Thüringer Allgemeine (Apolda)

Hey, wir woll’n den Eisberg seh’n

Klimawande­l in der Kinderoper: Jörn Arneckes „Der Eisblumenw­ald“im Studio des Nationalth­eaters Weimar uraufgefüh­rt

- Von Michael Helbing und Carlotta Paschold

Darauf waren sie dann wohl doch nicht vorbereite­t: dass ihr sehr junges Publikum zwar während der Aufführung durchaus nicht „Da capo!“rief, dafür aber nach dem Finale umso fordernder „Zugabe!“.

Glückliche­rweise hatte Jörn Arnecke seiner neuen Kinderoper, die er als Musiktheat­er für Menschen ab fünf Jahren ausweist, aber eine eingängige, launige Melodie verpasst, die man – in geradezu alter Operntradi­tion – noch auf den Gassen weiter pfeift: „Geschenke für König Lars“heißt die Nummer, auf die sich das Ensemble in der Zugabe dann auch kurzerhand zu verständig­en wusste. Danach trampelte das Publikum. Wie zu erwarten gewesen war, bestand es im Kern aus Grundschul­kindern. Bei ihnen kam diese moderne, alles in allem tonal gehaltene, zwischen Klang- und Geräuschwe­lten navigieren­de Oper sehr gut an. Sie fanden dazu einen unmittelba­ren Zugang: mit neugierige­n, von Hörgewohnh­eiten unverstell­ten Ohren.

Der Komponist beförderte das zusätzlich. Er instrument­ierte sein Werk nicht nur für Violine, Viola, Kontrabass, Flöte und Posaune, sondern auch für „fest verschloss­ene, durchsicht­ige Becher, in denen sich Eiswürfel befinden.“Es wurden dann Gläser mit Schraubver­schluss, die man vor der Studiobühn­e im Weimarer Nationalth­eater in die Hand bekam. „Mit diesem Instrument wirken die Kinder an fünf Stellen des Stückes auf Zeichen des Märchenerz­ählers musikalisc­h mit“, notierte Arnecke. „Zugleich verändert sich das Instrument im Verlauf der Vorstellun­g durch das Schmelzen der Eiswürfel und macht so einen Handlungss­trang des Stückes erfahrbar.“ Ewiges wie unbeständi­ges Eis, aber auch die Seele des Wassers, von der im „Eisblumenw­ald“die Rede ist, haben es dem Komponiste­n angetan. Arnecke, seit zehn Jahren Professor für Musiktheor­ie an Weimars LisztHochs­chule, schrieb nicht nur den Zyklus „Auf dem Wasser zu singen“für Tenor und Streichorc­hester und vertonte Heines „Das Fräulein stand am Meere“für Chor. Er schuf Musiktheat­er wie „Das Fest im Meer“, mit Falk Richter „Unter Eis“sowie „Kryos“(„Eis“). Letzteres entstand 2011 für die Oper Bremen, wo er den heutigen Weimarer Opernchef HansGeorg Wegner kennenlern­te. Der beauftragt­e ihn mit einem Werk, für das Arnecke das ökologie-kritische Märchen „Der Eisblumenw­ald“aussuchte, einst vom Schweizer Schriftste­ller Jörg Steiner (1930–2013) verfasst.

Darin geht es um Salicha, Prinzessin im orientalis­chen Amun, die sehr traurig ist über ihr im Wortsinn verwüstete­s Land. Wo einst Wald war, rieselt jetzt, nachdem man Ölvorkomme­n ausbeutete, Sand. Samir, ein kluger Junge vom Basar, der sich viel mit der Natur beschäftig­t, kommt auf die Idee, am Südpol einen Eisberg zu holen, um die Wüste zu bewässern. Mit einem Märchenerz­ähler treten sie also eine lange Schiffsrei­se an und holen das Eis . . .

Die fünf Musiker der Staatskape­lle bringen, nach Arneckes Notierung, die Wüste wie auch den Südpol zum Klingen. Eine Klangwüste entsteht aber weder im Sand noch im Eis, dafür aber dichte Atmosphäre­n für ein sinnliches Erleben: durchsetzt von der Dramatik der Naturgewal­ten – und all das eingebette­t in die moderne Variante einer komischen Oper.

Niuniu Miao Liu dirigiert’s gleichsam aus der Eisscholle, die wie die gesamte wandelbare Bühne aus hellem Holz besteht. Ausstatter Alexander Grüner manifestie­rt hier sozusagen den abgeholzte­n Wald und möbliert eine geheimnisv­olle, mit lauter Türen und Türchen sowie Klappen versehene, geheimnisv­olle Märchenwel­t.

Darin etabliert Regisseuri­n Clara Kalus einen so kecken wie verschlage­nen Märchenerz­ähler mit „fliegendem Teppich, den Schauspiel­er Julius Kuhn zum motivieren­den Bindeglied zwischen Bühne und Tribüne macht, in aller Verbindlic­hkeit. Dabei bleibt in der Schwebe, ob nicht letztlich jener Junge, der dann zu Samir wird, sich diesen Erzähler wie die gesamte Geschichte imaginiert.

Mezzosopra­nistin Juliane Bookhagen (Samir) und Sopranisti­n Giulia Montanari (Prinzessin) finden jedenfalls stimmlich wie spielerisc­h gut zusammen – auch dann, wenn Streit sie entzweit. Andreas Kochs Bass greift als doppelter König – der in Amun, der vom Südpol – so sanftwie auch demütig ins Geschehen ein.

„Der Eisblumenw­ald“, der in der Wüste entstehen soll, ist ein Märchen, das den Klimawande­l auf die Opernbühne bringt: ohne pädagogisc­h oder gar dogmatisch zu werden, aber auch ohne aus ihm ein Märchen zu machen. „Ist es eine Geschichte oder die Wahrheit“, fragt Amuns König einmal. „Die Wahrheit

eine Geschichte“, antwortet ihm der listige Märchenerz­ähler. Und diese rieselt uns langsam, aber sich aus den Händen, so wie diesem König und seiner Tochter der Sand.

Klingende Sand- und Eiswüste, keine Klangwüste

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FOTO: CANDY WELZ Die Sopranisti­n Giulia Montanari als Prinzessin Salicha in der Oper „Der Eisblumenw­ald“, die Niuniu Miao Liu (links) dirigiert.

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