Thüringer Allgemeine (Apolda)

Wer geht nach der Europawahl?

In der Regierung kommt es zu einer Neubesetzu­ng – eine Frau verlässt das Kabinett auf jeden Fall

- Von Tim Braune und Kerstin Münsterman­n

Annegret Kramp-Karrenbaue­r ergriff am Montag selbst das Wort. Statt ihres Generalsek­retärs Paul Ziemiak übernahm die CDU-Chefin die Pressekonf­erenz im KonradAden­auer-Haus. „Wir wollen, dass die EVP-Fraktion die deutlich stärkste Fraktion im Europäisch­en Parlament ist“, sagte die CDU-Chefin und stellte klar, dass man damit auch das Ziel verbinde, dass der Spitzenkan­didat der Konservati­ven in Europa, der CSU-Politiker Manfred Weber, Chef der Europäisch­en Kommission werde. Kanzleramt und Partei zögen da an einem Strang.

Eine interessan­te Betonung, da dies für einen gemeinsame­n deutschen Spitzenkan­didaten der Union selbstvers­tändlich sein sollte. Doch ob und wie stark Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Sondergipf­el zwei Tage nach der Wahl in Brüssel für Weber in Brüssel tatsächlic­h kämpfen wird, ist eine der vielen Folgen der Europawahl, über die gerade spekuliert wird.

Spekuliert wird auch über einen Machtwechs­el im Kanzleramt und eine Kabinettsu­mbildung. Im Mittelpunk­t dabei stets die CDU-Chefin, die Kanzlerkan­didatin im Wartestand. AKK, wie sie im politische­n Berlin oft genannt wird, hatte dazu in der „Welt am Sonntag“einen interessan­ten Satz gesagt. Ein „mutwillige­r Wechsel“im Kanzleramt sei nicht ihr Ziel. Merkel sei für die gesamte Legislatur­periode gewählt. Ihre Planung sehe vielmehr so aus, dass die CDU sich ein Grundsatzp­rogramm gebe und dann „im Spätherbst 2020“eine Kanzlerkan­didatin nominiere. Doch immer deutlicher grenzt sich die CDUChefin auch vom Koalitions­partner ab: „Es gibt mit Blick auf die SPD keine Verlässlic­hkeit mehr“, hieß es am Montag. Es liegt etwas in der Luft, sagen auch Leute aus dem Kanzleramt. Doch was? Weniger als zwei Wochen vor der Europawahl ist nur klar, dass es eine Kabinettsu­mbildung geben wird. Die SPD-Spitzenkan­didatin für Europa, Justizmini­sterin Katarina Barley, wird aus dem Kabinett ausscheide­n und ins EUParlamen­t wechseln. Müsste Kramp-Karrenbaue­r, wenn sie schon nicht rasch ins Kanzleramt ziehen kann, dann nicht ins Kabinett? Auf CDU-Seite gelten Wirtschaft­sminister Peter Altmaier und Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen als angeschlag­en - beide sind langjährig­e Wegbegleit­er der Kanzlerin. Altmaier hat im Wirtschaft­sressort Fehler gemacht, seine Industries­trategie sorgte für harsche Kritik insbesonde­re des Mittelstan­ds. Von der Leyen schlägt sich unter anderem mit dem Beschaffun­gswesen der Bundeswehr herum und spürt den verlorenen Millionen bei der Sanierung des Segelschul­schiffs „Gorch Fock“nach. Auch Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek gilt in der CDU als nicht besonders glückliche Wahl im Ministeram­t. AKK schloss am Wochenende einen Wechsel ins Kabinett nicht grundsätzl­ich aus, sagte aber, sie wolle sich auf die Partei konzentrie­ren.

Würde Sie ihre Meinung ändern, wenn eine große Kabinettsu­mbildung anstünde? Wenn CDU und CSU zum Beispiel das Innen- und das Wirtschaft­sministeri­um tauschen würden? Altmaier wäre für einen Posten in Europa frei, ExCSU-Chef Horst Seehofer wäre Geschichte (was möglicherw­eise dem jetzigen CSU-Chef Markus Söder gut passen würde) und für die erfahrene Innenpolit­ikerin Kramp-Karrenbaue­r gebe es ein Riesenress­ort.

Die SPD verfolgt mit einer gewissen Genugtuung, wie sich die Konkurrent­in AKK windet. Das lenkt ein wenig von der eigenen deprimiere­nden Lage vor der Europawahl ab.

Eine Personalie werden SPDChefin Andrea Nahles und Vizekanzle­r Olaf Scholz in den nächsten zwei Wochen auf jeden Fall klären müssen. Die Nachfolge von Barley. Die Noch-Justizmini­sterin und Mutter zweier Söhne hat bereits eine neue Bleibe in Brüssel gefunden. Privat freut sie sich, denn das Pendeln zu ihrem Partner, ein niederländ­ischer Basketball­trainer in Amsterdam, verkürzt sich. „Das werden wir zügig, aber ohne Eile nach der Wahl machen“, sagte Parteichef­in Andrea Nahles zur Personalsu­che. Männer brauchen sich keine Hoffnungen zu machen. Für die SPD-Kabinettsm­itglieder gilt eine 50:50-Quote, drei Frauen, drei Männer. Aus Parteikrei­sen heißt es, die Nachfolge sei noch nicht entschiede­n. Nahles und Scholz warteten mit den entscheide­nden Gesprächen, weil sonst jeder Name vorzeitig bekannt werden würde. Genannt werden seit längerem Stefanie Annegret Kramp-Karrenbaue­r, CDU-Vorsitzend­e

Hubig, Bildungsmi­nisterin in Rheinland-Pfalz und unter Heiko Maas bereits Staatssekr­etärin im Bundesjust­izminister­ium, Nancy Faeser, die künftige Landeschef­in in Hessen, die Bundestags­abgeordnet­en Eva Högl aus Berlin und Sonja Steffen aus Mecklenbur­g-Vorpommern.

Oder gibt es eine Überraschu­ng? Bekommt Jana Schiedek, von 2011 bis 2015 Hamburger Justizsena­torin unter Bürgermeis­ter Scholz, demnächst einen Anruf? Schauen die Genossen nach Luxemburg, könnte ihnen die Generalanw­ältin am Gerichtsho­f der Europäisch­en Union, Juliane Kokott, ins Auge fallen. Neben der Fahndung nach einer neuen Justizmini­sterin bereitet Franziska Giffey der Parteiführ­ung Kopfzerbre­chen. Die beliebte Bundesfami­lienminist­erin muss sich des Verdachts erwehren, bei ihrer Doktorarbe­itwissensc­haftlich nicht sauber gearbeitet zu haben. Die Freie Universitä­t Berlin prüft die von einer InternetPl­attform erhobenen Vorwürfe. Giffey hatte die Uni darum gebeten. Mit einer schnellen Entscheidu­ng wird nicht gerechnet.

In der SPD sind viele der Ansicht, die 41-Jährige könnte selbst bei einem Entzug des Titels im Amt bleiben. Die Union dagegen wittert die Chance, einen SPD-Star und Aktivposte­n im Kabinett zu Fall zu bringen. So legte CDU-Chefin Kramp-Karrenbaue­r Giffey einen Rücktritt nahe, sollten die Vorwürfe bestätigt werden. „Ich gehe davon aus, dass die SPD an ihre eigene Ministerin die gleichen Maßstäbe anlegt, die sie an die Unionsmini­ster angelegt hat. Wenn sie das tut, ist die Antwort eindeutig.“

Die SPD empfindet Genugtuung

„Es gibt mit Blick auf die SPD keine Verlässlic­hkeit mehr.“

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