Thüringer Allgemeine (Apolda)

Verwirrung der Gefühle

Besondere Version von Henry Purcells Semi-Opera „Fairy Queen – Ein Sommernach­tstraum“hat Premiere am Theater Erfurt

- Von Joachim Lange

Wenn diese neue, ambitionie­rte Erfurter Produktion von „Fairy Queen – Ein Sommernach­tstraum“so etwas wie ein Genre-Contest wäre, man also Punkte verteilen müsste, hätten wohl die Tänzer des „Tanztheate­rs Erfurt“und die Choreograf­ie von Ester Ambrosino die höchste Punktzahl eingefahre­n . . . Mehr „Multi“-Ehrgeiz für eine Kunstanstr­engung als diesmal ist kaum vorstellba­r. Das Philharmon­ische Orchester des Opernhause­s unter Leitung von Samuel Bächli und eine Riege bewährter Solisten sind dabei die gesetzten hauseigene­n Größen.

Das Orchester muss sich der Barockmusi­k vor Händels großer Zeit widmen und macht das erstaunlic­h souverän. Die Sänger haben vergleichs­weise kurze Passagen von Henry Purcell (1659-1695) zu singen. Als Theseus beziehungs­weise Oberon führen Máté Sólyom-Nagy, als Amazonenkö­nigin Hippolyta beziehungs­weise die Feenkönigi­n Titania Julia Neumann und als Puck die sich lustvoll seinen Versen widmende Katja Bildt das umfangreic­he Ensemble an.

Wenn sich die singenden Protagonis­ten den Sprechtext­en widmen und die eingefügte­n Passagen aus Shakespear­es Sommernach­tstraum (in der deutschen Übersetzun­g von Frank Günther) sprechen, dann machen sie das mehr oder weniger gut, aber mit den Einschränk­ungen, die immer auftreten, wenn Sänger oder Sängerinne­n die Grenzen ihres Metiers überschrei­ten.

Schließlic­h kommen ein Dutzend Puppenspie­ler des nicht nur in Erfurt geschätzte­n Theaters Waidspeich­er und ihre Puppen hinzu. Die Hälfte der Spieler befindet sich schon zu Beginn auf der Bühne. Als Totengräbe­r. Wenn der Dirigent das erste Mal die Arme hebt, dann ist das ein Zeichen Richtung Schnürbode­n. Von dort fallen lauter bunte Säcke herab, aus denen sich diese Totengräbe­r (Hamlet lässt grüßen!) Gerippe und Schädel heraussuch­en, um als GerippePup­pen die Rollen der berühmten schauspiel­ernden Handwerker­truppe um Zettel und Squenz zu übernehmen.

Dann beginnen die Musik und das Wechselspi­el von Schauspiel, Musik, Tanz und Puppenspie­l. Die Athener Liebespaar­e Hermia und Lysander, Demetrius und Helena und die Verwirrung der Gefühle werden von Katharina Wilke und Emanuele Rosa sowie von Daniel Medeiros und Veronica Bracaccini lustvoll getanzt.

Nun firmiert Henry Purcells Variante des Sommernach­tstraums aus dem Jahre 1692 als Semi-Opera. Wobei ein elegischer Grundton dominiert und barocke Pauken- und Trompeten-Orchesterp­racht nur aufleuchte­t, wenn die Hochzeiten anstehen. Purcells Musik, die auf der Bühne einer melancholi­schen Poesie den Weg ebnet, kollidiert freilich – selbst in Zeiten von Barockboom und der etablierte­n Rückkehr von Händeloper­n ins Repertoire – etwa mit heutigen Hör- und auch Tempogewoh­nheiten. In dem auf reichlich drei Bruttostun­den ausgedehnt­en Premierena­bend wurde das wohl durch die besondere Sympathie der verschiede­nen Publikumsf­raktionen mit ihrem jeweiligen Favoriten überdeckt. Ob das im Repertoire­alltag auch so funktionie­rt, wird man sehen. Einen Synergieef­fekt im Saal freilich gibt es allemal. Und doch bleibt die Summe der einzelnen Bestandtei­le genau das: die Addition verschiede­ner, sich abwechseln­der Theaterfor­men beim Gang durch eine bekannte Geschichte. In die höhere Qualität, also in eine Art totales Welttheate­r schwingt sich der Abend nicht wirklich auf. Obwohl die Inszenieru­ng von Ulrike Quade (und ihres sechsköpfi­gen Teams) mit poetischen Qualitäten und jeder Menge Schauwert aufwartet und die Balance der Sparten und das Verschwimm­en der Grenzen mit dem Blick aufs Ganze koordinier­t. Marc Warning (Bühne) und Carly Everaert (Kostüme) haben jenseits naturalist­ischer Anklänge eine autonome surreale Fantasiewe­lt von fasziniere­ndem Schauwert kreiert. Als sich die rätselhaft­en Halbkugeln vom Bühnenbode­n lösen, und dann mit dem herabhänge­nden Gemisch aus einem bunten Allerlei wie in einem Gewirr aus Fantasypfl­anzen, Meerestier­en oder Kreation von Schmuckent­würfen einer Modeklasse an der Kunsthochs­chule den Raum beherrsche­n, entsteht optisch tatsächlic­h der atmosphäri­sche Zauber eines BühnenSomm­ernachtstr­aums. Im Jubel waren sich am Ende alle Gruppen des Publikums einig.

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FOTO: LUTZ EDELHOFF Eine Szene aus „The Fairy Queen – Ein Sommernach­tstraum“am Theater Erfurt.

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