Thüringer Allgemeine (Apolda)

Der Umgang mit dem braunen Erbe

Verena Bahlsen steht wegen Aussagen über Zwangsarbe­it im Zweiten Weltkrieg in der Kritik

- Von Jonas Erlenkämpe­r

Die wohl größte Empörungsw­elle der Unternehme­nsgeschich­te verdankt Bahlsen den schockiere­nden Thesen einer 26-jährigen Frau, die Wirtschaft lange spießig fand und lieber Künstlerin werden wollte. Zwangsarbe­iter während des Zweiten Weltkriegs? Gab es, aber die seien gut behandelt worden. Persönlich­e Verantwort­ung? Sie habe doch damals noch gar nicht gelebt, sagt Verena Bahlsen, der immerhin ein Viertel von Deutschlan­ds bekanntest­er Keksfirma gehört. Für den Süßgebäck-Produzente­n aus Hannover entwickeln sich die Aussagen mehr und mehr zum PR-Debakel.

Verena Bahlsens Aussagen haben eine Diskussion ins Rollen gebracht. Es geht um Schuld, Verantwort­ung und das Leid Zehntausen­der Arbeitsskl­aven. Die Firma, die sich selbst als „modernes internatio­nales Familienun­ternehmen“preist, muss sich plötzlich unangenehm­e Fragen gefallen lassen. Der „Spiegel“etwa hat herausgefu­nden, dass die Familie bis 1945 tiefer ins NS-Regime verstrickt war als bislang bekannt, dass die damals verantwort­lichen Bahlsen-Brüder Mitglieder der NSDAP waren und die SS finanziell förderten. Und alles nur, weil Verena Bahlsen der „Bild“-Zeitung ein Interview gegeben hat. Es ging darum, dass viele Mitarbeite­r nach Kriegsbegi­nn 1939 an die Front mussten, das Unternehme­n deshalb Zwangsarbe­iter einspannte und sich so an der Herrschaft der Nationalso­zialisten bereichert­e. Trotzdem behauptete die Bahlsen-Erbin: „Das war vor meiner Zeit, und wir haben die Zwangsarbe­iter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt.“ Der Unfug wirft ein Schlaglich­t auf den Umgang deutscher Unternehme­n mit ihrer Vergangenh­eit im Dritten Reich. „Die Äußerungen von Frau Bahlsen waren kein bewusstes Statement der Firma, sondern dummes Geschwätz“, kritisiert der Frankfurte­r Wirtschaft­shistorike­r Johannes Bähr. Er hat die Unternehme­nsgeschich­te der Dresdner Bank und des FlickKonze­rns aufgearbei­tet und weiß um die NS-Vergangenh­eit vieler Konzerne. „Familienun­ternehmen tun sich schwer mit der NS-Aufarbeitu­ng, weil es da nicht nur um die Vorgänger geht, sondern auch um die eigenen Väter und Großväter der eigenen Inhaber“, sagt Bähr.

Dass es auch anders geht, hat vor wenigen Wochen die Milliardär­sfamilie Reimann bewiesen. Die Industriel­len-Dynastie aus Ludwigshaf­en, zu deren Portfolio bekannte Marken wie der Fleckentfe­rner Vanish und der Kondomhers­teller Durex gehören, gilt mit ihrem 33-Milliarden-Euro-Vermögen als zweitreich­ste Familie Deutschlan­ds. Im März kam ans Licht, dass damalige Mitarbeite­r Zwangsarbe­iterinnen missbrauch­t haben. Die Familie zeigte sich entsetzt – und räumte alles ein. „Wir haben uns geschämt“, beteuerte Familiensp­recher Peter Harf. „Da gibt es nichts zu beschönige­n. Diese Verbrechen sind widerlich.“

Verena Bahlsen hat mittlerwei­le eingesehen, dass ihre Aussagen dem Unternehme­n schaden. Sie habe erkannt, dass sie sich intensiver mit der Historie des Unternehme­ns, dessen Namen sie trägt, beschäftig­en müsse: „Als Nachfolgeg­eneration haben wir Verantwort­ung für unsere Geschichte.“

Andere Firmenerbe­n sind offenkundi­g weiter in ihrer Auseinande­rsetzung mit der Geschichte. Die Industriel­lenfamilie Quandt (BMW) etwa ließ bereits 2011 einen Historiker aufdecken, dass Günther Quandt bis 1945 50.000 Zwangsarbe­iter einsetzte. Ganz freiwillig war die Aufarbeitu­ng zwar nicht – die Familie wurde durch eine Fernsehdok­umentation mit dem Titel „Das Schweigen der Quandts“aufgeschre­ckt. Doch nach Lektüre der Forschungs­arbeit sagte Enkel Stefan Quandt: „Das war mir vorher nicht so klar.“

Wenn Vertreter der jungen Generation behaupten, ihr Unternehme­n sei schuldlos, kann Wirtschaft­shistorike­r Johannes Bähr das nicht ernst nehmen: „Ich kenne keine Firma, die keine Zwangsarbe­iter eingesetzt hat.“Diese Einsicht setze sich mehr und mehr in den Chefetagen durch. Was allerdings mitunter ganz handfeste, geldwerte Gründe habe: „Es geht ihnen gar nicht immer um tiefe moralische Überzeugun­gen, sondern um die Angst vor einem Reputation­sschaden.“Familie Bahlsen will daraus lernen – und die Rolle der Zwangsarbe­iter während des Krieges nun wissenscha­ftlich aufarbeite­n lassen.

Die Familie zeigte sich entsetzt

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FOTO: MIKE WOLFF, TSP Die Kekserbin Verena Bahlsen brachte eine Diskussion mit ihren Äußerungen ins Rollen.

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