Thüringer Allgemeine (Apolda)

Die Stunde des Provokateu­rs

Nach dem angekündig­ten Rücktritt von May läuft sich Johnson warm. Ein harter Brexit droht

- Von Jochen Wittmann und Michael Backfisch

Sie hat unzählige Niederlage­n weggeläche­lt, Rückschläg­e verkraftet, selbst in aussichtsl­oser Lage Optimismus verbreitet. Doch an diesem Freitag fällt das ganze Disziplin-Korsett von Theresa May in sich zusammen. „Ich werde in Kürze die Aufgabe abgeben, die für mich die größte Ehre meines Lebens bedeutete“, sagt die britische Premiermin­isterin. Am 7. Juni will sie als Parteichef­in der Konservati­ven zurücktret­en. „Es ist und wird immer eine Angelegenh­eit von tiefem Bedauern für mich sein, dass es mir nicht gelungen ist, den Brexit zu vollziehen“, sagt sie, am Ende ihrer Rede schießen ihr Tränen in die Augen. Es wird damit gerechnet, dass sie die Regierungs­geschäfte Ende Juli an ihren Nachfolger übergibt.

Wenige Minuten später tritt Mays großer Gegenspiel­er, der ehemalige Außenminis­ter Boris Johnson, ungewohnt demütig auf. „Eine sehr würdevolle Erklärung von Theresa May. Danke für deinen stoischen Dienst für unser Land und die Konservati­ve Partei.“Salbungsvo­lle Worte für einen Politiker, der als Provokateu­r, Stichler und Quertreibe­r bekannt ist. Dass Johnson vehement für das Brexit-Referendum im Juni 2016 getrommelt und später Mays Deal mit Brüssel torpediert hatte: In diesem Moment ist das vergessen.

Dabei verbirgt der 54-Jährige seine Angriffslu­st geschickt hinter einer Charme-Fassade. Der Wuschelkop­f gehört ebenso zu seinen Markenzeic­hen wie der etwas zerknitter­te Anzug. So mögen ihn die Briten.

Johnsons Kommentare in der TV-Satiresend­ung „Have I Got News for You“haben zur Gründung von Fanclubs geführt, seine ironischen Bemerkunge­n zum Zeitgesche­hen lockern den drögen politische­n Alltag auf, und im Internet finden sich Webseiten für „Boris-Zitate“. Über den angebliche­n Versuch der EU, einen Superstaat schaffen zu wollen, lästerte er einmal: „Napoleon, Hitler, verschiede­ne Leute haben das versucht, und es endet (immer) tragisch.“

Während des Wahlkampfs 2005 versprach er: „Wenn Sie konservati­v wählen, wird das Ihren Frauen größere Brüste verschaffe­n und Ihre Chancen erhöhen, einen BMW zu gewinnen.“Er weiß: Sein Mundwerk und seine Respektlos­igkeit bringen ihm Sympathien ein – selbst wenn er sich im Ton vergreift.

Sollte Johnson May nachfolgen, droht ein ungeordnet­er Brexit, ein EU-Austritt ohne Vertrag. Es wäre ein schwerer Schlag für die Wirtschaft.

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FOTO: IMAGO Hat gute Chancen: Boris Johnson.

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