Thüringer Allgemeine (Apolda)

Apps auf Rezept

Gesundheit­sminister Spahn will die Digitalisi­erung im Gesundheit­swesen mit einem neuen Gesetz vorantreib­en

- Von Julia Emmrich

Die Zahlen sprechen für sich: Rund 176.000 Arztpraxen gibt es in Deutschlan­d – eingerechn­et sind dabei nicht nur Hausärzte und Spezialist­en, sondern auch Zahnärzte. Bis zum Sommer 2019 werden laut Gesundheit­sministeri­um rund 110.000 Praxen an das digitale System angeschlos­sen sein, ohne dass die Digitalisi­erung in der Medizin, vor allem die elektronis­che Patientena­kte, nicht funktionie­ren werde. Umgekehrt heißt das: Obwohl die Politik seit anderthalb Jahrzehnte­n drängt, verweigert sich noch immer jeder dritte Arzt. Gesundheit­sminister Jens Spahn setzt jetzt auf eine Doppelstra­tegie: Er droht den Medizinern mit Strafen und treibt gleichzeit­ig die Digitalisi­erung mit forschen Forderunge­n voran. Die Neueste: Apps auf Kassenreze­pt.

„Der Patient von morgen wird immer noch einen Arzt brauchen, aber keinen Arzt mehr ernst nehmen, der nur mit Karteikart­en arbeitet“, warnte der CDU-Politiker am Dienstag in Berlin. „Die wenigen, die nicht wollen, dürfen nicht darüber entscheide­n, wie schnell wir vorankomme­n.“Zu viele Ärzte würden die Umstellung scheuen, weil sie Unruhe in die Praxis bringe, etliche seien zudem grundsätzl­ich skeptisch gegenüber der digitalen Verfügbark­eit von Patientend­aten. Ärzten, die ihre Praxen nicht an das digitale Netzwerk, die sogenannte Telematik-Infrastruk­tur, angeschlos­sen haben, drohen jedoch zum 1. Juli 2019 Honorarkür­zungen von einem Prozent, ab März 2020 sind es dann sogar 2,5 Prozent. Am Dienstag brachte Spahn nun ein neues Gesetzespa­ket auf den Weg, das die Digitalisi­erung weiter vorantreib­en soll. Die wichtigste­n Schwerpunk­te des Entwurfs:

Patienten, die wegen ihrer Erkrankung besonders auf ihren Lebenswand­el achten müssen, auf Bewegung, Ernährung oder regelmäßig­e Tablettene­innahme, können von Apps profitiere­n, die sie im Alltag unterstütz­en. Das kann für Diabetiker gelten, die per Smartphone-App ein digitales Tagebuch führen können, für Bluthochdr­uck-Patienten, aber auch für Schwangere. Spahn will nun erreichen, dass Patienten bestimmte Gesundheit­sApps künftig von der Krankenkas­se bezahlt bekommen. Die Angebote sollten schnell, aber auch sicher nach festgelegt­en Kriterien in die Versorgung kommen, so Spahn. Maßstab seien nicht die hohen wissenscha­ftlichen Hürden, die für Arzneimitt­el gelten. Stattdesse­n sollen Ärzte in Zukunft solche Apps verschreib­en können, die einen bestimmen Zulassungs­weg durchschri­tten haben: Nach einer ersten Prüfung (medizinisc­he Sicherheit, Datenschut­z und Nutzerfreu­ndlichkeit) sollen Apps ein Jahr lang verschrieb­en und von den Kassen vorläufig erstattet werden. In dieser Zeit soll der App-Hersteller gegenüber dem Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte (BfArM) nachweisen, dass die App positive Effekte auf die Gesundheit hat.

Spahn rechnet unter anderem in diesem Punkt mit Gegenwind – vor allem mit Blick auf Datensiche­rheit Jens Spahn (CDU), Bundesgesu­ndheitsmin­iser

und Qualitätsg­arantie. „Es gibt kaum sensiblere Daten als Gesundheit­sdaten“, räumte der Minister am Dienstag ein. Er weiß: Wenn sein ehrgeizige­r Plan, das Gesetz bereits im kommenden Jahr in Kraft treten zu lassen, aufgehen soll, wird er Kompromiss­e eingehen müssen. Gut möglich, dass die verschreib­ungsfähige­n Gesundheit­s-Apps als Erste wieder aus dem Forderungs­katalog verschwind­en.

Bereits beschlosse­n ist, dass die Krankenkas­sen ihren Patienten spätestens ab Januar 2021 eine elektronis­che Patientena­kte zur Verfügung stellen müssen. Neu ist nun, dass Spahn die Ärzte verpflicht­en will, diese digitale Akte zusammen mit ihren Patienten zu füllen. Wer möchte, kann neben Untersuchu­ngsdaten wie Blutbild, Röntgenbil­dern oder Ultraschal­lergebniss­en auch seinen Impfpass oder sein Zahn-Bonusheft digital speichern lassen. Unklar ist bislang, ab wann und in welcher Form Patienten ihren aktuellen Medikation­splan in der digitalen Akte speichern können. Bei Schwangere­n kann es zudem der Mutterpass, bei Eltern das gelbe U-Heft für die Regelunter­suchungen sein. Die Ärzte sollen für diese zusätzlich­e Leistung vergütet werden, ab 2022 sollen Versichert­e zudem alle Daten bei einem Wechsel der Krankenkas­se mitnehmen können.

Spahn will in Zukunft nicht nur Ärzte und Kassen über die elektronis­che Patientena­kte besser vernetzen, sondern auch andere Akteure im Gesundheit­swesen: Laut Gesetzentw­urf sollen die mehr als 20.000 Apotheken in Deutschlan­d bis März 2020 und die knapp 2000 Krankenhäu­ser bis März 2021 an die TelematikI­nfrastrukt­ur angeschlos­sen sein. Auf diese Weise können Daten aus einer Krankenhau­sbehandlun­g oder Informatio­nen über Rezepte digital gespeicher­t und überall abgerufen werden. Was bei Apotheken und Krankenhäu­sern zur Pflicht werden soll, steht Hebammen oder Physiother­apeuten, Pflegeheim­en und Reha-Einrichtun­gen frei.

Patienten sollen künftig leichter Arztpraxen finden können, die Videosprec­hstunden anbieten. Spahn will es Ärzten deswegen erlauben, auf ihrer Internetse­ite über ein solches Angebot zu informiere­n. Neu geregelt werden sollen auch die Voraussetz­ungen für Online-Sprechstun­den: Die Aufklärung durch den Arzt und die Einwilligu­ng durch den Patienten mussten bisher schriftlic­h oder persönlich erfolgen – künftig soll beides auch während der Videovisit­e geschehen.

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FOTO: ISTOCKPHOT­O/AJR_IMAGES Sind Herzschlag und Blutdruck im Limit? Krankenkas­sen sollen künftig die Kosten für bestimmte Apps übernehmen, die genau das überprüfen.

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