Visitenkarten aus Weimar
Die Klassik-Stiftung zeigt eine große Goethe-Ausstellung in Bonn und präsentiert graphische Schätze in Paris
Mit ihren Kronjuwelen aus der Goethe-Zeit ist die Klassik-Stiftung jetzt an zwei großen, auswärtigen Ausstellungen namhaft beteiligt: In Bonn öffnet diesen Freitag unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier in der Bundeskunsthalle die laut Eigenwerbung „erste große Goethe-Ausstellung seit 25 Jahren“, und in Paris zeigt das Petit Palais vom 22. Mai an die Schau „Allemagne romantique“, die 139 der schönsten Blätter aus den Weimarer Graphischen Sammlungen präsentiert. So gibt die bundesweit zweitgrößte Kulturstiftung an strategisch klug gewählten Schauplätzen auf die nobelste Art ihre Visitenkarte ab, um für Reisen an die authentischen Orte der Deutschen Klassik zu werben.
Die Bonner Schau mit dem schlichten Titel „Goethe. Verwandlung der Welt“ist einerseits biografisch orientiert und stellt Leben und Werk des Dichters in neun Kapiteln ausführlich dar. Andererseits akzentuiert sie die epochalen Umbrüche in der Zeit um 1800 und charakterisiert Goethe als hellsichtigen Zeitdiagnostiker auf dem Weg von Humanismus und Aufklärung in die Moderne. Der gesellschaftspolitische Wandel im Zuge der Französischen Revolution, aber ebenso der Aufbruch ins Technikzeitalter, die Blüte der jungen Naturwissenschaften und nicht zuletzt die neuen Ansätze in den schönen Künsten, etwa auf dem Feld der Ästhetik, werden thematisiert und um die Wirkungsgeschichte des universell interessierten und gelehrten Dichters ergänzt.
So treten zum Beispiel Goethes „Farbenlehre“(1810) und die „Farbkugel“(1921) des Bauhäuslers Johannes Itten miteinander in Korrespondenz; raumgreifende politische Umbrüche in Europa signalisieren etwa ein Porträt des ungestümen „Weltgeists zu Pferde“, des Empereurs Napoleon Bonaparte, aus dem Kölnischen Stadtmuseum ebenso wie ein Bilddokument des Weimarer Fotografen Claus Bach, der 1989 auf dem Theaterplatz das Goethe- und Schiller-Denkmal mit dem Plakat „Wir bleiben hier“ablichtete.
Goethes Lebensstationen erschließen weitere Räume: Von der behüteten, gemütlichen Welt der Frankfurter Kindheit – ein Gemälde Johann Seekatz‘ zeigt die Familie idyllisch in Schäfertracht – über die eruptiven Gefühlswelten des Stürmers und Drängers samt seines Ich-Helden Werther, das als Arkadien verklärte, auf ausgiebigen Reisen erkundete italienische Kunst-Imperium der Antike und Renaissance, die Glaubenswelten der anbrechenden RomantikEpoche bis hin zum fernen, exotischen Orient, den Goethe sich etwa mit dem „west-östlichen Divan“und sogar mit kalligraphischen Schreibübungen zu erschließen versuchte. Nicht fehlen dürfen in diesem Kosmos der Akzent der Moderne, wie er sich im „Faust“, zumal dessen zweitem Teil, antizipierend niederschlägt, sowie das Phänomen der heutzutage so zeitgeistigen Selbstinszenierung, die Goethe bereits in seinem ureigenen Reich betrieb: dem über 50 Jahre hinweg zum Museum seiner selbst ausgestalteten Haus am Frauenplan.
Ein Gros der Exponate für die von Thorsten Valk und Sophie Borges mitkuratierten Bonner Schau kommt aus Weimar sowie vom Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt, dem Goethe-Museum Düsseldorf sowie der Casa di Goethe, Rom, als Kooperationspartnern. Doch schon das Verzeichnis der weiteren Leihgeber belegt, dass die Klassik-Stiftung aus eigener Kraft eine solch goetheanische Tour d‘horizont aus eigener Kraft kaum zu leisten imstande gewesen wäre.
