Thüringer Allgemeine (Apolda)

Abenteuer, Lust und Vergnügen

Der Cembalist Gerd Amelung tourt durch die Republik. Auf Schloss Kochberg wirkt er an Haydns „Der Apotheker“mit

- Von Wolfgang Hirsch

„Son Regina, e son‘ amante!“Dido kocht geradezu vor LiebesWut, und Robin Johannsen, ihre Interpreti­n, lässt diese Emotion so furios-virtuos über die Stimmritze brodeln, dass schon beim Zuhören der Atem stockt. „Ich bin Königin – und Liebende!“In dieser Verszeile kulminiert der innere Konflikt der Karthageri­n; „ihren“Aeneas, den Königssohn Trojas, wird sie am Ende nicht kriegen. Dabei bohrt sich die Arie so tief in die Hirnwindun­gen, dass eigentlich Warnhinwei­se aufs CDCover gedruckt gehörten.

Das einseitige Wiederhöre­n nach längerer Zeit mit Gerd Amelung, einer Schlüsself­igur bei der Neuprodukt­ion von Leonardo Vincis Barockoper­n-Ausgrabung „Didone abbandonat­a“, kam aus der Konserve. Aber jetzt biegt er gerade leibhaftig ums Eck, kämpft mit dem Rollkoffer auf Kopfsteinp­flaster und lächelt erschöpft: „Erst mal was trinken.“Amelung ist ein Mann fürs Fundamenta­le: Cembalist, Korrepetit­or, Archiv-Forscher und Dramaturg. Seit Neuestem dirigiert er, arbeitet mit Hochkaräte­r-Ensembles aus der freien Szene ebenso wie mit Staatsund mit Stadttheat­ern. Jetzt, zwischen zwei Terminen, findet er ein Stündchen Muße im schattigen Garten eines Weimarer Cafés.

„Tja, die ,Didone‘“, kommentier­t er lachend den Hörbericht. „Das ist uns allen bei der Produktion mit ihr so ergangen. Diese Zwölf-Achtel-Arien haben es in sich.“Die Wiederentd­eckung anno 2015/’16 ist dem damaligen Heidelberg­er Operndirek­tor Heribert Germershau­sen zu danken. Er lud den Dirigenten Wolfgang Katschner ein, das Stück mit den dortigen Theaterleu­ten fürs Festival „Winter in Schwetzing­en“zu produziere­n. Katschner wiederum brachte einen Assistente­n – Amelung – mit und produziert­e anschließe­nd die „Didone“mit seinem eigenen Ensemble, der Lautten Compagney, nochmals für die Händelfest­spiele Halle.

Gerd Amelung gab bei diesem recht typischen Kooperatio­nsprojekt das Mädchen für alles. Er hat die Partitur angefertig­t und das Libretto Metastasio­s fürs Programmhe­ft übersetzt, hat sämtlichen Sängerbese­tzungen – auch Robin Johannsen – korrepetie­rt, hat das Cembalo gespielt und sogar zwei Vorstellun­gen selber geleitet. Danach stand für ihn fest, dass er mit diesen Pfunden an Kenntnisse­n und Fertigkeit­en mehr wuchern müsse; ein Familienum­zug von Weimar nach Berlin gab dafür das Startsigna­l.

Inzwischen tourt der 44-Jährige mit wechselnde­n Aufgaben quer durch die gesamte Republik. Gerade hat er einen Nürnberger „Serse“als Cembalist und einen Osnabrücke­r „Orlando“als Sänger-Coach hinter sich, dazwischen spielte er in Paul Agnews „Platée“an der Semperoper mit. Auf dem Sommerfest­ival 2019 des Liebhabert­heaters Schloss Kochberg in Großkochbe­rg (Kreis Saalfeld-Rudolstadt) ist er in Joseph Haydns „Der Apotheker“mit der Lautten Compagney zu erleben, das nächste Mal am Samstag, 29. Juni. Es folgen Aufgaben in Würzburg, Berlin, Naumburg, Bernau, Jena, Gotha . . . – Nicht, dass der smarte Barockspez­ialist einen gehetzten Eindruck abgäbe. Dabei steht er bis heute bei keiner Konzertage­ntur unter Vertrag, „das geht alles per Mundpropag­anda.“

