„Das wird mich ein Leben lang begleiten“
Rolf Beilschmidt, scheidender Hauptgeschäftsführer des Landessportbundes, zieht Bilanz über seine Tätigkeit als Sportfunktionär und seine Stasi-Vergangenheit
Ende August geht der Hauptgeschäftsführer des Thüringer Landessportbund, Rolf Beilschmidt, in den Ruhestand. Bis dahin übergibt er die Geschäfte an seinen Nachfolger Thomas Zirkel. Mit in den Ruhestand nimmt der dann 66-Jährige frühere Weltklasse-Hochspringer seine Geschichte als früherer Informant der DDRStaatssicherheit, zu der ihm seine Kritiker vorwerfen, er habe sie ausgesessen. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.
Welche Gefühle überwiegen am Ende einer – auch wegen vieler Vorwürfe gegen Sie – umstrittenen Dienstzeit?
Der Kritik an meiner Person war und bin ich mir bewusst. Trotzdem überwiegt für mich das Positive. Mit vielen anderen konnte ich sowohl im Olympiastützpunkt Thüringen als auch im Landessportbund viel im Landessport mitgestalten. Ich denke da an die Finanzierung des LSB und an die Förderung von Sportlern, Trainern und Vereinen im Leistungs- wie im Breitensport. Mit einem Etat von gut 10 Millionen Euro können wir einiges bewegen. Auf der Habenseite steht die kostenlose Nutzung von Sportstätten durch Vereine. Sportler sind durch Versicherungen gut abgesichert, profitiert hat davon gerade Kristina Vogel nach ihrem Unfall. All das auf den Weg zu bringen, hat heftige Auseinandersetzungen gekostet. Allerdings hat mich auch die Vergangenheit, die des Sportes in Thüringen sowie meine eigene, beschäftigt. Letztere führte dazu, dass Kritik an meiner Person zum Anlass genommen wurde für Kritik am LSB.
War es richtig, trotz Stasi-Vergangenheit im Amt zu bleiben?
Als Sportler lernt man das Kämpfen. Aufgeben ist nicht mein Ding. Ich stehe gern für Kontinuität, wir haben als LSB auch eine soziale Verantwortung. Dazu gehört für mich ein geregelter Übergang an der Spitze. Unser neuer LSB-Präsident Stefan Hügel hat mich ausdrücklich darum gebeten, weiterzumachen und zum guten Wechsel beizutragen. Über meine Fehler in der Vergangenheit gehe ich nicht leichtfertig hinweg. Dieser Makel bleibt. Meine Verstrickungen in das System sind 2014/2015 durch die Geiger-Kommission und die Universität Potsdam bewertet worden. Die Untersuchung von Jutta Braun und Michael Barsuhn zu den Perspektiven der Aufarbeitung des DDR-Sports in Thüringen habe ich selbst mit initiiert. Der LSB hat sie entscheidend mit finanziert, was dann wiederum den Vorwurf nach sich zog, die Studie sei nicht unabhängig.
Über dem Kapitel zu Ihnen im Bericht von Jutta Braun und Michael Barsuhn steht als Überschrift „Vom Sportler zur ,Stütze des Systems‘“. Echte Entlastung klingt anders.
Schon die Geiger-Kommission kam am Ende zu dem Ergebnis, dass die Belastung nicht ausreicht, um meine Entbindungen vom Amt zu empfehlen. Auch wenn das nicht alle so gesehen haben. Entscheidend für mich war letztlich der überwiegende Rückhalt im Sportbund und im Kollegenkreis. Fachverbände, Kreis- und Stadtsportbund, aber auch viele Vereine sprachen mir mehrheitlich das Vertrauen aus. Das waren meine Triebkräfte, weiterzumachen. Ansonsten hätte ich auch kein Problem damit gehabt, früher zu gehen.
Sie sagen, der Makel bleibt. Wie würden Sie ihn beschreiben?
Ich wurde als 22-jähriger junger Sportler von der DDR-Staatssicherheit angeworben, Druckmittel waren unerlaubte Westkontakte. Später archivierte man meine Akte wegen Unzuverlässigkeit, trotzdem gab es weiter Kontakte und Gespräche. Das ist Teil meiner Geschichte mit vielen Grautönen. Ja, ich habe leichtfertig Informationen über Menschen, auch über Bekannte und Freunde, an die Stasi weitergegeben. Das waren Aussagen im Rahmen von Gesprächen, denen man sich insbesondere als Sportverantwortlicher schwer entziehen konnte. Im Rahmen meiner Leitungsfunktion war ich damals von der Richtigkeit für den Sport überzeugt. Leider wurden daraus Mosaiksteine, aus denen die Stasi ihr Menschenbild konstruierte. Insofern war ich ein Rad im System. Welche Schäden entstehen konnten oder entstanden sind, war mir damals nicht bewusst.
Ihr damaliger Freund Roland Jahn wirft Ihnen vor, bis heute keine Reue gezeigt zu haben.