Im Petit Palais zu Paris hingegen bildet Johann Wolfgang von Goethe eine omnipräsente Leerstelle. Nur ein einziges Aquarell von der Hand des unausgebildeten, natürlich begabten Kunstfexes befindet sich unter den 139 Weimarer Bildern in der Schau „Allemagne romantique 1780–1850“. Es zeigt eine italienische Landschaft, war lange Zeit Friedrich Bury zugeschrieben und wird nun erstmals öffentlich präsentiert. Allerdings charakterisiert die Ausstellung Goethe und seinen herzoglichen Freund Carl August als Kunstkenner und -sammler; sehr viele der Zeichnungen und Graphiken aus dieser Epoche wurden von ihnen angekauft und bilden einen Schwerpunkt in den Weimarer Graphischen Sammlungen. Denn Gemälde konnte man sich im kleinen Ilm-Arkadien – damals wie heute – kaum leisten.
Eingeweihte werden zudem erkennen, dass die Farbfolge der Räume im Hochparterre des feudalen Pariser Kunsttempels sich an der des Hauses am Frauenplan orientiert, wie Kurator Hermann Mildenberger mit Schmunzeln bemerkt. Im Obergeschoss kontrastiert die üppige Schau „Paris romantique 1815–1848“die Bilder aus Deutschland; eine dritte Ausstellung im Musée de la Vie romantique widmet sich zudem den literarischen Salons dieser Zeit. „Der Direktor Christophe Leribault ist ein alter Freund von mir“, erzählt Mildenberger. „Er hat immer gesagt: Wir machen mal eine Schau mit Weimarer Beständen.“
Jetzt ist es soweit, und Mildenberger, der gemeinsam mit Leribault und Gaëlle Rio kuratiert, gibt das Beste her, was er hat: zum Beispiel 27 exquisite Blätter von Johann Heinrich Füssli – „fast unser kompletter Bestand“, sämtliche sieben Caspar David Friedrichs und alle fünf Karl Friedrich Schinkels. Dazu Carstens und Tischbein, Runge, Zingg und die Kobells, jede Menge Nazarener und natürlich Moritz von Schwind, unter anderem mit Studien und Entwürfen für die Wartburg. „Ich bin froh, diesen Bestand einmal zeigen zu können“, gesteht Mildenberger; die Schau in Paris bildet die „deutsche Romantik“– die Franzosen rechnen in anderen Epochen – sehr vollständig und anschaulich als geschlossenen ästhetischen Kosmos ab.
Die französische Romantik im Obergeschoss trage, so Mildenberger, einen ganz anderen Gestus; sie sei extrovertierter, pathetischer, hedonistischer, wie es etwa Gemälde von Delacroix, Ingres oder Géricault demonstrieren. Dagegen pflegt ein Nazarener wie Julius Schnorr von Carolsfeld eine geradezu sublimierte Sinnlichkeit, wirken selbst Carstens und Tischbein stark verinnerlicht und wagt der Schweizer Solitär Füssli als Wegweiser der Schwarzen Romantik eine mystische Seelenschau. Den Höhepunkt bildet Caspar David Friedrich: „Das ist, was die Franzosen kennen und lieben“, weiß Hermann Mildenberger.
Seit Jahren hält der Leiter der Graphischen Sammlungen enge Kontakte nach Frankreich; bereits vorigen Sommer war er mit Goethe-Zeichnungen aus Weimar im Maison de Chateaubriand präsent. Ob es in der Klassikstadt wirklich keinen Bedarf gibt, solche eigenen Schätze zu zeigen, werden alsbald Nachfolger eruieren müssen. Aber wie die große „Faust“-Schau in München und der implizite Dialog Goethes und Chateaubriands werden die nun anstehenden Ausstellungen in Bonn und Paris keine zweite Auflage in Thüringen zeitigen. Hiesigen Klassik-Freunden bleibt nur, sich auf den Weg zu machen.