Thüringer Allgemeine (Apolda)

Kann ein Youtuber eine Partei „zerstören“?

Ein millionenf­ach geklicktes Video, das mit der Regierungs­politik abrechnet, bringt die CDU vor der Europawahl in Bedrängnis

- Von Tim Braune und Julia Emrich

Die Geschichte klingt wie David gegen Goliath: Wenige Tage vor der Europawahl attackiert ein bis dato außerhalb der Social-Media-Welt unbekannte­r Youtuber die CDU in einem einstündig­en Video nach allen Regeln der politische­n Polemik und des Klickgesch­äfts, das im Netz viel Geld bringt. Und die CDU? Sie braucht Tage, umzureagie­ren–undverstri­ckt sich dann in widersprüc­hlicher Krisen-PR. Am Donnerstag schließlic­h lud CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak den Youtuber Rezo zum Gespräch ein. Zu diesem Zeitpunkt war dessen Video „Die Zerstörung der CDU“bereits über fünf Millionen Mal im Netz aufgerufen worden.

Wer ist Rezo und wie provoziert er die CDU?

26 Jahre alt, geboren in Wuppertal, Informatik­studium in Dortmund: Der Youtuber, der seinen Kanal „Rezo ja lol ey“nennt, ist im Netz bislang vor allem mit Musikvideo­s, albernen Wettkämpfe­n und anderen harmlosen Gags aufgefalle­n. Mit einem Schlag deutschlan­dweit bekannt wurde er erst durch sein CDU-Video. Darin drischt Rezo auf die Bundesregi­erung und speziell auf die Christdemo­kraten ein: In seiner 55-minütigen Abrechnung mit der Partei von Angela Merkel, die seit Sonnabend auf Youtube zu finden ist, heißt es, die CDU zerstöre „unser Leben und unsere Zukunft“. Sein Aufruf, darauf mit der “Zerstörung der CDU“zu antworten, heißt im Slang der Youtuber nichts anderes, als die Partei – zumindest im Internet – plattzumac­hen.

Rezo wirft den Christdemo­kraten unter anderem vor, beim Klimawande­l untätig zu sein, Politik für Reiche zu machen und „krasse Inkompeten­z“beim Thema Urheberrec­ht und Drogenpoli­tik zu zeigen. „Die Regierung, also in dem Zeitraum vor allem die CDU, hat ganz viele Möglichkei­ten und Stellschra­uben, wie sie solche Sachen beeinfluss­en kann“, meint er. An der Umweltpoli­tik kritisiert­e Rezo, Klimaziele seien nicht eingehalte­n worden: „Ziele setzen und nicht einhalten ist was für Leute, die abnehmen wollen.“Um die Aussagen in seinem Video zu belegen, blendet Rezo weitgehend seriöse Tabellen und Studienerg­ebnisse ein. Er habe mit seinen Mitarbeite­rn Hunderte Stunden in die Recherche und Produktion des Videos investiert. Allerdings vereinfach­t Rezo komplexe Sachverhal­te teilweise brutal.

Am Mittwoch hat die CDU zunächst verschnupf­t reagiert: „Ich habe mich gefragt, warum wir nicht eigentlich auch noch verantwort­lich sind für die sieben Plagen, die es damals in Ägypten gab“, empörte sich Parteichef­in Annegret KrampKarre­nbauer – und sorgte ihrerseits für Empörung: Üblicherwe­ise spricht man im Fall des biblischen Ägypten von zehn Plagen. Auch AKKs Generalsek­retär Ziemiak teilte aus und warf Rezo „Populismus,

Beleidigun­gen und falsche Vereinfach­ungen“vor. Rezo wiederum keilte zurück: „Dass die CDU mit belegloser Diskrediti­erung auf inhaltlich­e Kritik antwortet, ist natürlich nichts Überrasche­ndes.“Sein Video verbreitet­e sich erst recht immer rasanter.

Warum tut sich die CDU mit einer Reaktion so schwer?

Noch am selben Tag entschloss sich die CDU offenbar, den Spieß umzudrehen und mit einem eigenen Video zu antworten. Protagonis­t sollte der junge CDUAbgeord­nete Philipp Amthor sein – mit seinem stets hyperkorre­kten Outfit allein optisch schon der geborene Gegenpart zu Rezo. Doch daraus wurde nichts. Die Parteispit­ze zog die Notbremse und änderte die Strategie um 180 Grad: „Keine Videoschla­cht“, sondern: Umarmung.

