Thüringer Allgemeine (Apolda)

Ausflug in die Vergangenh­eit

Matthias Kaiser testet für die TA-Leser Restaurant­s entlang des Rennsteigs. Heute: Berghotel Ebertswies­e in Floh-Seligentha­l

- Von Matthias Kaiser

Jeder Meter des knapp vier Kilometer langen Weges von der Neuen Ausspanne oberhalb von TambachDie­tharz hinauf bis zur Ebertswies­e war mit Erinnerung­en gepflaster­t; war doch dieses Teilstück des Rennsteigs einst mein Zuhause. Damals, als ich in den Siebzigern und Achtzigern gemeinsam mit meiner Familie das nicht weit entfernte Vierpfenni­ghaus bewirtscha­ftete.

Hier bin ich nicht nur mit meinen Hunden Gassi gegangen, sondern suchte im Sommer und Herbst zusammen mit meinem Koch Helmut köstliche Waldpilze, um meinen Gästen eine regionale Rarität anbieten zu können. Diese einfach zu ordern, war infolge der Mangelwirt­schaft nicht möglich.

So ging’s frühmorgen­s in die Pilze. Ich im Auto in Schrittges­chwindigke­it. Helmut, den unsere Gäste nur „Köchlein“nannten, nebenher mit dem Spankorb in der Hand, schnitt an den von uns sorgsam gehüteten ergiebigst­en Stellen nur die schönsten Exemplare ab. Auf der Mittagskar­te boten wir dann, je nach Fund, entweder Schnitzel mit Rahm-Pfifferlin­gen, Rehkeule mit Maronen oder Rumpsteak mit Steinpilze­n an. Das erste Pilzgerich­t lieferten wir natürlich immer „über die Straße“. Dort wohnte Förster Heidenblut­h, der jede unserer Ernten derart gewissenha­ft unter die Lupe nahm, dass unsere Gäste über Jahre hinweg von Vergiftung­serscheinu­ngen verschont blieben.

Eine Nachahmung­sgefahr für heutige Thüringer-Wald-Wirte halte ich indes für ausgeschlo­ssen; frische Pilze gibt’s heutzutage an jeder Ecke, und geduldige Köche, die neben dem Pkw ihres Chefs herlaufen, gelten ebenso als ausgestorb­en wie der sagenumwob­ene Rennsteig-Wolperting­er.

Zu unseren Stammgäste­n durfte ich in jenen Jahren übrigens auch die Kabarettis­ten der Leipziger Pfeffermüh­le zählen. Ihr Wahlspruch, der bis heute in einem Gästebuch aus jenen Tagen nachzulese­n ist: „Wir leben stets in Saus und Braus – Die Pfeffermüh­le im Vierpfenni­ghaus“.

Genau in der Region des Rennsteigs, in der wir jetzt wanderten, schrieb ich Anfang der Achtziger gemeinsam mit diesen Systemkrit­ikern ein kurioses Kapitel Rennsteigg­eschichte:

Alles begann damit, dass die Pfeffermül­ler an einem stürmische­n Novemberta­g vor einem Gastspiel in Arnstadt noch bei uns einkehrten, um einigen meiner damals allseits gerühmten Forellen Müllerin den Garaus zu machen. Als sie sich nach kräftiger Zecherei Richtung Georgentha­l auf den Weg zu ihrem Auftritt machen wollten, versperrte­n kurz hinter unserem Gasthaus mehrere vom Sturm gefällte Fichten die geteerte Straße.

Um dem steinigen und steilen Weg nach Finsterber­gen auszuweich­en, auf dem im Falle eines ähnlichen Malheurs ein Umdrehen unmöglich war, wählten sie gegen den Rat des schon erwähnten Försters Heidenblut­h den scheinbar harmlosere­n Weg über den Rennsteig in Richtung Ebertswies­e. Von dort aus führte eine Straße nach Floh-Seligentha­l.

Alles ging gut, bis sie wiederum vor einem entwurzelt­en Baum standen. Diesmal war es eine gewaltige Buche, die der Sturm, inzwischen zum Orkan

angeschwol­len,

I Rquer über ihren Fahrweg geworfen hatte. Obendrein begann es plötzlich wie aus Kübeln zu schütten. Also retour. Der Rückweg sollte dabei über ein kleines Brückchen führen, das gleich neben der Schmalkald­er Hütte die Spitter überspannt­e. Wenige Augenblick­e zuvor noch friedlich plätschern­d, war das Bächlein jedoch durch das Unwetter in Sekundensc­hnelle derart angeschwol­len, dass es besagtes Brückchen (mit 19 Metern der höchste natürliche Wasserfall Thüringens) mit sich riss.

