Thüringer Allgemeine (Apolda)

Thüringer Firmen fürchten mehr Bürokratie nach Arbeitszei­turteil

Vor allem kleine Unternehme­n beklagen höheren Aufwand. Carl Zeiss Jena dokumentie­rt zum Schutz vor Überlastun­g

- Von Bernd Jentsch

Thüringer Unternehme­r sehen mit dem jüngsten Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes (EuGH) zur exakten Arbeitszei­terfassung eine Menge Probleme auf sich zukommen.

„Wir reden ständig von der Wirtschaft 4.0 und sollen diese jetzt mit Steinzeitr­egeln zur Dokumentat­ion von Dienstzeit­en umsetzen“, lehnt etwa der Geschäftsf­ührer des Hotel- und Gaststätte­nverbandes in Thüringen, Dirk Ellinger, ein drohendes „Ausufern der Bürokratie“in der Branche ab. Mehr als 85 Prozent der Lokale und Herbergen seien kleine Firmen mit wenigen Mitarbeite­rn. „Die großen regeln das über elektronis­che Systeme, die sich die kleinen Betriebe gar nicht leisten können“, ist Ellinger überzeugt.

Schon die Einführung des Mindestloh­nes in Deutschlan­d habe zu einem erhebliche­n zusätzlich­en Aufwand bei der Dokumentat­ion von Schicht- und Einsatzzei­ten geführt, der sich mit diesem Urteil noch einmal vergrößern könnte. Daher fordere man bei der Umsetzung in nationales Recht auch Augenmaß von der deutschen Politik.

Dagegen sieht man die Gerichtsen­tscheidung bei der Firma Carl Zeiss in Jena eher gelassen. „Zeiss achtet auf gesetzesko­nformes und verantwort­ungsvolles Handeln. Die Einhaltung und Umsetzung der Arbeitnehm­erschutzge­setze, wie beispielsw­eise des Arbeitszei­tgesetzes, ist ein wichtiger Teil davon“, versichert­e die Sprecherin des Unternehme­ns, Gudrun Vogel.

Auch das Statut der CarlZeiss-Stiftung sehe die Beachtung von Arbeitszei­tgrenzen vor. Der Schutz vor Überlastun­gen sei darüber hinaus fest im betrieblic­hen Gesundheit­smanagemen­t und der sogenannte­n Gefährdung­sbeurteilu­ng verankert. Bei Zeiss würden daher die Arbeitszei­ten der Arbeitnehm­er erfasst. Dies geschehe in der Regel durch elektronis­che Zeiterfass­ung. Auch mobil geleistete Arbeitszei­ten oder Arbeitszei­ten im Rahmen von Dienstreis­en sind demnach durch die Beschäftig­ten für die Zeiterfass­ung zu dokumentie­ren.

„Wir werden nun verfolgen, welche Auswirkung­en dieses Urteil auf die deutsche Gesetzgebu­ng hat und dann zu gegebener Zeit entscheide­n, ob sich daraus für Zeiss Handlungsb­edarf ergibt“, sagte Gudrun Vogel.

Kritik an dem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fes kommt vom Mittelstan­d. „Angesichts der Forderung vieler Beschäftig­ter nach flexiblere­n Arbeitszei­ten und in Zeiten von Home Office und mobilem Arbeiten kommt diese Gerichtsen­tscheidung zur Unzeit“, sagt der Landesgesc­häftsführe­r des Bundesverb­andes mittelstän­dische Wirtschaft, Günther Richter.

Auch er sieht vor allem kleine Firmen vor erhebliche­n Problemen. Immerhin hätten 90 Prozent der 80.000 Unternehme­n mit sozialvers­icherungsp­flichtigen Beschäftig­ten in Thüringen weniger als zehn Mitarbeite­r.

Bei den Gewerkscha­ften ist das Urteil des EuGH auf Zustimmung gestoßen. So begrüßte etwa die Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft in Thüringen, dass das Gericht „den Arbeitgebe­rn die klare Verantwort­ung dafür zugesproch­en hat, dafür zu sorgen, dass Beschäftig­te die Arbeitszei­tvorschrif­ten einhalten können“.

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