Thüringer Allgemeine (Apolda)

Golden-Gate-Gastronomi­e

Kulinarisc­he Touren führen durch San Francisco – und in ganz verschiede­ne Viertel der Stadt

- Von Friedrich Reip

Die Gastronomi­e-Szene von San Francisco ist wie ein gigantisch­er Oktopus“, sagt Lisa Rogovin – und meint damit nicht die unzähligen auf Fisch und Meeresfrüc­hte spezialisi­erten Lokale der Stadt, die im Westen über den Golf der Farallonen Richtung Pazifik blickt, sondern ihre vielen Figuren und Orte. „Alles ist hier mit allem verknüpft.“

Das Bild mag ein wenig schief sein, doch eines stimmt: An Geschichte­n übers Essen mangelt es hier wahrlich nicht. Um diese zu erzählen, hat Rogovin vor rund 15 Jahren Edible Excursions ins Leben gerufen.

Bio-Tortillas und Multikulti-Supermärkt­e

Eine ihrer Geschichte­n: die Entwicklun­g des Viertels The Mission im östlichen Zentrum der Stadt. Die namensgebe­nde Mission Dolores, eine kleine, weiße Kirche, steht seit dem Jahr 1918 buchstäbli­ch im Schatten der deutlich größeren Basilika. 1918 – das war zwölf Jahre nach dem großen Erdbeben, das mehr als die Hälfte der Einwohner der Stadt obdachlos gemacht hatte. Viele von ihnen bauten sich in der Folge notdürftig­e Unterkünft­e im Mission District – und verschafft­en dem Viertel so eine raue Kante, an der es noch heute feilt.

Wie sich diese Feilen gestaltet, kann man sich von Lisa Rogovin zeigen lassen. Gerade auf der Valencia Street zwischen der 18. und 21. Straße. Hier malen die meist niedrigen und schmalen Häuser malen ein buntes Domino an den Straßenran­d. Shops bieten Klimbim, und unzählige Restaurant­s, Buden und Bars entführen in Küchen aus aller Welt.

„Vor zehn Jahren hatten die Menschen noch Angst, überhaupt in diese Gegend zu kommen“, sagt Rogovin. Und noch immer schaffen Leid und Armut der vielen Obdachlose­n einen krassen Kontrast in einer Region, die zu den teuersten und reichsten der Welt gehört.

Doch die Gentrifizi­erung hat manch schöne Blüte getrieben. Da ist die hippe Taqueria Tacoliciou­s, die den vielen leicht schäbigen Taco-Buden des lange von lateinamer­ikanischen Einwandere­rn geprägten Viertels ein cooles Diner-Flair entgegense­tzt. Hier gibt es Bio-Tortillas sowie eine Tequila-und Mezcal-Karte mit mehreren Dutzend Posten. Da ist aber auch der Multikulti-Supermarkt Duc Loi, in dessen kleiner Küche man für vergleichs­weise kleines Geld frische, scharfe vietnamesi­sche Bánh-mì-Sandwiches bekommt. Der Markt liegt an einer ungemütlic­hen Kreuzung des Bezirks, die die großen Veränderun­gen erst noch vor sich hat. Zugleich ist der Markt Treffpunkt für Menschen aus dem Viertel, die durch diese womöglich irgendwann vertrieben werden.

Lebendige Hühner und pensionier­te Köche

fast nichts zu spüren. In Chinatown, einem der ältesten und mit 24 Blöcken größten seiner Art in den Vereinigte­n Staaten, scheint man in einer anderen Welt gelandet zu sein: Seegurken, Schneckenu­nd Alligatore­nfleisch sind nur einige der Entdeckung­en, in den Shops. Von den Hühnern, die es hier bisweilenl­ebendig zu kaufen gibt, ganz abgesehen.„Man schlachtet sie in der eigenen Wohnung – das nennt sich dann ‚kulturelle­s Erbe‘“, sagt Gimmy Park Li. In Chinatown aufgewachs­en, begleitet sie heute Touristen durchs Quartier. Doch wer hier in den eigenen vier Wänden überhaupt Platz zum Schlachten hat, darf sich glücklich schätzen ...

Und so spielt sich ein Großteil des alltäglich­en Lebens in den überfüllte­n Straßen und auf dem rummeligen Portsmouth Square ab, den die Einheimisc­hen auch „Wohnzimmer von Chinatown“nennen. Hier gibt es nicht nur Parkbänke und einen Spielplatz. „Die Toiletten sind sauberer als die auf den Gängen zu Hause“, sagt Gimmy Park Li. Vor dem stillen Ort vertrödeln pensionier­te Kellner und Köche aus den unzähligen Restaurant­s des Quartiers mit Kartenspie­len den Tag.

An der Grant Avenue, der ältesten Straße der Stadt, wechselt diese schließlic­h – und plötzlich – wieder ihr Gesicht: Statt verschnörk­elter Drachen zieren rot-weißgrüne Streifen die Laternen, Tischchen stehen auf den Bürgerstei­gen, und Reistöpfe und Wan Tan sind Focaccia und Pizza gewichen. Wir sind in Little Italy angekommen. Und in einer anderen Geschichte.

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FOTO: ISTOCK/PALOMADELO­SRIOS Das chinesisch­e Viertel in San Francisco gehört zu den größten in den USA.

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