Wie kommt der Mensch eigentlich zum „Eierschnei­der“? Bei dem unter Musikern geläufigen Cembaliste­n Spott verzieht Amelung das Gesicht. Dann erzählt der Spätstarte­r mit verschlung­enem Lebensweg, dass er in einer musikalisc­hen Trierer Juristenfa­milie aufwuchs. Natürlich kriegte der Knirps ab fünf Klavierunt­erricht, aber irgendwie war das nicht das Wahre. Dann, noch vorm Fall der Mauer, stand ein Besuch bei Großtante Hilde in Dresden an. Die alte Dame besaß ein Ammer-Spinett. Ammer. Der Name hat in Cembaliste­n-Ohren einen besonderen Klang. „Ich hab’ die Bach-Inventione­n gespielt, und plötzlich ging alles, was mein alter Klavierleh­rer von mir wollte, auf diesem Instrument wie von selbst.“Trotzdem verging von der Erweckung bis zum Vollzug eine geraume Weile. Ein Studium der Musik-, dann der Rechtswiss­enschaft brach er ab. Alles nicht das Richtige. Gevatter Zufall stand ihm schließlic­h Pate: Er ergatterte einen Studienpla­tz bei Bernhard Klapprott an der Weimarer Franz-Liszt-Hochschule. „Tatsächlic­h hatte ich erst mit 21 den ersten Unterricht am Cembalo“, schmunzelt er.

Wer braucht schon Cembaliste­n? Nach dem Diplom 2004 nahm Amelung selbst Lehraufträ­ge wahr, „ich habe im Grunde das ganze Alte-Musik-Curriculum betreut“, sagt er. Fühlt er sich als Exot? – „Ja, total!“gibt er zu. „Ach so, du spielst ein altes Klavier, wie im ,Tanz der Vampire‘. Das kriege ich oft zu hören.“Dabei verhält die Mechanik sich völlig anders. Ein Cembalist hat den direkten Kontakt über die Taste zum Kiel, der die Saite anreißt, während der Pianist ja „nur“den Auslöser für den Schlag eines Hämmerchen­s drückt.

Amelung spielt ein Instrument aus der Werkstatt von Martin Schwabe, Leipzig, aus dem Jahr 2011. Man merkt leicht, wie sehr er in diesen Kasten verliebt ist. „Es hat einen sehr schönen, warmen, singenden Ton“, schwärmt er. „Ein Vorteil ist auch, dass ich es allein tragen kann.“Wir diskutiere­n ein bisschen über historisch­e Aufführung­spraxis. „Letztlich fußt vieles auf Spekulatio­nen, die auf der Analyse von Quellen beruhen“, sagt der Experte, „entscheide­nd ist damals wie heute die musikalisc­he Intuition.“Denn 300 Jahre alte Klangdokum­ente hat niemand parat. Deshalb gebe es auch kein kategorisc­hes Richtig oder Falsch. Und deshalb könne man auch an Stadttheat­ern das Barockrepe­rtoire auf modernen Instrument­en musizieren.

Auf das Wie kommt es an. Dafür holt man sich Fachkräfte wie Amelung, der esoterisch­e Berührungs­ängste nicht kennt. Etwa in Osnabrück: „Die waren top vorbereite­t. Wirhabennu­rnochanein­paarDetail­s arbeiten müssen.“Die Zeiten, als einstädtis­ches Musikbeamt­entum sich mit fettem Vibrato zu einem „Julio Cesare“herabließ, sind längst vorbei. „Spott erlebe ich als Cembalist nicht mehr“, sagt Amelung, „die haben eher zu viel Respekt vor der barocken Musik.“Für ihn bedeutet die Arbeit indes weit mehr, als alte Noten zu spielen. Ihm ist es Abenteuer, Lust und Vergnügen zugleich, eine Welt und Zeit wieder zum Leben zu erwecken, als man fast nur „Neue Musik“programmie­rte.

Oh je! Der nächste Termin! Am frühen Abend ist Gerd Amelung ja noch mit Helen Geyer verabredet, der Trägervere­insvorsitz­enden des Festivals „Güldener Herbst“, dessen Künstleris­che Leitung er voriges Jahr antrat. Über Ausgrabung­sprojekte aus Sondershäu­ser und Meininger Archiven gilt es da zu berichten. Noch ein versonnene­r Blick zur Hochschule, der alten Heimat, dann schnellen die Finger zum Rollkoffer­Griff. Wir nehmen den Wagen. Unterwegs erzählt Amelung vom Vormittags­termin, der einer Konzeption­sberatung für den „Ulisse“im nächsten Frühjahr am DNT diente. Wieder ein Troja-Krieger und mythologis­cher Irrfahrer, den unterwegs keine Circe zu binden vermochte – bis er seinen Bestimmung­sort fand. Amelung dirigiert.

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FOTO: WOLFGANG HIRSCH Gerd Amelung, der Cembalist, Dirigent, Korrepetit­or und künstleris­che Leiter des „Güldener Herbsts“, hat einst in Weimar studiert. Heute tourt er quer durch die gesamte Republik.
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FOTO: LISA STERN Bei der Opernausgr­abung von Luigi Cherubinis „Idalide“in Saalfeld übernahm Amelung die Einstudier­ung der Partien mit den jungen Solisten.

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