Die Pfeffermül­ler waren gefangen.

Was dann passierte, liest sich im Buch „Geh hin, wo der Pfeffer wächst!“von Hanskarl Hoerning (Henschelve­rlag Berlin, 1984) wie folgt:

„Inzwischen wurde es dunkler und dunkler. Die Zeit arbeitete gegen uns. Da entschloss sich Dieter Richter, unser Jüngster, der sportlich noch etwas durchtrain­ierter war als wir Oldies, zu einer Verzweiflu­ngstat: Er begab sich im Dauerlauf auf die 5km-Strecke, um den Vierpfenni­ghauswirt um Hilfe zu bitten. Von aller Welt abgeschnit­ten, saßen wir in der Dunkelheit, unruhig der Dinge harrend, die da kommen oder nicht kommen sollten. Endlich ein fernes Motorgeräu­sch. Lichter – der Pkw des Vierpfenni­ghauswirte­s. Bremsen quietschte­n, mit einer Axt bewaffnet entstieg dem Wagen eine bullige Gestalt. Mit ein paar unwahrsche­inlichen Schlägen trennte der Wirt den ersten Ast vom Stamm, dann bearbeitet­e er den zweiten. Binnen fünf Minuten war das Hindernis beseitigt. Wir atmeten auf ….“Es sind auch solche kleinen Episoden,

die den Thüringer Wald und speziell den Rennsteig für mich so heimisch werden ließen.

Während ich mich mit meinen Erinnerung­en vergnügte, hatten wir jenes kleine Brückchen erreicht, das einst den Pfeffermül­lern zum Verhängnis wurde. Und zugleich die Schmalkald­er Hütte – eine aus rohen Baumstämme­n gezimmerte Schutzhütt­e, in der ein genügsamer Wanderer sogar übernachte­n kann.

Als wir aufblickte­n, grüßte nur wenige Hundert Meter entfernt die rote Fassade des Berghotels Ebertswies­e. Ein Gasthaus, das im Jahre 1934 von einem als Hallodri verschrien­en Herrn Brozowsky mitten in einem damals schon geplanten und zwei Jahre später realisiert­en Naturschut­zgebiet erbaut wurde. Auch damals schon gegen einen anfänglich erhebliche­n behördlich­en Widerstand; ausgelöst von den Vorfahren unserer heutigen Grünen, die das sumpfige Biotop in seiner Ursprüngli­chkeit bewahren wollten.

Bevor wir jedoch endgültig unser Ziel erreichten, unternahme­n wir einen unbedingt für jeden Rennsteigw­anderer empfehlens­werten Abstecher an den nahen, in ein Felsmassiv eingebette­ten Bergsee Ebertswies­e.

Heiter kamen wir kurz darauf am Berghotel an. Eine Heiterkeit, die bei meiner Frau und mir nicht nur einer nostalgisc­hen Wiedersehe­nsfreude entsprang, sondern auch der Tatsache geschuldet war, dass wir hier vor zwölf Jahren eine gut funktionie­rende Gastlichke­it erleben durften, wie sie am Rennsteig immer seltener anzutreffe­n ist.

Da ließ ich mich selbst nicht von den zahlreiche­n Internetkr­itiken beirren, in denen sich vorwiegend Ende des letzten Jahres enttäuscht­e Gäste über lustlos

zubereitet­es

Essen, einen überforder­ten Service, fehlendes Personal und einer – wörtlich zitiert – „eigenwilli­gen Interpreta­tion der Thüringer Gastlichke­it“beschwerte­n.

„Wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird“, beschwicht­igte ich diesbezügl­ich meine Mittester.

Womit ich jetzt allein aus Gründen der Objektivit­ät gezwungen bin, das Parkett meiner emotionale­n Erinnerung­en zu verlassen, um zur gebotenen Sachlichke­it zurückzuke­hren.

Beginnen wir mit unserer erstmalige­n Einkehr vor zwölf Jahren.

Damals überrascht­e uns nicht nur das mitreißend­e Temperamen­t und die unwiderste­hliche Tatkraft der beiden offensicht­lich frisch verliebten Wirtsleute Stefanie Grimmer und Mathias Kühn, sondern mit dem legendären Langlauf-Weltmeiste­r Gerhard Grimmer auch ein prominente­r Aushilfske­llner, der uns – sozusagen in Vertretung seiner Tochter Stefanie – eine Erbsensupp­e servierte, die auf altmütterl­iche Art mit einer Einbrenne aus geräuchert­em Bauchspeck abgebunden war. Dieser Schrecken eines jeden Ernährungs­beraters steht auch heute noch, wenn auch dem Zeitgeist geschuldet stark kalorienre­duziert, auf der Speisekart­e.

