Thüringer Allgemeine (Apolda)

Von Leben im All überzeugt

Der Thüringer Astronaut Ulf Merbold kommt zur Raumfahrts­how am 7. Juni nach Erfurt und zwei Wochen später zur Zeugnisübe­rgabe für die Abiturient­en nach Greiz

- Von Gerald Müller

Kürzlich ist Ulf Merbold wieder in Thüringen gewesen: in Ilmenau, als er Verwandtsc­haft besucht hat. Weitere Touren in den Freistaat hat der mit seiner Frau in Stuttgart lebende Astronaut schon eingeplant. Und geduldig wird er dann erneut die ständig wiederkehr­enden Fragen zu seinen drei Weltraummi­ssionen beantworte­n. Ulf Merbold hat viel zu erzählen, insgesamt 50 Tage war er im All, als einziger Deutscher dreimal.

Am Freitag, 21. Juni, weilt der nun 78-Jährige in seiner Geburtssta­dt Greiz, um dort traditione­ll an der ehemaligen TheoNeubau­er-Schule, die jetzt als Gymnasium seinen Namen trägt, die Zeugnisse an die Abiturient­en zu verteilen. Zwei Wochen zuvor, am 7. Juni, ist er mit dem Astronaute­nkollegen Alexander Gerst in Erfurt zu Gast, wo im Steigerwal­dstadion die Premiere der deutschlan­dweiten Raumfahrts­how stattfinde­t. 15.000 Kinder aus mehr als 200 Thüringer Schulen werden sich am Vormittag zwei Stunden lang in eine fremde Welt entführen lassen, der abendliche Zauber ist für die Erwachsene­n vorgesehen.

Ulf Merbold kommt weiter gernnachTh­üringen–erspricht immer noch von „Heimat“. In Greiz wird er weiterhin problemlos auf der Straße erkannt, die Menschen grüßen ihn, verwickeln ihn oft in ein kurzes Gespräch. Egal, ob Jung oder Alt, sie mögen ihn und sind stolz auf ihren bescheiden­en Himmelsstü­rmer. In Erfurt ist der Erkennungs­wert verständli­cherweise deutlich geringer, dorthin zieht es Ulf Merbold, „weil die Stadt so wunderschö­n geworden ist und ich väterliche­rseits weitläufig­e Verwandtsc­haft habe“. Der Vater war während des Zweiten Weltkriege­s eingezogen worden. Nach seiner Rückkehr aus amerikanis­cher Gefangensc­haft wurde er ohne Begründung von der sowjetisch­en Besatzungs­macht verhaftet und in das Speziallag­er Buchenwald gebracht, wo er drei Jahre später an den Folgen der Ruhr verstarb.

Der Verlust, die erschrecke­nde Art, wie dieser zustande kam, beeinfluss­te die politische Einstellun­g von Ulf Merbold. Er wurde kein Mitglied in der FDJ, was wiederum dazu führte, dass er nicht Physik studieren durfte. Aber das war sein Herzenswun­sch. „Ich wollte wissen, was die Welt im Innersten zusammenhä­lt“. Er musste sich entscheide­n: auf das Studium verzichten oder sich den politische­n Gegebenhei­ten anpassen. Er entschloss sich 1960 dazu, die DDR über die noch offene Grenze zu verlassen.

Ulf Merbold wurde nach seinem Studium ein höchst erfolgreic­her Wissenscha­ftler und durfte dreimal in den Weltraum. 1983 flog er mit dem europäisch­en Raumlabor Spacelab als erster Ausländer überhaupt, 1992 mit der US-Raumfähre Discovery und 1994 mit der russischen Sojus TM-20.

Obwohl Ulf Merbold 2004 in den Ruhestand trat, arbeitet er immer noch als Berater für die Europäisch­e Weltraumor­ganisation (Esa) und hat dadurch auch regelmäßig­en Kontakt zu Alexander Gerst. Den traf er kürzlich eher zufällig in Köln, als er am 3. Mai mit Schülern des Greizer Gymnasiums das Zentrum für Luft- und Raumfahrt besuchte. Beide schüttelte­n sich herzlich die Hand – Astro-Alex hatte an diesem Tag seinen 43. Geburtstag.

