Thüringer Allgemeine (Apolda)

Zank ums Dach für Notre-Dame

Nach dem Feuer in der Kathedrale ist ein Kampf zwischen Traditiona­listen und Modernisie­rern entbrannt

- Von Peter Heusch

Wer wird siegen? Die Traditiona­listen oder die Modernisie­rer? Seit die französisc­he Regierung einen internatio­nalen Architektu­rwettbewer­b für den Wiederaufb­au der Mitte April durch einen Großbrand schwer beschädigt­en Pariser Kathedrale Notre-Dame angekündig­t hat, ist in Frankreich ein heftiger Streit um das neue Gesicht der Kirche entbrannt. Während die einen eine originalge­treue Restaurati­on des frühgotisc­hen Prachtbaus fordern, plädieren die anderen nicht weniger nachdrückl­ich für eine „scheuklapp­enfreie“Neugestalt­ung der acht Jahrhunder­te alten Basilika.

Die Fantasien von Architekte­n aus aller Welt, die erste Entwürfe für die Renovierun­g der Pariser Kathedrale vorstellte­n, schießen regelrecht in den Himmel. So schlägt ein brasiliani­sches Büro ein neues Dach aus Kirchenfen­stern vor.

Für besonderes Aufsehen sorgt ein russischer Architekt: Er stellt sich für Notre-Dame ein avantgardi­stisches Glasdach vor – für die Traditiona­listen ein Schlag ins Gesicht. Auch nicht viel besser aus ihrer Sicht ist der Vorschlag eines Pariser Designers, der mit einer riesigen goldenen Flamme auf dem restaurier­ten Dachrücken ins Rennen geht.

Ein slowakisch­er Architekt kokettiert mit der Ökobewegun­g: Er will einen Wald aus Bäumen auf dem Dachstuhl ansiedeln, dessen ursprüngli­che Holzkonstr­uktion im Volksmund „la forêt“(Wald) genannt wurde.

Der Aufschrei ist groß: 1170 französisc­he und internatio­nale Kunstexper­ten machen in einer Petition darauf aufmerksam, dass die Expertise der Denkmalsch­ützer übergangen zu werden droht. Sie fordern dazu auf, sich Zeit zu nehmen, und werfen dem Präsidente­n Emmanuel Macron vor, die „Komplexitä­t des Denkens“auf dem „Altar der Effizienz“zu opfern.

Jüngst aber haben die Modernisie­rer den ersten Sieg errungen: Nach einer hitzigen und mehr als 13-stündigen Debatte verabschie­dete die Nationalve­rsammlung ein Sondergese­tz, welches es der Regierung erlaubt, bei der Renovierun­g von Notre-Dame geltende Denkmal-, Urbanismus- und Umweltschu­tzbestimmu­ngen zu unterlaufe­n.

Das Votum der Abgeordnet­en soll Macron die Möglichkei­t geben, ein noch in der Brandnacht ausgesproc­henes Verspreche­n einzulösen: Notre-Dame werde wieder aufgebaut, hatte das Staatsober­haupt gelobt – und zwar innerhalb von fünf Jahren und „schöner als zuvor“. Grund genug für die Opposition, dem Präsidente­n vorzuwerfe­n, er wolle das Zepter der Renovierun­g an sich reißen und die eigentlich zuständige­n Gremien kaltstelle­n. Im Mittelpunk­t der Kritik steht dabei Macrons „Größenwahn“.

Jedenfalls scheint Präsident Macron fest entschloss­en, die Renovierun­g so rasch voranzutre­iben, dass sie vor dem Beginn der Olympische­n Sommerspie­le im Jahr 2024 in Paris abgeschlos­sen ist.

Zum Entsetzen der Traditiona­listen hat Macron bereits erklärt, dass er sich beim Wiederaufb­au des eingestürz­ten Mittelturm­s durchaus eine „zeitgenöss­ische Geste“, also eine moderne Gestaltung, vorstellen könne.

 ??  ??
 ??  ?? Schauspiel­er
Schauspiel­er

Newspapers in German

Newspapers from Germany