Begehrtes Juwel
Deutschlands jüngster WM-Spieler Moritz Seider stammt aus dem Erfurter Eishockey-Nachwuchs
Er hat mächtig Stress in diesen Tagen. Alle reißen sich um das deutsche Eishockey-Wunderkind. Medien, Fans und Späher aus aller Welt, Doch Moritz Seider ist selbst schuld. Nicht genug, dass er ganze vier Tage nach seinem Debüt für die deutsche Nationalmannschaft die WM-Bühne in der Slowakei betrat. Der hoch aufgeschossene Lockenkopf erzielte inzwischen auch schon zwei Turniertreffer für sein Team, in dem er mit 18 Jahren der mit Abstand Jüngste ist.
„Es ist alles noch ein bisschen irreal“, sagte Seider anschließend. Und manchmal muss er sich selbst kneifen, um zu begreifen, was momentan um ihn herum passiert. Der Hype ist riesig. Schon jetzt wird ihm eine große Karriere in der NHL vorausgesagt. In den Notizblöcken der Scouts ist er längst fest vermerkt. Und wenn im Juni die besten Nachwuchskräfte auf die nordamerikanischen Clubs verteilt werden, gilt der Verteidiger als eines der begehrtesten Juwele.
Thomas Belitz nickt anerkennend: „Moritz wird seinen Weg gehen. Da bin ich mir sicher. Er hat alles, was es dazu braucht: die Einstellung, den Körper und den Kopf.“Belitz, der langjährige sportliche Leiter des EHC Erfurt und Trainer der „Black Dragons“, kennt Seider von klein auf und war bis 2015 auch dessen Lehrer am Erfurter Sportgymnasium. „Ein richtig guter Junge; immer freundlich, hilfsbereit – und extrem lernwillig.“ Eine Eigenschaft, die schon zeitig zum Vorschein trat. Durch einen Schnupperkurs mit dem Kindergarten war Seider erstmals mit Schlittschuhen und dem Eis in Berührung gekommen. Der Eishockey-Virus hatte das Bewegungstalent schnell gepackt. „Moritz war ein Sportler durch und durch. Das war früh zu sehen“, erinnert sich Jugendtrainer Henry Tews und gerät ins Schwärmen, wenn er seinen einstigen Schützling jetzt bei der WM im Fernsehen verfolgt. „Ich freue mich sehr für ihn – und auch für uns als Verein, weil es eine Bestätigung für unsere gute Nachwuchsarbeit ist“, sagt Tews, der mittlerweile Belitz als sportlichen Leiter im Verein beerbt hat.
Dass der EHC Erfurt für Seider nur das Sprungbrett in höhere Sphären sein kann, zeichnete sich schon in jungen Jahren ab. Weil er trotz aller Veranlagung immer dazu lernen wollte und im Trainingseifer nie nachließ, kam der Defensivspieler alsbald regelmäßig bei den älteren Jahrgängen zum Einsatz. Eine harte, aber gute Schule.
Nach der achten Klasse, mit 14 Jahren, zieht es ihn an den Stützpunkt nach Mannheim. Aus dem kleinen Drachen wird ein junger Adler. Für seinen Förderer Tews der „logische Schritt, um sich weiterzuentwickeln“. In der Kaderschmiede des Rekordmeisters setzte sich der rasante Aufstieg des Ausnahmetalents unaufhaltsam fort. Mit gerade einmal 16 Jahren, sechs Monaten und 19 Tagen feierte Seider seinen Einstand in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) und verpasste damit nur knapp den Rekord seines Teamkollegen: Marcel Goc war mit 16 Jahren und 17 Tagen erstmals in der DEL aufgelaufen und schlug wenig später eine glänzende NHLLaufbahn ein (699 Einsätze).
Im September 2018 schoss der 1,92 Meter-Hüne Seider sein erstes DEL-Tor. Einen Konter vollendete der damals 17-Jährige wie ein alter Hase – und sicherte sich hinterher den Puck zur Erinnerung. Rasch avancierte er bei den Adlern zu einer festen Größe und wurde nach der Hauptrunde zum besten Rookie (Neuling) der Liga gewählt. Dass er mit Mannheim am Ende sogar die deutsche Meisterschaft bejubeln konnte, stellte die Krönung seiner ersten Profisaison dar.
„Moritz ist vom Kopf her weiter entwickelt als viele andere in seinem Alter“, lobt Bundestrainer Toni Söderholm das EHCGewächs: „Er traut sich Sachen auf dem Eis zu, er studiert seine Mitspieler, lernt sehr schnell. Er ist hungrig, etwas zu erreichen“, sagt der Finne. Deshalb überlegte er nicht lange und nahm Seider nach nur einem Länderspiel mit zur WM. „Davon träumt jeder kleine Junge“, sagt der Hochgelobte. „Dass es jetzt schon so weit ist, ist unheimlich schön.“
Mit ihm freuen sich seine einstigen Wegbegleiter bei den Drachen, zu denen der Kontakt nie abgerissen ist. Henry Tews wird ihn am Wochenende in der Slowakei live sehen und findet: „Sein Erfolg bedeutet nicht nur Anerkennung für uns als Trainer, sondern sollte auch Ansporn für unsere jungen Spieler sein. An Moritz können sie sehen, dass es von Erfurt aus möglich ist, Nationalspieler zu werden.“
Und vielleicht NHL-Star.
Im Notizblock der NHL-Späher