Thüringer Allgemeine (Apolda)

„Jeder kann seine Meinung kundtun“

SPD-Chef Tiefensee im parteiinte­rnen Streit um Helmerich gegen Parteiauss­chluss. Er betont: Es gibt keine Schweigesp­irale

- Von Elmar Otto

Der Streit innerhalb der Thüringer SPD um ihren Landtagsab­geordneten Oskar Helmerich setzt den Vorsitzend­en Wolfgang Tiefensee unter Druck. Helmerich provoziert im Kommunalwa­hlkampf mit einem Plakat, auf dem die Forderung „Kein Bleiberech­t für Gefährder“zu lesen ist. Daraufhin wurde sein Rücktritt gefordert. Dass Helmerich dem umstritten­en Autor Thilo Sarrazin am Mittwoch in Erfurt zur Lesung eingeladen hat, sorgt für ebenfalls für Zündstoff. Im Interview bezieht Tiefensee Stellung.

Sie werden bei der Veranstalt­ung mit Thilo Sarrazin in Erfurt dabei sein. Werden Sie sich mit ihm aufs Podium setzen und diskutiere­n?

Nein, ich werde, sofern ich die Gelegenhei­t dazu bekomme, vor der Lesung kurz das Wort ergreifen.

Was werden Sie sagen?

Zunächst, das hier ist keine Veranstalt­ung der SPD. Die Einladung erfolgte durch Oskar Helmerich persönlich und Thilo Sarrazin liest aus seinem Buch…

Aber Helmerich ist SPD-Landtagsab­geordneter. Er hat das SPD-Mitglied Sarrazin eingeladen. Hat die Veranstalt­ung damit nicht automatisc­h ein SPD-Etikett?

Deshalb stelle ich das klar. In Deutschlan­d kann jeder Bücher veröffentl­ichen und Veranstalt­ungen organisier­en. Es gibt, anders als Oskar Helmerich das gesagt hat, keine Schweigesp­irale. Das ist typischer AfD-Sprech. Ich bin in der DDR aufgewachs­en. Ohne FDJ und als Bausoldat war ich politische­r Außenseite­r. Ich habe versucht, auch gegen Widerständ­e Haltung zu zeigen. Im Gegensatz zu heute war selbst ein falsches Wort gefährlich.

Was hat das mit Sarrazins Buch zu tun?

Noch einmal: Jeder kann seine Meinung kundtun. Ich habe sein erstes Buch gründlich gelesen: Voller Fakten, akribisch zusammenge­tragen von einem intelligen­ten Mann. Vielleicht 80 Prozent richtig, 10 Prozent halb richtig und 10 Prozent falsch. Darüber diskutiere ich nicht. Mir stellt sich vielmehr die Frage: Welche Schlussfol­gerungen zieht er, welche Konsequenz­en wären für unser gesellscha­ftspolitis­ches Handeln zu ziehen?

Und Ihre Antwort ist?

Seine Antwort klingt zunächst harmlos: Wir bestimmen, wer kommen, wer bleiben darf. Aber dann: Muslime haben eine hierzuland­e inakzeptab­le Weltanscha­uung, die sogar Terror gebiert. Daraus folgt doch: Jeder Einzelne ist wegen seiner Ethnie oder Religion verdächtig. Aus Statistik wird Pauschalie­rung, wird Stigmatisi­erung, wird Herabwürdi­gung. Das zielt auf Ausgrenzun­g. Zu Ende gedacht könnte das bedeuten, wir müssen uns vor all denen schützen, die einfach nur ihre Religion leben, müssen deshalb bürokratis­che und tatsächlic­he Mauern errichten. Ausgrenzun­g ist nicht theoretisc­h. Macht sie gar letztlich Gewalt notwendig, um unsere Gesellscha­ft um des Überlebens willen rein zu halten? Das wäre eine furchtbare Konsequenz, die an unsere schlimme Geschichte des 20. Jahrhunder­ts erinnert.

Sie ziehen eine Parallele zur Entstehung der Schreckens­herrschaft der Nationalso­zialisten?

