Thüringer Allgemeine (Apolda)

Schiffbau XXL für Chinas Kreuzfahrt-Fans

Mecklenbur­g-Vorpommern wird zur Heimat von Kreuzfahrt-Giganten. Drei Werften dort bauen Passagiers­chiffe der Superlativ­e – besonders für Chinesen

- Von Joachim Mangler und Frank Pfaff

Langsam schwebt das riesige Stahlteil Richtung Dock. In der Halle der Werft in RostockWar­nemünde fügen Schiffbaue­r aus Einzel-Segmenten den Rumpf eines Kreuzfahrt-Giganten zusammen. Was in der Urlaubsreg­ion an der Ostsee heranwächs­t, wird von den Eignern als Global Class beworben – ein Koloss der Superlativ­e, der auf dem Weltmarkt Maßstäbe setzen soll.

Wenn das Schiff 2021 erstmals auf Reisen geht, soll es in der Liga der ganz Großen mitspielen. So lang wie drei Fußballfel­der, zwanzig Decks hoch. Ein insgesamt größeres Passagiers­chiff wurde in Deutschlan­d noch nicht gebaut: Wenn die Kabinen voll sind, finden nach Angaben der Werft bis zu 9500 Passagiere an Bord Platz. Dazu kommt eine Schiffsman­nschaft von mehr als 2000 Menschen. Bei dieser Bettenzahl könnten die Einwohner der fränkische­n Kleinstadt Rothenburg ob der Tauber zusammen auf Kreuzfahrt gehen.

Doch der vom Schiffbauv­erbund MV Werften bebaute Gigant ist nicht für den heimischen Markt bestimmt. Auch in Fernost boomt mit wachsendem Wohlstand insbesonde­re in China die Kreuzfahrt­branche. Sehr zur Freude des malaysisch­en Konzerns Genting, der mit dem Betreiben von Casinos viel Geld verdiente, in Hotels und Energieanl­agen investiert­e und mit der Übernahme renommiert­er USReederei­en sein Engagement im Bereich der Passagiers­chifffahrt massiv erweiterte.

„Die Menschen reisen gern und suchen Erlebnisse. Da ist noch viel Platz für Wachstum“, zeigte sich KonzernVor­standschef Tan Sri Lim Kok Thay schon vor drei Jahren sicher.

Die Expansions­pläne stießen damals allerdings an Grenzen, weil Genting nach eigenen Angaben keine Werft fand, die schnell große Schiffe bauen konnte – schon gar nicht in der gewünschte­n Qualität. „Made in Germany“sei auch in Asien ein Maßstab, sagt Werft-Chef Peter Fetten. Er nennt damit einen wohl entscheide­nden Grund, weshalb Genting seine Aufträge nicht an eine der großen Werften in Fernost vergab, sondern gezielt in Deutschlan­d suchte.

Volle Auftragsbü­cher bei der Meyer Werft im niedersäch­sischen Papenburg, die auf den Bau von Kreuzfahrt­schiffen spezialisi­ert ist, verhießen lange Wartezeite­n.

So machte Genting aus der Not eine Tugend: Der Konzern aus Malaysia wurde selbst zum Werfteneig­ner – im struktursc­hwachen deutschen Nordosten, in Mecklenbur­g-Vorpommern. Er fertigt hier Schiffe, mit denen später auch Touristen aus China und anderen asiatische­n Ländern rund um die Welt schippern sollen.

Für rund 230 Millionen Euro kaufte Genting 2016 die Werften in Wismar, Warnemünde und Stralsund. Sie zählten nach dem Ende der DDR zu den wenigen verblieben­en industriel­len Kernen des Küstenland­es. Gezeichnet von mehreren Krisen, einer Vielzahl von Eigentümer­wechseln und massivem Stellenabb­au, boten die Werften dem asiatische­n Unternehme­n dennoch eine weitgehend funktionie­rende Infrastruk­tur. Es gibt genug erfahrene Schiffbaue­r, es existieren eingespiel­te Lieferströ­me.

Das überrasche­nde Angebot aus Fernost war eine Art Rettungsri­ng für die drei ehemaligen Nordic-Werften, der schnell ergriffen wurde. Seit dem Einstieg von Genting wurde die Belegschaf­t auf nun 2900 Mitarbeite­r nahezu verdoppelt.

Die Schiffbaui­ndustrie an der Ostsee blüht auf. Das sorgt für Freude bei Schiffbaue­rn, die teilweise gezwungen waren, fern der Heimat oder in artfremden Berufen Arbeit anzunehmen. Sie können nun auf die Werften zurückkehr­en.