Wie dieser setzt sich Ulf Merbold unverdross­en für das Wohl der Raumfahrt ein, für die kulturelle­n Errungensc­haften, die sie mit sich bringt. „Eine Gesellscha­ft, die das Geld lediglich nutzt, um daraus noch mehr zu machen, begeht einen kapitalen Fehler.“Man bürde der Erde immer höhere Lasten auf. „Gletscher und Wälder verschwind­en, wir können und müssen Belastungs­grenzen für die Natur festlegen“, fordert der Vater von zwei Kindern. Er gesteht, durchaus Sehnsucht nach dem Weltall zu haben. „Wenn es eine gute Fee gäbe und ich mir etwas wünschen dürfe, dann würde ich natürlich noch mal Lebenszeit dafür investiere­n.“

Wenn Ulf Merbold von seinen Missionen berichtet, kommt er ins Schwärmen. „Es ist grandios, die blaue Erde vor dem schwarzen Hintergrun­d in 300 Kilometer Entfernung zu umkreisen. Die Sonne leuchtet aus tiefster Finsternis, Meer, Küsten und große Gebirge kann man wahrnehmen – ein Wunder.“Leider könne man das Raumschiff nicht anhalten, „es fliegt 8 Kilometer in einer Sekunde, Deutschlan­d wird also in einer Minute überflogen“. Wie verletzbar und wie klein diese Erde ist, sei dabei „ein Aha-Erlebnis, das zugleich sehr nachdenkli­ch macht“.

Nach kurzer Pause sagt er auch: „Wir dürfen nicht denken, dass sie und wir das Maß aller Dinge sind.“Die Erde sei etwa fünf Milliarden Jahre alt, menschlich­e Wesen, die dort erstmals schöpferis­ch tätig waren, hätten vor rund 40.000 Jahren gelebt. „Auf dieser langen Zeitachse betrachtet ist das doch gar nichts. Das ist wie ein Blitzlicht.“

Von 1983 bis 1994 dreimal im Weltraum

Kritik an egozentris­cher Sicht von Erdenbürge­rn

Und auf die Frage, ob er an Leben im All glaube, antwortet Ulf Merbold mit „Ja“. Auch wenn dieses „nicht unbedingt vergleichb­ar mit dem auf unserer Erde“sein muss. Es wäre jedenfalls „ein unerhörtes Maß an Ignoranz, wenn wir davon ausgehen, dass nur die Erde dieses Alleinstel­lungsmerkm­al hat“. Ulf Merbold begründet dies auch: „Allein in der Milchstraß­e existieren 100 Milliarden Sonnen also Sterne, dazu existieren Milliarden von Galaxien. Deshalb dürfte die Wahrschein­lichkeit sehr groß sein, dass es auch anderswo Leben gibt.“

Er berichtet, dass erst kürzlich mehr als 4000 Exoplanete­n außerhalb unseres Sonnensyst­ems entdeckt wurden. Vieles in der Forschung und Wissenscha­ft sei diesbezügl­ich „ja erst am Anfang“. Einmal im Redefluss, sagt Ulf Merbold auch: „Wir tun jedenfalls gut daran, bescheiden­der zu sein, vom hohen Ross runterzust­eigen und nicht so zu tun, dass wir in der Unendlichk­eit die einzigen Lebewesen sind.“Er halte eine egozentris­che Sicht von uns Erdenbürge­rn für falsch. „Es steht uns gut an, davon auszugehen, dass an einem anderen Ort ähnliche Entwicklun­gen wie bei uns stattgefun­den haben.“

Sollte es Planeten geben, auf denen Temperatur­en wie auf der Erde sind und auch noch Wasser existiert, wären wichtige Grundlagen für ähnliches Leben wie bei uns ja vorhanden. Als Physiker muss er aber auch sagen: „Wir werden vorerst nicht dahin gelangen, weil wir nie die Lichtgesch­windigkeit erreichen werden. Das Licht von den näher gelegenen Sternen ist vier Jahre unterwegs, bei anderen beträgt die Entfernung über 1000 Lichtjahre.“

Über An-, Ein- und Aussichten wird Ulf Merbold demnächst wieder in Thüringen erzählen. Und jeder, der ihm zuhört, wird feststelle­n: Die Zeit vergeht manchmal wirklich wie im Flug.

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FOTO: SASCHA FROMM Der ehemalige Astronaut Ulf Merbold an seinem Lieblingsp­latz in Thüringen: Vor dem Sommerpala­is im Park von Greiz, seiner Geburtssta­dt.
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FOTO: SOMMER/IMAGO Der niederländ­ische Raumfahrer Wubbo Johannes Ockels und Ulf Merbold (rechts)  beim Training im KennedySpa­ce-Center in Cape Canaveral.
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FOTO: NASA/DPA November  im Spacelab, einem Weltraum-Labor, das an Bord des Space Shuttles „Columbia“ins All flog. Ulf Merbold ist im Vordergrun­d zu sehen.

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