„Die Auswirkungen wären dramatisch“
Fast-CDU-Bundesvorsitzender Friedrich Merz über die Europawahl, die Regierungsfähigkeit Thüringens und die Koalition im Bund
Wie hoch ist die Gefahr, dass es nach der Europawahl keine handlungsfähigen Mehrheiten mehr gibt?
Europawahlen sind in der Vergangenheit oft als Denkzettelwahlen genutzt worden, bei denen man einfach mal seine Kritik an der Innenpolitik ausdrücken konnte. In diesem Jahr aber muss es wirklich nur um das Europäische Parlament gehen. Immerhin bestimmen die Abgeordneten die nächste Kommission. Diese Wahlen haben eine überragende Bedeutung. Europa muss endlich wieder handlungsfähig werden, gegenüber Amerika, gegenüber Russland, gegenüber China. Das geht nur mit einem starken EU-Parlament mit starken Parteien der Mitte.
Die Situation hat die EU nicht exklusiv. In Thüringen und in Ostdeutschland könnte es nach den Landtagswahlen dazu kommen, dass es keine Mehrheit mehr jenseits von AfD und Linke gibt. Was muss die CDU besser machen?
Die Wählerinnen und Wähler in Thüringen, aber auch in Sachsen und Brandenburg, sollten sich gut überlegen, ob sie ihre eigenen Länder schwächen wollen, indem sie die Parteien an den Rändern noch stärker machen. Die Auswirkungen eines solchen Wahlverhaltens wären dramatisch. Wenn ganze Bundesländer nicht mehr regierungsfähig sind, weil in den Parlamenten bis fast zur Hälfte Parteien sitzen, die nicht regieren wollen oder nicht regieren können, dann leiden die Menschen darunter zuallererst.
Oder aber die CDU koaliert trotz ihrer Absage in den Ländern mit der AfD.
Die AfD ist kein Koalitionspartner für irgendeine bürgerliche Partei in Deutschland. Wenn Extremisten und Nationalisten – wie etwa in Thüringen – an führender Stelle tätig sind, dann ist das eine rote Linie, die wir nicht überschreiten dürfen.
Sie sind bei ihrer Bewerbung für den CDU-Vorsitz mit dem Versprechen angetreten, die AfD zu halbieren – was ja nun eher nicht passiert. Was läuft falsch?
Ich denke, hier ist die gesamte Koalition in Berlin angesprochen. Sie sollte endlich klare Entscheidungen treffen. Der Solidaritätszuschlag muss Ende 2019 vollständig und für alle abgeschafft werden. Und die Flüchtlingspolitik muss so korrigiert werden, dass die Bürger sehen: Ja, wir haben verstanden. Wir haben Fehler gemacht, wir wollen sie nicht wiederholen.
Die erneut geplante Asylrechtsverschärfung geht Ihnen also auch nicht weit genug?
Ich will mich von außen nicht in die Details einmischen, das ist nicht meine Aufgabe. Aber wenn es schon eine sogenannte große Koalition geben muss, dann brauchen wir eine handlungsfähige Regierung, die zu Entscheidungen kommt. Mein Eindruck ist: Die Menschen reagieren zunehmend ungehalten, dass die Diskussionen immer länger dauern.
Deutschland übernimmt 2020 die EU-Ratspräsidentschaft. Braucht dann Deutschland nicht eine erfahrene Kanzlerin wie Angela Merkel?
Deutschland braucht dann erst recht eine Regierung, die zu Entscheidungen in der Lage ist. Denn dann wird sehr viel an uns hängen . . .
. . . und an einer international erfahrenen Kanzlerin?
Es geht um eine handlungsfähige Regierung und nicht um Einzelpersonen.
Angela Merkel oder nicht: Wird die große Koalition dieses Wahljahr überleben?
Diese Koalition ist für vier Jahre bis 2021 gewählt. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass sie ihre Arbeit macht.