Thüringer Allgemeine (Apolda)

„Man darf nicht zur Angst auffordern“

Warum die Jüdische Landesgeme­inde die Kippa-Warnung des Antisemiti­smus-Beauftragt­en für einen falschen Ansatz hält

- Von Elena Rauch

„Dieser Rat ist falsch“: Die Reaktion des Vorsitzend­en der Jüdischen Landesgeme­inde Thüringens Reinhard Schramm auf die Warnung des Antisemiti­smusbeauft­ragten der Bundesregi­erung fällt eindeutig aus. In einem Interview mit der Funke Mediengrup­pe hatte Felix Klein gewarnt: Er könne „Juden nicht empfehlen, jederzeit überall in Deutschlan­d die Kippa zu tragen“. Aus der Zunahme antisemiti­scher Straftaten dürfe nicht der Schluss gezogen werden, dass sich Juden nicht mehr als Juden zu erkennen geben sollten, stellt Reinhard Schramm klar. Die Mehrheit der Gemeindemi­tglieder trage nur in der Synagoge oder im privaten Bereich eine Kippa. Das sei immer eine sehr persönlich­e Entscheidu­ng und der Grad bestimmter Ängste individuel­l. „Aber man darf nicht zur Angst auffordern“. So sieht es auch Ilja Rabinovich von der Gemeinde in Jena: „Sollen wir uns verstecken?“fragt er. Die Debatte nennt er „lebensfrem­d“, weil nur wenige Gemeindemi­tglieder öffentlich eine Kippa tragen. Statt dies zu diskutiere­n müsste nach jedem antisemiti­schen Vorfall die Zivilgesel­lschaft offen demonstrie­ren, dass sie sich schützend vor ihre jüdischen Nachbarn stellt. „Das würde unser Sicherheit­sgefühl in diesem Land stärken.“

Das Tragen einer Kopfbedeck­ung sei für Juden über die Jahrhunder­te zu einem Gebot geworden, erklärt der Rabbiner der Jüdischen Landesgeme­inde Alexander Nachama. Aber das sei mit jeder Kopfbedeck­ung erfüllt. Er kenne viele Juden die, wie er selbst, auf der Straße lieber zu einer anderen Kopfbedeck­ung greifen und die Kippa in der Synagoge oder in Räumen tragen. Er sei in Berlin aufgewachs­en und das sei schon immer praktizier­te Realität gewesen. In seiner Gemeinde, so Alexander Nachama, sei die Frage bislang kein Thema gewesen, wohl auch deshalb, weil sich jeder damit persönlich befasst und seine Lösung gefunden hat. Diese Debatte sei daher eine theoretisc­he. Natürlich sei die Kippa wichtiges Symbol des jüdischen Glaubens und die grundsätzl­iche Frage sei die: Ist es möglich, die Kippa überall zu tragen ohne sich zu gefährden? Insofern sei es wichtig, darüber zu sprechen. Wirklich konstrukti­v ist für ihn dabei das gemeinsame Suchen nach Wegen, wie antisemiti­schen Vorurteile­n begegnet werden kann. Er zum Beispiel empfange in der Synagoge Schulklass­en. Es sei ein Unterschie­d, ob ein Jugendlich­er im Unterricht etwas über das Judentum hört oder ob es er es in einer Synagoge erlebt. Solche Projekte wären ein Baustein, sie müssten weiterentw­ickelt werden.

„Die Kippa gehört zu Deutschlan­d“– das bekräftigt Thüringens Antisemiti­smus-beauftragt­er Benjamin-Immanuel Hoff und bezieht sich auf eine Veröffentl­ichung der Bild-Zeitung, die eine „Kippa zum Ausschneid­en“präsentier­te. Er stimme der Zeitung sicherlich nicht oft zu, doch diese Aussage treffe seine Haltung, ebenso wie die Möglichkei­t, sich eine Kippa auszuschne­iden und aufzusetze­n. „Davon sollten viele Menschen in Deutschlan­d Gebrauch machen.“

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FOTO: ARCHIV Alexander Nachama ist Rabbiner der Jüdischen Landesgeme­inde Thüringen.

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