenscha­ftliche Studien geben ihrem Konzept recht.

So leiden zehn bis 20 Prozent der Frauen in dieser Zeit an einer klinisch relevanten Depression. Auch hier möchte Neuen ansetzen. Studien haben Julia Neuen, Unternehme­rin u. a. der Havard Medical School nachgewies­en, erklärt sie, dass der Einbezug der Psyche die Chancen einer Schwangers­chaft um 55 Prozent erhöhen kann. „Sicher haben Frauen gute Möglichkei­ten, viele Angebote in der Verdichtun­g der Großstadt zu nutzen“, sagt sie. Auf dem Land sei man dagegen aufgeschmi­ssen. „Kinderwuns­ch kann zu einer krankhafte­n Fixierung werden“, erklärt sie. Die Wartezeit dauere für Paare nicht selten mehrere Jahre, das Liebeslebe­n leide, weil man auf Termin Sex haben müsse. So kam ihr die Idee mit der Abo-Webseite. „Um Druck abzubauen, aber vor allem, um ihre Chancen zu erhöhen“, sagt die Gründerin. Davon weiß Gründerin Kathrin Steinke zu berichten. Die Mutter einer Tochter verlor Zwillinge nach einer Kinderwuns­chbehandlu­ng, gründete die Praxiswebs­eite Kinderwuns­ch-in-Berlin“und arbeitet heute als Therapeuti­n. Sie glaubt ebenso, dass sowohl der Austausch mit anderen Betroffene­n als auch

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