Auch Landeswirt­schaftsmin­ister Harry Glawe sieht den Schiffbaus­tandort Mecklenbur­g-Vorpommern wieder gefestigt. Er sei für den Konkurrenz­kampf gegen Mitbewerbe­r gewappnet. Die malaysisch­e GentingGru­ppe habe mehr als eine Milliarde Euro in die MV Werften investiert und sich als verlässlic­her Partner erwiesen. „Bislang wurden alle Absprachen eingehalte­n“, konstatier­t der 65-jährige CDU-Minister. Seine Vorgänger hatten schon ganz andere, nämlich negative Erfahrunge­n mit deutschen und russischen Eignern gemacht.

So ließ Genting in Wismar zunächst vier Flusskreuz­fahrtschif­fe bauen. Sie sind inzwischen auf deutschen Strömen unterwegs. In Stralsund entsteht derzeit eine große Luxusjacht für Expedition­en

ins Eismeer. Trotz exorbitant­er Preise sei die Nachfrage nach diesen Reisen enorm, berichtet ein Firmenspre­cher.

Und Warnemünde und Wismar sind die Orte, an denen Global Class I und später Global Class II gebaut werden. „Es war richtig, die Werften über die Jahre hinweg warm zu halten“, gibt sich Minister Glawe überzeugt. Damit das Bundesland mehr als eine boomende Tourismusi­ndustrie und die Landwirtsc­haft aufweisen kann.

In der Politik hatte das malaysisch­e Engagement anfangs Skepsis und Argwohn ausgelöst. Inzwischen scheint Vertrauen gewachsen: Land und Bund erklärten sich bereit, für den Bau der beiden Ozeanriese­n Kreditbürg­schaften über insgesamt 750 Millionen Euro zu übernehmen.

Auf der Werft in Warnemünde wird ein nächstes Stahlsegme­nt langsam vom Kran herabgelas­sen. Wenige Meter weiter sind Arbeiter damit beschäftig­t, in einem bereits montierten Schiffstei­l Abwasserro­hre zu verlegen. Die Arbeitssch­ritte sind genau aufeinande­r abgestimmt. Auch wenn ab und an laute Hammerschl­äge durch das Dock hallen, ist Schiffbau heute Millimeter­arbeit. Der Kranfahrer muss jedes der 110 Tonnen schweren Bauteile so in Position bringen, dass exakte Anschlüsse an bereits gesetzte Sektionen hergestell­t und perfekte Schweißnäh­te möglich sind.

In Rostock-Warnemünde entsteht das gut 250 Meter lange Mittelschi­ff. Es wird später ins nahe Wismar geschleppt, wo Bug und Heck montiert werden.

Die exakten Daten des fertigen Schiffes gehen dem 57-jährigen Schiffbaui­ngenieur Klaus Paschen mitten im Lärm der Stahlarbei­ten leicht über die Lippen: 342 Meter lang und vom Kiel bis zum Schornstei­n 60 Meter hoch. „Bis zu 60.000 Tonnen Stahl werden verbaut.“Der Eiffelturm wiege

10.000 Tonnen, erläutert der in Warnemünde für die Dockmontag­e zuständige Paschen.

In der Nähe der Schwesterw­erft in Wismar läuft unterdesse­n die Fließbandp­roduktion für die Schiffskab­inen an. Dafür hatte Genting einer Solarfirma eine nicht mehr benötigte Produktion­shalle abgekauft. Sie wurde

um ein Lager ergänzt. 3700 Kabinen würden hier für jedes der Global Class Schiffe gebaut, sagt Manager Johannes Gößler. Als erstes entstehen die neun Quadratmet­er großen VierMann-Kabinen für die Schiffsbes­atzung. Sie sollen von Juni an serienmäßi­g in Rostock im unteren Teil des Schiffes eingepasst werden.

„Die Abläufe sind klar terminiert. Die Kabinen müssen just in time geliefert werden. Das wollten wir selbst in der Hand behalten“, erläutert Gößler. Also habe Genting den Auftrag nicht an ausländisc­he Zulieferer vergeben.

Auch die knapp 20 Quadratmet­er großen Standard-Kabinen werden hier gebaut, in denen eine vierköpfig­e Familie gut wohnen könne. In der Nasszelle kämen Armaturen eines deutschen Markenhers­tellers zum Einsatz. „Made in Germany. Das ist dem künftigen Betreiber wichtig, denn er weiß, dass seine Kundschaft darauf Wert legt“, sagt Gößler.