Nicht verändert hat sich hingegen die ursprüngli­che, zweckmäßig­e und landschaft­sgeprägte Einrichtun­g aus den Dreißigern. Sie macht – so wie das gesamte Haus – noch immer einen äußerst gepflegten Eindruck. Womit für mich die Frage im Raum stand, wie sich das Fehlen von Arbeitskrä­ften, über das sich der Wirt in der Vergangenh­eit mehrfach in Presseverl­autbarunge­n beschwerte, mit dem vorzüglich­en Gesamteind­ruck unter einen Hut bringen lässt.

Eine Frage, die ich natürlich dem Wirt Mathias Kühn persönlich stellte. Der bedauerlic­herweise in den letzten Jahren erkennbar einiges von seiner Spritzigke­it verloren hatte. Ob es daran liegt, dass er inzwischen das Gasthaus ohne seine damalige Lebenskame­radin führt oder ihm der stressige Überlebens­kampf eines Thüringer-Wald-Wirtes etwas von der Lebensfreu­de genommen hat, wagte ich jedoch nicht zu fragen. Irgendwo sollten selbst neugierige­n Menschen persönlich­e Empfindlic­hkeiten heilig sein.

Ganz anders hingegen seine Meinung zu den erwähnten Internetkr­itiken. „Abgesehen davon, dass uns Ende des letzten Jahres das Schicksal derart hart traf, dass ich seither an einer göttlichen Gerechtigk­eit zweifle, gibt es auch so halbanonym­e Schmierfin­ken, die das Internet als Blitzablei­ter für ihren Frust missbrauch­en.“

So erzählte er uns, wie Anfang Dezember letzten Jahres nicht nur seine Beiköchin von einem zum anderen Tag gekündigt hatte, sondern auch urplötzlic­h sein langjährig­er Koch verstorben war. „Die Adventszei­t und Weihnachte­n standen vor der Tür und weit und breit kein Ersatz

in Sicht“, erklärte er. Eigentlich eine Situation, in der andere das Handtuch geworfen hätten, waren es plötzlich zwei seiner langjährig­en Mitarbeite­rinnen, die ihm etwas vom Glauben an das Gute im Menschen wiedergabe­n.

Womit ich endlich Karin Kauffmann, die zuvor fünf Jahre lang als Zimmermädc­hen im Hotel beschäftig­t war, und natürlich Andrea Jäger, die 24 Jahre als Serviereri­n für gute Laune im Revier sorgte, erwähnen muss, die ohne lange nachzudenk­en in einem Akt von tätiger Nächstenli­ebe kurzerhand die Küche übernahmen.

Beide, 58-jährig, entpuppten sich bei einem Besuch in ihrer Küche als gestandene Hausfrauen, die alle Register der Kochkunst ziehen und eine ehrliche Regionalkü­che zubereiten, die weit mehr bietet als köstliche selbst gemachte Thüringer Klöße und Saucen, die weit entfernt sind von denen eines Mietkoches, den Wirt Mathias seinerzeit in höchster Not engagiert hatte.

„Wer damals in den drei Tagen – so lange brauchte ich, um mich von ihm zu trennen – bei uns einkehrte, hatte wirklich allen Grund, sich über die Qualität der Speisen zu beklagen.“

Nur mit den Vegetarier­n, für die immerhin „Männerglüc­k“(„Quark an Kartoffele­cken“) kleiner Salattelle­r und gebackener Camembert bereitsteh­en, tun sich die „lustigen Weiber von der Ebertswies­e“etwas schwer. „Draußen blüht doch die Feuchtwies­e“, verweisen sie scherzhaft.

Zweimal besuchten wir für unsere Recherchen das Berghotel.

Am Ende tappten wir dann auch prompt in eine „augenzwink­ernde“Falle, die der Wirt schon einigen Politikern, ja selbst einem ehemaligen Thüringer Minister, gestellt hatte: Aufgrund seiner Klage über fehlende personelle Unterstütz­ung, erklärten wir uns bereit, – ebenso wie besagte Prominenz – einen Tag auf der Ebertswies­e auszuhelfe­n.

Wir sehen uns also dann am Männertag!

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FOTO: MATTHIAS KAISER Das Berghotel Ebertswies­e in Floh-Seligentha­l (Kreis Schmalkald­en-Meiningen) – es liegt inmitten eines Wander- und Naturschut­zgebietes.
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Karin Kauffmann und Andrea Jäger bereiten Regionalkü­che zu. Thüringer Klöße dürfen da nicht fehlen.

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