Wer geht nach der Europawahl?
In der Regierung kommt es zu einer Neubesetzung – eine Frau verlässt das Kabinett auf jeden Fall
Annegret Kramp-Karrenbauer ergriff am Montag selbst das Wort. Statt ihres Generalsekretärs Paul Ziemiak übernahm die CDU-Chefin die Pressekonferenz im KonradAdenauer-Haus. „Wir wollen, dass die EVP-Fraktion die deutlich stärkste Fraktion im Europäischen Parlament ist“, sagte die CDU-Chefin und stellte klar, dass man damit auch das Ziel verbinde, dass der Spitzenkandidat der Konservativen in Europa, der CSU-Politiker Manfred Weber, Chef der Europäischen Kommission werde. Kanzleramt und Partei zögen da an einem Strang.
Eine interessante Betonung, da dies für einen gemeinsamen deutschen Spitzenkandidaten der Union selbstverständlich sein sollte. Doch ob und wie stark Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Sondergipfel zwei Tage nach der Wahl in Brüssel für Weber in Brüssel tatsächlich kämpfen wird, ist eine der vielen Folgen der Europawahl, über die gerade spekuliert wird.
Spekuliert wird auch über einen Machtwechsel im Kanzleramt und eine Kabinettsumbildung. Im Mittelpunkt dabei stets die CDU-Chefin, die Kanzlerkandidatin im Wartestand. AKK, wie sie im politischen Berlin oft genannt wird, hatte dazu in der „Welt am Sonntag“einen interessanten Satz gesagt. Ein „mutwilliger Wechsel“im Kanzleramt sei nicht ihr Ziel. Merkel sei für die gesamte Legislaturperiode gewählt. Ihre Planung sehe vielmehr so aus, dass die CDU sich ein Grundsatzprogramm gebe und dann „im Spätherbst 2020“eine Kanzlerkandidatin nominiere. Doch immer deutlicher grenzt sich die CDUChefin auch vom Koalitionspartner ab: „Es gibt mit Blick auf die SPD keine Verlässlichkeit mehr“, hieß es am Montag. Es liegt etwas in der Luft, sagen auch Leute aus dem Kanzleramt. Doch was? Weniger als zwei Wochen vor der Europawahl ist nur klar, dass es eine Kabinettsumbildung geben wird. Die SPD-Spitzenkandidatin für Europa, Justizministerin Katarina Barley, wird aus dem Kabinett ausscheiden und ins EUParlament wechseln. Müsste Kramp-Karrenbauer, wenn sie schon nicht rasch ins Kanzleramt ziehen kann, dann nicht ins Kabinett? Auf CDU-Seite gelten Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als angeschlagen - beide sind langjährige Wegbegleiter der Kanzlerin. Altmaier hat im Wirtschaftsressort Fehler gemacht, seine Industriestrategie sorgte für harsche Kritik insbesondere des Mittelstands. Von der Leyen schlägt sich unter anderem mit dem Beschaffungswesen der Bundeswehr herum und spürt den verlorenen Millionen bei der Sanierung des Segelschulschiffs „Gorch Fock“nach. Auch Bildungsministerin Anja Karliczek gilt in der CDU als nicht besonders glückliche Wahl im Ministeramt. AKK schloss am Wochenende einen Wechsel ins Kabinett nicht grundsätzlich aus, sagte aber, sie wolle sich auf die Partei konzentrieren.
Würde Sie ihre Meinung ändern, wenn eine große Kabinettsumbildung anstünde? Wenn CDU und CSU zum Beispiel das Innen- und das Wirtschaftsministerium tauschen würden? Altmaier wäre für einen Posten in Europa frei, ExCSU-Chef Horst Seehofer wäre Geschichte (was möglicherweise dem jetzigen CSU-Chef Markus Söder gut passen würde) und für die erfahrene Innenpolitikerin Kramp-Karrenbauer gebe es ein Riesenressort.
Die SPD verfolgt mit einer gewissen Genugtuung, wie sich die Konkurrentin AKK windet. Das lenkt ein wenig von der eigenen deprimierenden Lage vor der Europawahl ab.
Eine Personalie werden SPDChefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz in den nächsten zwei Wochen auf jeden Fall klären müssen. Die Nachfolge von Barley. Die Noch-Justizministerin und Mutter zweier Söhne hat bereits eine neue Bleibe in Brüssel gefunden. Privat freut sie sich, denn das Pendeln zu ihrem Partner, ein niederländischer Basketballtrainer in Amsterdam, verkürzt sich. „Das werden wir zügig, aber ohne Eile nach der Wahl machen“, sagte Parteichefin Andrea Nahles zur Personalsuche. Männer brauchen sich keine Hoffnungen zu machen. Für die SPD-Kabinettsmitglieder gilt eine 50:50-Quote, drei Frauen, drei Männer. Aus Parteikreisen heißt es, die Nachfolge sei noch nicht entschieden. Nahles und Scholz warteten mit den entscheidenden Gesprächen, weil sonst jeder Name vorzeitig bekannt werden würde. Genannt werden seit längerem Stefanie Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU-Vorsitzende
Hubig, Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz und unter Heiko Maas bereits Staatssekretärin im Bundesjustizministerium, Nancy Faeser, die künftige Landeschefin in Hessen, die Bundestagsabgeordneten Eva Högl aus Berlin und Sonja Steffen aus Mecklenburg-Vorpommern.
Oder gibt es eine Überraschung? Bekommt Jana Schiedek, von 2011 bis 2015 Hamburger Justizsenatorin unter Bürgermeister Scholz, demnächst einen Anruf? Schauen die Genossen nach Luxemburg, könnte ihnen die Generalanwältin am Gerichtshof der Europäischen Union, Juliane Kokott, ins Auge fallen. Neben der Fahndung nach einer neuen Justizministerin bereitet Franziska Giffey der Parteiführung Kopfzerbrechen. Die beliebte Bundesfamilienministerin muss sich des Verdachts erwehren, bei ihrer Doktorarbeitwissenschaftlich nicht sauber gearbeitet zu haben. Die Freie Universität Berlin prüft die von einer InternetPlattform erhobenen Vorwürfe. Giffey hatte die Uni darum gebeten. Mit einer schnellen Entscheidung wird nicht gerechnet.
In der SPD sind viele der Ansicht, die 41-Jährige könnte selbst bei einem Entzug des Titels im Amt bleiben. Die Union dagegen wittert die Chance, einen SPD-Star und Aktivposten im Kabinett zu Fall zu bringen. So legte CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer Giffey einen Rücktritt nahe, sollten die Vorwürfe bestätigt werden. „Ich gehe davon aus, dass die SPD an ihre eigene Ministerin die gleichen Maßstäbe anlegt, die sie an die Unionsminister angelegt hat. Wenn sie das tut, ist die Antwort eindeutig.“
Die SPD empfindet Genugtuung
„Es gibt mit Blick auf die SPD keine Verlässlichkeit mehr.“