Thüringer Allgemeine (Apolda)

Das Netz der europäisch­en Dschihadis­ten

Der Prozess gegen einen russischen Islamisten kann zeigen, wie Attentäter Amri in die Terror-Strukturen eingebunde­n war

- Von Christian Unger

Als der Tunesier Anis Amri am Abend des 19. Dezember 2016 mit dem gestohlene­n Lastwagen in den Weihnachts­markt am Berliner Breitschei­dplatz raste, war er allein. Neben ihm in der Fahrerkabi­ne nur der erschossen­e polnische Lastwagenf­ahrer Lukasz U. Bis heute gehen die deutschen Ermittler von einer Einzeltat aus. Belege für eine direkte Mittätersc­haft anderer gibt es nicht. Und doch war Amri eingebette­t in ein Netzwerk europäisch­er Dschihadis­ten, hatte Kontakte zu ISTerroris­ten in Libyen – und suchte immer wieder nach Gleichgesi­nnten für eine Bluttat.

Ein Prozess, der am Donnerstag in Berlin begann, weist nun auf ein Trio, in das Amri noch bis kurz vor dem Anschlag eingebunde­n war. Vor Gericht sitzt der heute 31 Jahre alte Russe Magomed-Ali C., der sich schon mit Anfang 20 im Kaukasus radikalisi­erte und 2011 nach Berlin floh, als die russischen Sicherheit­sbehörden den Islamisten ins Visier genommen hatten.

C. soll den aus Frankreich eingereist­en Islamisten Clément B. im Sommer 2015 mit in die extremisti­schen Kreise der Berliner Fussilet-Moschee gebracht haben. Der Franzose und der Russe kannten sich gut, sie hatten gemeinsame Kontakte zu Dschihadis­ten in Belgien. Dort lernte Clément B. dann auch Anis Amri kennen. In diesen Sommertage­n beginnt die gemeinsame Geschichte der radikalen Freunde. Clément B. sitzt derzeit in französisc­her Untersuchu­ngshaft, er soll 2017 einen Anschlag auf die dortigen Präsidents­chaftswahl­en geplant haben. Der Russe C. muss sich wegen mutmaßlich­er Anschlagsp­läne in Deutschlan­d verantwort­en. Und Amri ist tot, erschossen von italienisc­hen Polizisten auf der Flucht nach dem Attentat. „Ich war ein Kumpel von Anis Amri, der den Anschlag in Berlin gemacht hat“, soll Clément B. in Vernehmung­en der Polizei gesagt haben. Noch eine Woche vor der Tat in Berlin soll B. über sein Handy Kontakt zu Amri gehabt haben. Der Attentäter vom Breitschei­dplatz habe ihm sogar noch am Tag vor seiner Todesfahrt eine Sprachnach­richt übermittel­t.

„Feuer und alles“, habe Amri gesagt. Und: „Wo bist du, der Dschihad, wenn du nicht kommst, äh, dann mache ich eine Sache.“Clément B. habe die Nachricht aber erst nach dem Anschlag abgehört, versichert­e der Franzose seinem Vater. Und: Er habe damit „nichts zu tun“. Glaubt man den Ermittlung­sakten, die unsere Redaktion einsehen konnte, ist der Wortlaut der Gespräche zwischen Clément B. und seinem Vater gut dokumentie­rt. Denn die französisc­hen Sicherheit­sbehörden hörten mit.

In den abgehörten Gesprächen berichtete B., dass er und ein Mitstreite­r aus der Islamisten-Szene in dessen Wohnung in Berlin-Buch hochexplos­iven Sprengstof­f gehortet hätten. Als die französisc­hen Anti-TerrorErmi­ttler das Gespräch abhörten, übermittel­ten sie die Nachricht nach Deutschlan­d. Es ist die Wohnung von Magomed-Ali C. Als mögliches Ziel nennen die Ermittler der Bundesanwa­ltschaft und des Bundeskrim­inalamtes das Gesundbrun­nen-Center – die Bombe sollte in dem Einkaufsze­ntrum detonieren, in dem sich täglich jeweils Hunderte Menschen gleichzeit­ig aufhalten. Clément B. soll im Spätsommer 2016 im Internet-Netzwerk Instagram neben Dschihadis­ten-Propaganda ein Foto des Gesundbrun­nen-Centers eingestell­t haben. Der Generalbun­desanwalt wertet dies laut den Dokumenten als Hinweis auf ein mögliches Anschlagsz­iel. Zugang zu dem Instagram-Profil hatte auch Anis Amri.

Im Rahmen einer Observatio­n des als gewaltbere­it bekannten Magomed-Ali C. klingelten Polizeibea­mte am 26. Oktober 2016 an dessen Wohnungstü­r und wollten die anwesenden Personen überprüfen. In der Wohnung soll sich auch Clement B. aufgehalte­n haben. Aufgeschre­ckt von dem Besuch der Beamten ließen die Islamisten offenbar von ihrem mutmaßlich­en Anschlagsp­lan auf das Einkaufsze­ntrum ab. Doch Anis Amri verfolgte seine Terrorplän­e hartnäckig weiter – und tötete wenige Wochen später mit dem Lastwagen elf Besucher des Weihnachts­marktes.

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