Thüringer Allgemeine (Apolda)

Erster Traktor aus Zwickau rollte vor 70 Jahren vom Band

Der Pionier war der einzige Schlepper aus den Horch-Werken

- Von Claudia Drescher

Fast schon liebevoll streicht Steffen Wagner über den Kühler des dunkelgrün­en Traktors. „Das Tuckern eines Traktormot­ors verursacht mir Gänsehaut wie bei anderen ein Porsche oder Ferrari“, meint der Vereinsche­f der Bulldog- und Schlepperf­reunde Zwickau-Auerbach.

Über den 70 Jahre alten Ackerschle­pper gerät er ins Schwärmen: Der kantige „Pionier“ist der einzige Traktor, der jemals in Zwickau gebaut wurde. Am 21. Mai 1949 rollten die ersten dieser schweren Landmaschi­nen mit 3300 Kilogramm Leergewich­t aus der improvisie­rten Taktstraße – dort waren vor Kriegsbegi­nn unter dem Namen des Autopionie­rs August Horch noch elegante Oberklasse-Wagen gebaut worden.

Es sei ein Glücksfall gewesen, dass in der Automobils­tadt Zwickau, in der Horch 1904 sein Unternehme­n gründete, aus dem später Audi hervorging, überhaupt Traktoren gebaut wurden, erzählt Wagner. Weil die Zwickauer bereits vor dem Zweiten Weltkrieg eine Lizenz der Fahrzeug- und Motorenwer­ke (Famo) in Breslau für einen Traktor erworben hatten, habe man die Serienprod­uktion vergleichs­weise schnell aufnehmen können. „Das Werk stand unter Reparation, man brauchte dringend Arbeit, um die Leute beschäftig­en zu können.“

„Um Devisen zu erwirtscha­ften, musste man Güter herstellen, die wirtschaft­lich waren und gebraucht wurden“, sagt Jürgen Pönisch, Horch-Biograf und Mitglied im Fördervere­in des Zwickauer August-HorchMuseu­ms, in dessen Dauerausst­ellung ein „Pionier“Baujahr 1953 steht. Mit dem Automobilb­au allein wäre man völlig ins Hintertref­fen geraten, so seine Einschätzu­ng.

Zur Not also Traktoren. Zunächst gab es jedoch Anlaufschw­ierigkeite­n, weil das Material infolge der Reparation­sleistunge­n knapp war. Mit Befehl Nummer 133 des Oberkomman­dierenden der Besatzungs­macht vom 8. August 1948 änderte sich das: Bereits im Jahr 1949 sollten 500 Stück geliefert werden und „1950 der Ausstoss an Traktoren auf 4000 Stück im Jahre heraufgedr­ückt werden“, wie aus Unterlagen im Sächsische­n Staatsarch­iv hervorgeht.

Bis Jahresende 1949 wurden 350 Traktoren unter der Marke IFA (kurz für Industriev­erband Fahrzeugba­u) gebaut, in die das Horch-Werk eingeglied­ert worden war. In rund eineinhalb Jahren Zwickauer Produktion waren es 2605 Landmaschi­nen, wie Pönisch recherchie­rt hat. Ende 1950 habe man die Fertigung nach Nordhausen in Thüringen verlagert, weil in Zwickau Kapazitäte­n für den ersten eigenständ­ig entwickelt­en DDR-Lkw benötigt wurden.

Vom „Pionier“wurden bis 1956 rund 20.000 Stück gebaut. Der Radschlepp­er gilt Wagner zufolge als wichtigste Maschine in der Landwirtsc­haft der frühen DDR. Nach Schätzung der Zwickauer Traktorenf­ans dürften bundesweit noch etwa 1000 „Pioniere“vorhanden sein. (dpa)

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Im Herbst  begannen im Werk Horch die Arbeiten am Traktor „Pionier“auf der Basis einer Vorkriegsk­onstruktio­n der Breslauer Famo-Werke.
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FOTO: CLAUDIA DRESCHER/DPA/ZB Ein „Pionier“in der Dauerausst­ellung des August-Horch-Museums in Zwickau.

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