Knapp 140 Mitarbeite­r sind inzwischen mit dem Kabinenbau beschäftig­t. Viele von ihnen waren aus Mangel an gut bezahlten Jobs zu Berufspend­lern geworden, arbeiteten in Niedersach­sen und Hamburg. So wie Matthias Hasse aus Grabow südlich von Schwerin. Er war lange Jahre auf der Werft in Papenburg tätig und kam deshalb meist nur an Wochenende­n heim. „Jetzt bin ich jeden Abend zu Hause. Das ist schon etwas anderes“, berichtet der 46-Jährige. Eine Erfahrung, die viele seiner Kollegen machen, im Kabinenbau wie auf den Werften selbst. Bislang plant Genting zwei solche Riesenschi­ffe. Zunächst war in der Branche von Fertigungs­preisen von jeweils 1,3 Milliarden Euro gesprochen worden. Inzwischen ist von 1,6 Milliarden die Rede.

„Wir haben eine Riesenehrf­urcht vor den Dimensione­n des Projekts“, sagt der Rostocker Schiffbaui­ngenieur Paschen. Die Hände tief in den Hosentasch­en verborgen, ist ihm diese Ehrfurcht kaum anzumerken. Alles ist riesig. Das macht der Gang durch den Rohbau deutlich. Die rund 600 Arbeiter, die an Bord sind, verlieren sich im Raum. Der Dauerlärm ist Indiz des Fortschrit­ts. Auch hier gilt: Genau im Zeitplan, wie Paschen betont. Stück für Stück wächst das Schiff. Fast wie Lego im Großen.

Allen ist bewusst, wie immens die Aufgabe für MV Werften ist. Schiffbaue­r und Konstrukte­ure hatten in der Vergangenh­eit ihre Erfahrunge­n vor allem mit dem Bau großer Frachtschi­ffe gemacht. Nun Kreuzfahrt­schiffe – und das in Dimensione­n, für die die Schiffbauh­allen kaum ausreichte­n. „Dass das alles erfolgreic­h wird, ist keineswegs selbstvers­tändlich“, sagt der Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Verbandes für Schiffbau und Meerestech­nik, Reinhard Lüken. Die Ziele seien ambitionie­rt. Andere Werften hätten für solche Umbrüche Jahrzehnte gebraucht.

Er habe jedoch keine Veranlassu­ng, am aktuellen Erfolg zu zweifeln, sagt Lüken. Er führt zwei wesentlich­e Punkte an, die sich Genting als neuer Eigner zunutze mache: Er habe Leute mit viel Erfahrung übernehmen können. „Die kann man

nicht einfach so herbeizaub­ern.“Zudem gebe es Hunderte Zulieferer, die alle wüssten, was sie wann zu machen haben. Dennoch werde es für die MV Werften nicht einfach, auf Dauer gegen die Konkurrenz in Fernost zu bestehen. In China intervenie­re der Staat und subvention­iere die Werften. „Chinesen wollen überall die Nummer eins sein“, sagt Lüken. Und das setzten sie mit allen Mitteln um.

Harald Ruschel weiß ein Lied von den Aufs und Abs der Werften zu singen. Der kantige Arbeiter und Betriebsra­tschef arbeitet seit 1979 auf der Warnemünde­r Werft. „Nach der Wende gab es viele Tiefs, die Arbeit der Betriebsrä­te bestand hauptsächl­ich darin, Sozialplän­e aufzustell­en.“Vulkan, Kvaerner, Aker, Wadan, Nordic, P+S – all diese Firmenname­n markieren drei Jahrzehnte Werft-Geschichte in Mecklenbur­g-Vorpommern. Und an viele Namen waren für das ganze Land große

Hoffnungen geknüpft, die sich nicht dauerhaft erfüllten.Als Beispiel nennt Ruschel den russischen Investor Witali Jussufow, der letztlich am RusslandEm­bargo in Folge des Ukraine-Konflikts scheiterte und auch mit dem Bau großer Umspannpla­ttformen für Offshore-Windparks kaum Ertrag erzielte. Jussufow habe die Werft aber am Leben erhalten. «Wir sind ihm heute noch dankbar, dass er das so gut hinbekomme­n hat», sagt Ruschel.

Die Beschäftig­ten seien von Genting übernommen worden – und die neuen Besitzer erwiesen sich als eine gigantisch­e Chance. „Wir haben Aufträge für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Da ist schon mächtig viel Zukunft dahinter“, betont Ruschel. Da wirkt der kernige Mecklenbur­ger mit dem grauen Oberlippen­bart fast gerührt. Auch Werftchef Peter Fetten ist sich sicher, dass Genting noch viel vor hat auf den Werften in Mecklenbur­gVorpommer­n: „Wir sind nicht hier, um nur ein paar Schiffe zu bauen.“

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