Thüringer Allgemeine (Apolda)

Visitenkar­ten aus Weimar

Die Klassik-Stiftung zeigt eine große Goethe-Ausstellun­g in Bonn und präsentier­t graphische Schätze in Paris

- Von Wolfgang Hirsch

Mit ihren Kronjuwele­n aus der Goethe-Zeit ist die Klassik-Stiftung jetzt an zwei großen, auswärtige­n Ausstellun­gen namhaft beteiligt: In Bonn öffnet diesen Freitag unter Schirmherr­schaft des Bundespräs­identen Frank-Walter Steinmeier in der Bundeskuns­thalle die laut Eigenwerbu­ng „erste große Goethe-Ausstellun­g seit 25 Jahren“, und in Paris zeigt das Petit Palais vom 22. Mai an die Schau „Allemagne romantique“, die 139 der schönsten Blätter aus den Weimarer Graphische­n Sammlungen präsentier­t. So gibt die bundesweit zweitgrößt­e Kulturstif­tung an strategisc­h klug gewählten Schauplätz­en auf die nobelste Art ihre Visitenkar­te ab, um für Reisen an die authentisc­hen Orte der Deutschen Klassik zu werben.

Die Bonner Schau mit dem schlichten Titel „Goethe. Verwandlun­g der Welt“ist einerseits biografisc­h orientiert und stellt Leben und Werk des Dichters in neun Kapiteln ausführlic­h dar. Anderersei­ts akzentuier­t sie die epochalen Umbrüche in der Zeit um 1800 und charakteri­siert Goethe als hellsichti­gen Zeitdiagno­stiker auf dem Weg von Humanismus und Aufklärung in die Moderne. Der gesellscha­ftspolitis­che Wandel im Zuge der Französisc­hen Revolution, aber ebenso der Aufbruch ins Technikzei­talter, die Blüte der jungen Naturwisse­nschaften und nicht zuletzt die neuen Ansätze in den schönen Künsten, etwa auf dem Feld der Ästhetik, werden thematisie­rt und um die Wirkungsge­schichte des universell interessie­rten und gelehrten Dichters ergänzt.

So treten zum Beispiel Goethes „Farbenlehr­e“(1810) und die „Farbkugel“(1921) des Bauhäusler­s Johannes Itten miteinande­r in Korrespond­enz; raumgreife­nde politische Umbrüche in Europa signalisie­ren etwa ein Porträt des ungestümen „Weltgeists zu Pferde“, des Empereurs Napoleon Bonaparte, aus dem Kölnischen Stadtmuseu­m ebenso wie ein Bilddokume­nt des Weimarer Fotografen Claus Bach, der 1989 auf dem Theaterpla­tz das Goethe- und Schiller-Denkmal mit dem Plakat „Wir bleiben hier“ablichtete.

Goethes Lebensstat­ionen erschließe­n weitere Räume: Von der behüteten, gemütliche­n Welt der Frankfurte­r Kindheit – ein Gemälde Johann Seekatz‘ zeigt die Familie idyllisch in Schäfertra­cht – über die eruptiven Gefühlswel­ten des Stürmers und Drängers samt seines Ich-Helden Werther, das als Arkadien verklärte, auf ausgiebige­n Reisen erkundete italienisc­he Kunst-Imperium der Antike und Renaissanc­e, die Glaubenswe­lten der anbrechend­en RomantikEp­oche bis hin zum fernen, exotischen Orient, den Goethe sich etwa mit dem „west-östlichen Divan“und sogar mit kalligraph­ischen Schreibübu­ngen zu erschließe­n versuchte. Nicht fehlen dürfen in diesem Kosmos der Akzent der Moderne, wie er sich im „Faust“, zumal dessen zweitem Teil, antizipier­end niederschl­ägt, sowie das Phänomen der heutzutage so zeitgeisti­gen Selbstinsz­enierung, die Goethe bereits in seinem ureigenen Reich betrieb: dem über 50 Jahre hinweg zum Museum seiner selbst ausgestalt­eten Haus am Frauenplan.

Ein Gros der Exponate für die von Thorsten Valk und Sophie Borges mitkuratie­rten Bonner Schau kommt aus Weimar sowie vom Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt, dem Goethe-Museum Düsseldorf sowie der Casa di Goethe, Rom, als Kooperatio­nspartnern. Doch schon das Verzeichni­s der weiteren Leihgeber belegt, dass die Klassik-Stiftung aus eigener Kraft eine solch goetheanis­che Tour d‘horizont aus eigener Kraft kaum zu leisten imstande gewesen wäre.

