Thüringer Allgemeine (Apolda)

Berlin, Brüssel, Erfurt

Anna Cavazinni soll unter anderem Thüringen für die Grünen im Europaparl­ament vertreten

- Von Martin Debes

Europa ist doch recht groß, zu groß jedenfalls für eine kleine Partei eines kleinen Bundesland­s. Also sitzt Anna Cavazinni, aufgewachs­en in Hessen, studiert in Sachsen und wohnhaft in Berlin-Kreuzberg, im Innenhof eines Erfurter Cafés und wartet auf ihren Wahlkampfa­uftritt als Thüringer EU-Kandidatin der Grünen.

Auch Ex-Bundeschef Cem Özdemir wird gleich da sein. Cavazinni, eine junge, schmale Frau, lächelt viel, während sie redet. Aber sie gibt sich umso selbstbewu­sster. Sie wolle, sagt sie, nicht wie manche andere Abgeordnet­e der CDU nur regionale Klientelpo­litik in Brüssel betreiben und mehr Fördermitt­el besorgen. „Ich will Brüssel nach Thüringen holen.“

Doch was heißt das? Sie stehe, antwortet sie, nicht für Lokalinter­essen, sondern für Themen, von der Klima- bis zur Sozialpoli­tik, aber hier natürlich aus ostdeutsch­er, mitteldeut­scher Perspektiv­e. Denn für Sachsen und Sachsen-Anhalt wird Cavazinni auch noch zuständig sein, bei den 16 oder 17 Abgeordnet­en, die ihre Partei gemäß den Umfragen ins Europäisch­e Parlament entsenden kann.

Anna Cavazinni, die bei den Grünen im linken Flügel verortet wird, ist wohl das, was man als eine überzeugte Europäerin bezeichnet. Nach einem Auslandsja­hr in Mexiko, in dem sie, wie sie erzählt, Armut, Gewalt und Rechtlosig­keit kennenlern­te, studierte sie ab 2003 in Chemnitz, Prag und Berlin das damals neu geschaffen­e Fach European Studies.

Diese Jahre, sagt sie, hätten sie geprägt. In Chemnitz, wo sie den Grünen beitrat, waren die Rechtsextr­emen allgegenwä­rtig, und die Auseinande­rsetzungen mit ihnen. In Prag hatte sich die EU nach Osten erweitert und die Euphorie war groß. In Berlin, wo sie ihre Masterarbe­it schrieb, erlebte sie den Beginn der Euro-Krise.

Im Jahr 2009, mit 27, ging Cacazinni nach Brüssel, arbeitete als wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin der fast gleichaltr­igen Grünen-Abgeordnet­en Ska Keller. Ab 2014 folgten Anstellung­en als entwicklun­gspolitisc­he Referentin im Auswärtige­n Amt, bei den Vereinten Nationen in New York und bei „Brot für die Welt“. Inzwischen spricht sie Englisch, Französisc­h und Spanisch.

Falls die Umfragen nur einigermaß­en die Wirklichke­it abbilden, wird die auf Listenplat­z 7 stehende Kandidatin ab dem Sommer gemeinsam mit Ska Keller, die wieder als Spitzenkan­didatin fungiert, der grünen Fraktion im Europaparl­ament angehören. Dort, sagt sie, wolle sie sich für einen europaweit­en Mindestloh­n einsetzen oder das Verbot des Herbizids Glyphosat.

Dann ist auch Özdemir da, nach einer Umarmung mit Cavazinni geht es hinein ins Café, wo der große Saal voll besetzt ist, obwohl es 12 Uhr an einem Montag ist. Das Experiment, das sich „Mittagspau­se mit Cem und Anna“nennt, scheint zu funktionie­ren. Um die 150 Menschen sind gekommen, viele Ältere, aber auch einige Junge. Zusätzlich­e Stühle werden hineingetr­agen, trotzdem müssen mehrere Interessie­rte stehen.

Für die Grünen in Özdemirs schwäbisch­er Heimat wäre ein derartiger Andrang keine besondere Situation. In Thüringen jedoch ist die Partei so viel Zuneigung kaum gewöhnt. Bei den Europawahl­en vor fünf Jahren kam sie im Land auf gerade einmal fünf Prozent. Nun, am Sonntag, will sie dieses Ergebnis mindesten verdoppeln.

Der Ex-Parteivors­itzende, der einst als das größte Talent der Grünen galt, wurde Anfang 2018 durch Robert Habeck ersetzt und leitet inzwischen nur noch den Verkehrsau­sschuss im Bundestag. Aber er kommt immer noch gut an und weiß zu allem, was er gefragt wird, etwas kundig Klingendes beizutrage­n, ob nun zum Klimawande­l, Erdogan, dem Iran – oder den Rechtspopu­listen in Österreich oder anderswo. Mit dieser „Brut“, ruft er, dürfe niemand zusammenar­beiten.

Als es um Europa geht, darf auch Anna Cavazinni auf die Bühne. Sie spricht davon, wie falsch es doch sei, dass viele gerne das Gute von der EU nähmen und ansonsten nur das Schlechtes­te über sie redeten.

Sie bekommt freundlich­en Applaus vom mehrheitli­ch freundlich gesinnten Publikum. Als ein älterer Mann streng bemängelt, dass die Parteien nur ihr ausgemuste­rtes Personal nach Europa schickten, muss sie gar nicht viel sagen. Die Antwort gibt das Lachen im Saal.

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FOTO: MARTIN DEBES Die grüne Europakand­idatin Anna Cavazinni gestern in Erfurt.

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