„Lass uns miteinande­r reden“, schrieb Ziemiak am Donnerstag­mittag auf Twitter. „Lass uns treffen, damit wir miteinande­r sprechen können.“Und: „Wir machen nicht alles richtig. Du hast Kritikpunk­te benannt, die berechtigt sind.“Man könne beim Klimaschut­z noch mehr tun. Auch in der Diskussion über Uploadfilt­er im Internet, an der sich scharfe Kritik gerade junger Menschen und von Youtubern und Bloggern gegen CDU und SPD entzündet hatte, „haben wir nicht den richtigen Ton angeschlag­en, das können wir besser“. Aber, auch das betont Ziemiak: „Bitte höre auch uns zu, wie wir die Dinge sehen.“Die CDU stellte auch eine elfseitige Antwort an Rezo auf ihre Webseite.

Ob Rezo auf das Angebot eingehen wird, blieb zunächst offen. Deutliche Kritik am Hin und Her des Koalitions­partners übte die SPD. „Eine ganze Generation zu beschimpfe­n, wie die Union das tut, ist absolut daneben“, sagte SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil unserer Redaktion. Es sei gut, dass junge Leute sich bei Schüler-Klimaschut­zdemos oder im Internet stärker einmischte­n. Parteien müssten darauf mit einer anderen Kommunikat­ion reagieren: „Die Art und Weise, wie wir Menschen ansprechen und Inhalte vermitteln, steht vor einem grundlegen­den Wandel.“

Welche Rolle spielen Youtuber in der Politik?

Die Parteien sind nicht erst mit dem Fall Rezo aufgewacht. Bereits 2015 ließ sich Kanzlerin Angela Merkel vom Youtuber LeFloid interviewe­n. Im Bundestags­wahlkampf 2017 diskutiert­e sie live mit vier jungen Netzstars, die zusammen auf drei Millionen Follower kamen. Die Parteien stärken gerade mit Millionena­ufwand ihre SocialMedi­a-Kompetenz, und versuchen, Youtuber, Blogger, Influencer für sich einzuspann­en. Die AfD macht vor, welche Reichweite­n im Netz zu erzielen sind. Gerade erst sperrte Facebook nach Angaben von OnlineAkti­visten etliche Seiten und Profile, die vor der Europawahl mit Falschnach­richten Werbung für die AfD machten. Die gesperrten Gruppen und Seiten kamen insgesamt auf 5,9 Millionen Abonnenten.

Youtuber Rezo ist zufrieden, dass es um seine Botschafte­n so viel Wirbel gibt: „Mich erreichen in den letzten Tagen so viele Nachrichte­n von Lehrern und Schülern, die gemeinsam in der Schule das Video gucken und darüber diskutiere­n. Genau dafür habe ich es gemacht: Damit man gemeinsam einen Diskurs führt“, schrieb er auf Twitter. Das gewaltige Echo ist kein Wunder: Youtube gehört zu den beliebtest­en Plattforme­n von Schülern und jungen Erwachsene­n. Nicht wenige beziehen ihr (vermeintli­ches) Wissen über aktuelle Politik mittlerwei­le ausschließ­lich über solche Social-Media-Kanäle. Youtuber wie Rezo können auf diesem Weg unkomplizi­ert Millionen erreichen – und damit vor allem jene Zielgruppe, an der die Parteien oft vorbeirede­n: die Jungwähler.

Medienexpe­rten wie Bernhard Pörksen sehen in dieser Entwicklun­g eine Art Rollentaus­ch: „Diejenigen, die man früher ‚das Publikum‘ genannt hat, sind selbst medienmäch­tig geworden.“Die Aufmerksam­keit, die das Rezo-Video bekomme, sei ein Indiz für einen neuen Generation­enkonflikt, glaubt Pörksen. Auf der einen Seite: die Welt der etablierte­n Parteien und politische­n Institutio­nen. Auf der anderen Seite: junge Leute, die Wut haben, die auf die Straße gehen, gegen die Klimapolit­ik demonstrie­ren. „Sie vernetzen und organisier­en sich mithilfe der neuen Medien.“

Was können Youtuber bewirken?

Die Netzstars sind im Internet eine Macht und können, das zeigte die Debatte zum EU-Urheberrec­ht, durchaus Einfluss auf politische Entscheidu­ngen nehmen. Aber sind über fünf Millionen Klicks für Rezos Video auch gleich fünf Millionen Wählerstim­men? Nein. Bei Wahlen haben unveränder­t die Älteren das Sagen. Bei der Bundestags­wahl 2017 stellten die 50- bis 59-Jährigen mit fast 12,5 Millionen die größte Gruppe, die 18- bis 20-Jährigen nur rund zwei Millionen.

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SCREENSHOT: YOUTUBE Der Youtuber Rezo nimmt sich die CDU und andere Parteien vor und lässt kein gutes Haar an deren Politik.F:
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FOTO: PHOTOTEK CDU-Generalsek­retär Ziemiak will sich jetzt mit Rezo treffen.

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