Die Stunde des Provokateurs
Nach dem angekündigten Rücktritt von May läuft sich Johnson warm. Ein harter Brexit droht
Sie hat unzählige Niederlagen weggelächelt, Rückschläge verkraftet, selbst in aussichtsloser Lage Optimismus verbreitet. Doch an diesem Freitag fällt das ganze Disziplin-Korsett von Theresa May in sich zusammen. „Ich werde in Kürze die Aufgabe abgeben, die für mich die größte Ehre meines Lebens bedeutete“, sagt die britische Premierministerin. Am 7. Juni will sie als Parteichefin der Konservativen zurücktreten. „Es ist und wird immer eine Angelegenheit von tiefem Bedauern für mich sein, dass es mir nicht gelungen ist, den Brexit zu vollziehen“, sagt sie, am Ende ihrer Rede schießen ihr Tränen in die Augen. Es wird damit gerechnet, dass sie die Regierungsgeschäfte Ende Juli an ihren Nachfolger übergibt.
Wenige Minuten später tritt Mays großer Gegenspieler, der ehemalige Außenminister Boris Johnson, ungewohnt demütig auf. „Eine sehr würdevolle Erklärung von Theresa May. Danke für deinen stoischen Dienst für unser Land und die Konservative Partei.“Salbungsvolle Worte für einen Politiker, der als Provokateur, Stichler und Quertreiber bekannt ist. Dass Johnson vehement für das Brexit-Referendum im Juni 2016 getrommelt und später Mays Deal mit Brüssel torpediert hatte: In diesem Moment ist das vergessen.
Dabei verbirgt der 54-Jährige seine Angriffslust geschickt hinter einer Charme-Fassade. Der Wuschelkopf gehört ebenso zu seinen Markenzeichen wie der etwas zerknitterte Anzug. So mögen ihn die Briten.
Johnsons Kommentare in der TV-Satiresendung „Have I Got News for You“haben zur Gründung von Fanclubs geführt, seine ironischen Bemerkungen zum Zeitgeschehen lockern den drögen politischen Alltag auf, und im Internet finden sich Webseiten für „Boris-Zitate“. Über den angeblichen Versuch der EU, einen Superstaat schaffen zu wollen, lästerte er einmal: „Napoleon, Hitler, verschiedene Leute haben das versucht, und es endet (immer) tragisch.“
Während des Wahlkampfs 2005 versprach er: „Wenn Sie konservativ wählen, wird das Ihren Frauen größere Brüste verschaffen und Ihre Chancen erhöhen, einen BMW zu gewinnen.“Er weiß: Sein Mundwerk und seine Respektlosigkeit bringen ihm Sympathien ein – selbst wenn er sich im Ton vergreift.
Sollte Johnson May nachfolgen, droht ein ungeordneter Brexit, ein EU-Austritt ohne Vertrag. Es wäre ein schwerer Schlag für die Wirtschaft.