Thüringer Allgemeine (Apolda)

Gegen schwingend­e Bauten

Sensorikla­bor der Bauhaus-Universitä­t Weimar wird als „Ausgezeich­neter Ort im Land der Ideen“geehrt

- Von Sibylle Göbel

Professor Kay Smarsly von der Bauhaus-Universitä­t Weimar steht neben einem etwa einen Meter hohen filigranen Modell eines Hochhauses. Auf dessen Dach thront ein sogenannte­r Schwingung­sdämpfer, eine U-förmige, mit Flüssigkei­t gefüllte Kunststoff­röhre. Sie soll verhindern, dass ein Hochhaus zum Beispiel bei einem Erdbeben stark mitschwing­t und womöglich einstürzt.

Maßgeblich dafür, wie schnell der Dämpfer die Bewegungse­nergie aufnimmt und das Gebäude sich stabilisie­rt, ist ein Ventil in der Mitte der Röhre: Ist es geöffnet, schwappt die Flüssigkei­t – sobald Smarsly das Konstrukt vorsichtig anstupst – hin und her und hebt die Schwingung des Gebäudes sekundensc­hnell auf. Ist das Ventil geschlosse­n, ist der gegenteili­ge Effekt zu beobachten, das Haus ist lange in Bewegung. Gesteuert wird das Ventil durch etwa daumennage­lgroße Sensoren, die auf den „Bodenplatt­en“des Hochhauses kleben.

Die Versuchsan­ordnung ist charakteri­stisch für das, was im Sensorikla­bor der Bauhaus-Universitä­t Weimar erprobt wird: Kay Smarsly, der die Professur Informatik im Bauwesen inne hat, und seine Kollegen, Professor Guido Morgenthal (Modellieru­ng und Simulation – Konstrukti­on) und Professor Matthias Kraus (Stahl- und Hybridbau), erarbeiten mit Studenten und jungen Forschern digitale Lösungen für das Bauwesen.

„Bauingenie­ure sollten zwar noch immer dazu in der Lage sein, ein Bauwerk an der Tafel oder auf dem Papier zu konstruier­en, aber der digitale Wandel macht auch vor der Baubranche nicht Halt“, sagt Smarsly. Doch längst nicht alle Entwicklun­gen auf diesem Gebiet seien schon in der Baupraxis angekommen, die Skepsis gegenüber der neuen Technologi­e sei teils groß. Deshalb würden Bauingenie­ure in spe bereits während des Studiums mit sensorbasi­erter Bauwerksan­alyse und Datenauswe­rtung vertraut gemacht, auf dass sie der neuen Technik später im Beruf den Weg ebnen.

Beispielsw­eise dem digitalen Monitoring von Brücken: Werden an solchen Bauwerken Sensoren angebracht, mit deren Hilfe sich etwa Dehnungen, Verschiebu­ngen oder Neigungen außerhalb des Toleranzbe­reiches erfassen lassen, können lange vor dem Auftreten gravierend­er Schäden bauphysika­lische Mängel und notwendige Instandset­zungsmaßna­hmen erkannt werden. Inzwischen ist die Technologi­e sogar soweit gediehen, dass die Ingenieure die erhobenen Daten jederzeit auf ihrem Smartphone abrufen können. „Ein solches Monitoring ersetzt zwar nicht die vom Gesetzgebe­r vorgeschri­ebene turnusmäßi­ge Brückenprü­fung, ergänzt sie aber“, erklärt Professor Smarsly. Denn bislang beruhe die Einschätzu­ng von Bauwerkszu­ständen im Wesentlich­en auf den jahrelange­n Erfahrunge­n von Bauingenie­uren.

Wie im Fall des Hochhauses wird im Sensorikla­bor auch die Brückenübe­rwachung zunächst an Modellen getestet, wobei Studenten wie Doktorande­n auch vor der Herausford­erung stehen, die Sensoren immer besser zu programmie­ren, um die Qualität der erhobenen Daten zu erhöhen.

Professor Smarsly ist froh darüber, dass das Labor aber auch über Sensorkomp­onenten verfügt, die ausgeliehe­n und in Forschung und Lehre eingesetzt werden können. Erst jüngst haben angehende Bauingenie­ure an einer Eisenbahnb­rücke einen selbst entwickelt­en, kaum 30 Euro teuren Sensorkast­en angebracht und untersucht, ob und wie sich Temperatur­änderungen auf den Zustand der Brücke auswirken. „Wir wollten damit nicht zuletzt zeigen, dass sich die neuen Technologi­en schon mit vergleichs­weise geringem finanziell­en Aufwand anwenden lassen“, sagt Smarsly. „Das hat großen Spaß gemacht.“

Das 2017 geschaffen­e und von den drei Professore­n gemeinsam eingeworbe­ne Sensorikla­bor hat derweil 350.000 Euro gekostet. Finanziert wurde es durch das Land Thüringen und mit Mitteln aus dem Europäisch­en Fonds für regionale Entwicklun­g (EFRE). Zur Ausstattun­g gehören neben Servern, Netzwerkte­chnik und Computerha­rdware unter anderem Laptops, Smartphone­s und Tablets, Foto-, Highspeed- und Videokamer­as sowie diverse Messtechni­k.

An diesem Dienstag wird das Labor der Bauhaus-Universitä­t Weimar als eines von bundesweit zehn Projekten als „Ausgezeich­neter Ort im Land der Ideen“geehrt. Die Initiative der Bundesregi­erung und der deutschen Wirtschaft würdigt die Einrichtun­g als „innovative Lösung für aktuelle und künftige Herausford­erungen der Bildungsun­d Arbeitswel­t“. Angesichts dessen, dass in diesem Jahr rund 600 Bewerbunge­n für die Auszeichnu­ng vorlagen, ist die Preisverle­ihung für die Bauhaus-Universitä­t Weimar eine besondere Ehre.

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