Golden-Gate-Gastronomie
Kulinarische Touren führen durch San Francisco – und in ganz verschiedene Viertel der Stadt
Die Gastronomie-Szene von San Francisco ist wie ein gigantischer Oktopus“, sagt Lisa Rogovin – und meint damit nicht die unzähligen auf Fisch und Meeresfrüchte spezialisierten Lokale der Stadt, die im Westen über den Golf der Farallonen Richtung Pazifik blickt, sondern ihre vielen Figuren und Orte. „Alles ist hier mit allem verknüpft.“
Das Bild mag ein wenig schief sein, doch eines stimmt: An Geschichten übers Essen mangelt es hier wahrlich nicht. Um diese zu erzählen, hat Rogovin vor rund 15 Jahren Edible Excursions ins Leben gerufen.
Bio-Tortillas und Multikulti-Supermärkte
Eine ihrer Geschichten: die Entwicklung des Viertels The Mission im östlichen Zentrum der Stadt. Die namensgebende Mission Dolores, eine kleine, weiße Kirche, steht seit dem Jahr 1918 buchstäblich im Schatten der deutlich größeren Basilika. 1918 – das war zwölf Jahre nach dem großen Erdbeben, das mehr als die Hälfte der Einwohner der Stadt obdachlos gemacht hatte. Viele von ihnen bauten sich in der Folge notdürftige Unterkünfte im Mission District – und verschafften dem Viertel so eine raue Kante, an der es noch heute feilt.
Wie sich diese Feilen gestaltet, kann man sich von Lisa Rogovin zeigen lassen. Gerade auf der Valencia Street zwischen der 18. und 21. Straße. Hier malen die meist niedrigen und schmalen Häuser malen ein buntes Domino an den Straßenrand. Shops bieten Klimbim, und unzählige Restaurants, Buden und Bars entführen in Küchen aus aller Welt.
„Vor zehn Jahren hatten die Menschen noch Angst, überhaupt in diese Gegend zu kommen“, sagt Rogovin. Und noch immer schaffen Leid und Armut der vielen Obdachlosen einen krassen Kontrast in einer Region, die zu den teuersten und reichsten der Welt gehört.
Doch die Gentrifizierung hat manch schöne Blüte getrieben. Da ist die hippe Taqueria Tacolicious, die den vielen leicht schäbigen Taco-Buden des lange von lateinamerikanischen Einwanderern geprägten Viertels ein cooles Diner-Flair entgegensetzt. Hier gibt es Bio-Tortillas sowie eine Tequila-und Mezcal-Karte mit mehreren Dutzend Posten. Da ist aber auch der Multikulti-Supermarkt Duc Loi, in dessen kleiner Küche man für vergleichsweise kleines Geld frische, scharfe vietnamesische Bánh-mì-Sandwiches bekommt. Der Markt liegt an einer ungemütlichen Kreuzung des Bezirks, die die großen Veränderungen erst noch vor sich hat. Zugleich ist der Markt Treffpunkt für Menschen aus dem Viertel, die durch diese womöglich irgendwann vertrieben werden.
Lebendige Hühner und pensionierte Köche
fast nichts zu spüren. In Chinatown, einem der ältesten und mit 24 Blöcken größten seiner Art in den Vereinigten Staaten, scheint man in einer anderen Welt gelandet zu sein: Seegurken, Schneckenund Alligatorenfleisch sind nur einige der Entdeckungen, in den Shops. Von den Hühnern, die es hier bisweilenlebendig zu kaufen gibt, ganz abgesehen.„Man schlachtet sie in der eigenen Wohnung – das nennt sich dann ‚kulturelles Erbe‘“, sagt Gimmy Park Li. In Chinatown aufgewachsen, begleitet sie heute Touristen durchs Quartier. Doch wer hier in den eigenen vier Wänden überhaupt Platz zum Schlachten hat, darf sich glücklich schätzen ...
Und so spielt sich ein Großteil des alltäglichen Lebens in den überfüllten Straßen und auf dem rummeligen Portsmouth Square ab, den die Einheimischen auch „Wohnzimmer von Chinatown“nennen. Hier gibt es nicht nur Parkbänke und einen Spielplatz. „Die Toiletten sind sauberer als die auf den Gängen zu Hause“, sagt Gimmy Park Li. Vor dem stillen Ort vertrödeln pensionierte Kellner und Köche aus den unzähligen Restaurants des Quartiers mit Kartenspielen den Tag.
An der Grant Avenue, der ältesten Straße der Stadt, wechselt diese schließlich – und plötzlich – wieder ihr Gesicht: Statt verschnörkelter Drachen zieren rot-weißgrüne Streifen die Laternen, Tischchen stehen auf den Bürgersteigen, und Reistöpfe und Wan Tan sind Focaccia und Pizza gewichen. Wir sind in Little Italy angekommen. Und in einer anderen Geschichte.