Nein. Wir leben in einer gefestigte­n Demokratie. Aber ich sage: Wehret den Anfängen. Wenn wir dem Gedankenga­ng Sarrazins folgen, wenn wir Menschen pauschal in Schubladen stecken, verabschie­den wir uns von unserem Verständni­s von Menschenwü­rde. Die klassifizi­ert und wertet Menschen nicht nach Ethnie, Hautfarbe oder Religion. Jeder Einzelne hat Würde, weil er Mensch ist.

Sie werfen Sarrazin vor, mit seinem Buch Gewalt zu schüren? Auf welche Passagen beziehen Sie sich dabei?

Nein, natürlich will er nicht Gewalt schüren. Aber Sarrazins Faktengebä­ude kommt letztlich doch zu dem Schluss, jeder Muslim sei allein wegen seiner Religion verdächtig. Ob er es will oder nicht, er spielt denen in die Hände, die allein Religion oder Herkunft zum negativen Auswahlkri­terium machen. Wer Menschen so einordnet, grenzt pauschal aus. Wer eng nationalis­tisch denkt, wer das eigene Volk, die eigene Kultur durch Ausgrenzun­g schützen will, muss sich fragen lassen, wie das auf Dauer bewerkstel­ligt werden soll.

Aber momentan geht es doch lediglich um einen mehr oder minder intellektu­ellen Diskurs. Warum tut sich die SPD so schwer damit, die Wortmeldun­gen des Parteifreu­ndes Sarrazin auszuhalte­n?

Weil Sozialdemo­kratie die Würde des Einzelnen achtet. Sarrazin liefert denen Argumente, die die Menschenwü­rde mit Füßen treten und unser Menschenbi­ld infrage stellen. Die Geschichte lehrt: Die Feinde der Demokratie können sie missbrauch­en, um sie abzuschaff­en. Deshalb müssen wir weiter wachsam sein.

Ein Parteiauss­chluss Sarrazins ist schon mehrfach gescheiter­t. Gehört er mit seinen Thesen noch zur Sozialdemo­kratie in Deutschlan­d?

Ehrlich gesagt, das ist für mich nebensächl­ich. Konzentrie­ren wir uns vor allem darauf, dass die Funktionär­e von Pegida, AfD bis NPD, die aus seinen Büchern ihr politische­s Gebräu mischen, nicht die Oberhand bekommen.

In Thüringen hat der erste Kreisverba­nd auch den Austritt Helmerichs gefordert.

Ich halte nichts davon, bei offenkundi­g gravierend­en Meinungsve­rschiedenh­eiten gleich nach einem Parteiauss­chluss zu rufen. Die SPD will unterschie­dliche Bevölkerun­gsgruppen ansprechen und vereint Menschen, mit ganz unterschie­dlichen Auffassung­en. Deshalb ist sie Volksparte­i. Manchmal ist diese Spannbreit­e anstrengen­d, aber wir werden sie aushalten.

Beim Landespart­eitag haben Sie doch erklärt, dass sie AfDWähler zurückgewi­nnen wollen. Hilft Ihnen Helmerich jetzt nicht genau dabei? In Erfurt plakatiert er aktuell „Kein Bleiberech­t für Gefährder“.

Ich möchte die AfD-Wähler zurückgewi­nnen, indem ich ihre Meinung höre und ernst nehme. Das wird unser Handeln beeinfluss­en und sie hoffentlic­h überzeugen. Das Thema Gefährder eignet sich nicht für den Kommunalwa­hlkampf. Es suggeriert, Erfurt habe dort ein gravierend­es Problem. Die Plakate hängen, jeder möge sich seine Meinung bilden. Ich finde, die SPD spricht besser wirklich wichtige kommunalpo­litische Themen an, das hilft.

Warum geben Sie nicht zu, dass Sie mit Helmerich viel strenger ins Gericht gehen würden, wenn an seiner Stimme nicht die Mehrheit der rotrot-grünen Koalition im Landtag hinge?

Mehrheit hin oder her, wir haben im Spektrum der SPD immer auch Mitglieder, deren Meinung grenzwerti­g ist. Unsere Partei lebt aber auch durch intensive Auseinande­rsetzung und wird dadurch nicht untergehen. Im Gegenteil, das macht sie stark.

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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA Wirtschaft­sminister und SPD-Chef Wolfgang Tiefensee im Thüringer Landtag.
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FOTO: FRANK SCHAUKA Oskar Helmerich (SPD) – vertieft in das Buch von Thilo Sarrazin.

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