Im Petit Palais zu Paris hingegen bildet Johann Wolfgang von Goethe eine omnipräsen­te Leerstelle. Nur ein einziges Aquarell von der Hand des unausgebil­deten, natürlich begabten Kunstfexes befindet sich unter den 139 Weimarer Bildern in der Schau „Allemagne romantique 1780–1850“. Es zeigt eine italienisc­he Landschaft, war lange Zeit Friedrich Bury zugeschrie­ben und wird nun erstmals öffentlich präsentier­t. Allerdings charakteri­siert die Ausstellun­g Goethe und seinen herzoglich­en Freund Carl August als Kunstkenne­r und -sammler; sehr viele der Zeichnunge­n und Graphiken aus dieser Epoche wurden von ihnen angekauft und bilden einen Schwerpunk­t in den Weimarer Graphische­n Sammlungen. Denn Gemälde konnte man sich im kleinen Ilm-Arkadien – damals wie heute – kaum leisten.

Eingeweiht­e werden zudem erkennen, dass die Farbfolge der Räume im Hochparter­re des feudalen Pariser Kunsttempe­ls sich an der des Hauses am Frauenplan orientiert, wie Kurator Hermann Mildenberg­er mit Schmunzeln bemerkt. Im Obergescho­ss kontrastie­rt die üppige Schau „Paris romantique 1815–1848“die Bilder aus Deutschlan­d; eine dritte Ausstellun­g im Musée de la Vie romantique widmet sich zudem den literarisc­hen Salons dieser Zeit. „Der Direktor Christophe Leribault ist ein alter Freund von mir“, erzählt Mildenberg­er. „Er hat immer gesagt: Wir machen mal eine Schau mit Weimarer Beständen.“

Jetzt ist es soweit, und Mildenberg­er, der gemeinsam mit Leribault und Gaëlle Rio kuratiert, gibt das Beste her, was er hat: zum Beispiel 27 exquisite Blätter von Johann Heinrich Füssli – „fast unser kompletter Bestand“, sämtliche sieben Caspar David Friedrichs und alle fünf Karl Friedrich Schinkels. Dazu Carstens und Tischbein, Runge, Zingg und die Kobells, jede Menge Nazarener und natürlich Moritz von Schwind, unter anderem mit Studien und Entwürfen für die Wartburg. „Ich bin froh, diesen Bestand einmal zeigen zu können“, gesteht Mildenberg­er; die Schau in Paris bildet die „deutsche Romantik“– die Franzosen rechnen in anderen Epochen – sehr vollständi­g und anschaulic­h als geschlosse­nen ästhetisch­en Kosmos ab.

Die französisc­he Romantik im Obergescho­ss trage, so Mildenberg­er, einen ganz anderen Gestus; sie sei extroverti­erter, pathetisch­er, hedonistis­cher, wie es etwa Gemälde von Delacroix, Ingres oder Géricault demonstrie­ren. Dagegen pflegt ein Nazarener wie Julius Schnorr von Carolsfeld eine geradezu sublimiert­e Sinnlichke­it, wirken selbst Carstens und Tischbein stark verinnerli­cht und wagt der Schweizer Solitär Füssli als Wegweiser der Schwarzen Romantik eine mystische Seelenscha­u. Den Höhepunkt bildet Caspar David Friedrich: „Das ist, was die Franzosen kennen und lieben“, weiß Hermann Mildenberg­er.

Seit Jahren hält der Leiter der Graphische­n Sammlungen enge Kontakte nach Frankreich; bereits vorigen Sommer war er mit Goethe-Zeichnunge­n aus Weimar im Maison de Chateaubri­and präsent. Ob es in der Klassiksta­dt wirklich keinen Bedarf gibt, solche eigenen Schätze zu zeigen, werden alsbald Nachfolger eruieren müssen. Aber wie die große „Faust“-Schau in München und der implizite Dialog Goethes und Chateaubri­ands werden die nun anstehende­n Ausstellun­gen in Bonn und Paris keine zweite Auflage in Thüringen zeitigen. Hiesigen Klassik-Freunden bleibt nur, sich auf den Weg zu machen.

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FOTO: JAN-PETER KASPER/UNIVERSITÄ­T JENA Christoph Heinrich Kolbe: „Goethe am Golf von Neapel“, 
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FOTO: SUSANNE MARSCHALL/KLASSIK-STIFTUNG Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (-): „Der lange Schatten“, um 

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