Mit einigen Betroffenen habe ich mich ausgesprochen. Mit einer Trainerin, zu deren persönlicher Situation ich damals Angaben machte, verbindet mich heute wieder ein freundschaftliches Verhältnis. Als die Studie der Universität Potsdam nach viel Gezerre an der Universität Erfurt vorgestellt wurde, habe ich öffentlich dazu gesprochen, was keine leichte Entscheidung für mich war. Vieles, was in den letzten Jahren durch die Medien ging, glich einer Hinrichtung. Die Beiträge füllen mehrere Ordner. Ich habe versucht, mit Roland Jahn zu sprechen. Das kam nicht zustande.
Roland Jahn seinerseits sagt, er sei immer zum Gespäch bereit. Sind sie noch Freunde?
Wir waren es.
Ab September werden Sie Privatmann sein – ist die Geschichte für Sie damit endgültig vorbei?
Nein, das kann sie nicht sein. Das Thema Staatssicherheit begann für mich 1976, als ich 22 Jahre alt war und wird mich ein Leben lang begleiten. Ich habe in der Zeitung von einem Zeitzeugenprojekt der Universität Erfurt gelesen. Über so etwas denke ich nach. Ich bin froh über die 30 Jahre, die ich inzwischen in der Bundesrepublik leben und arbeiten durfte. Deswegen werfe ich nicht alles, was davor war, auf den Müllhaufen.
Angesichts des Dopingskandals rund um den Erfurter Sportarzt Mark Schmidt kam die Frage auf, wie tief der LSB da mit drinsteckt. Ein Vorwurf lautete auch, Sie hätten die DDR-Dopingvergangenheit mit verschleppt. Kann so jemand die Doping-Geschichte glaubwürdig aufarbeiten?
Ich selbst habe dazu viel mit auf den Weg gebracht. Der LSB ist im Austausch mit staatlich anerkannten DDR-Dopingopfern sowie von Dopingpraktiken betroffenen Sportlern. Dabei geht es vor allem um Beratung sowie um Informationen zu Unterstützungsund Hilfeleistungen. Mit Anke Schiller-Mönch haben wir eine Ansprechpartnerin benannt, die berät und hilft. Es gab mehrere Gespräche mit Betroffenen, auch unter Beteiligung der Staatskanzlei und der Ministerien. Im August findet ein weiteres großes Treffen mit ihnen statt. Wir unterstützen sie bei der Begutachtung von Folgeschäden, helfen bei der Suche nach Ärzten. Vor wenigen Wochen hatte ich ein Gespräch mit Henner Misersky, dem ärgsten Kritiker in Sachen Aufarbeitung des DDR-Dopings, das aus meiner Sicht ausgesprochen sachlich und konstruktiv verlief.
Ihrer Kritikerin Ines Geipel vom Dopingopfer-Hilfe-Verein wird das nicht reichen…
Wie war es denn: Es gab staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Trainer, Funktionäre und Ärzte, die in das DDR-Dopingsystem eingebunden waren. Die wurden im Regelfall eingestellt, allenfalls gegen Geld-Zahlungen. Meist entschieden sich dann die Fachverbände dafür, die Trainer weiter zu beschäftigen. Wichtig ist mir, dass wir die Opfer nicht allein lassen.
Sie waren zu DDR-Zeiten Teil des Sport- und auch des Dopings-Systems. Wie ließ sich das mit Ihrer LSB-Leitungstätigkeit vereinbaren??
Ich habe 2011 erklärt, dass ich als Sportler gedopt habe. Auch das war nicht einfach, ebenso wenig die Reaktionen darauf. Wir hatten damals dazu kein Unrechtsbewusstsein. Das gab es im Osten und das gab es auch im Westen. Unter Sportlern tauschte man sich sogar darüber aus, wie es die jeweils anderen machen. Auch das bleibt bei mir bis ans Ende meines Lebens. Kann so einer glaubhaft gegen Doping kämpfen? Ich sage ja. Wir sind heute aktiv in der Prävention tätig. Der LSB vertritt da eine absolute Null-ToleranzPolitik. Aber ich sehe auch bei Freunden und früheren Sportkollegen viele Vorbehalte bei diesem Thema. Viele wollen heute nicht mehr darauf angesprochen und schon gleich gar nicht öffentlich darüber reden.
Wie war es während Ihrer Zeit beim SC Motor Jena?
Ich selbst war als Vorsitzender nicht in die Praxis eingebunden. Das machte die medizinische und fachliche Ebene. Aber natürlich wusste ich aus meiner aktiven Sportlerzeit davon und muss mir im Nachhinein eingestehen, dass ich es billigend zur Kenntnis und in Kauf nahm.
Am 31. August ist Schluss mit der aktiven Berufszeit – was ist bis dahin noch zu tun?
Ich hatte immer viel zu tun, ebenso wird es für meinen Nachfolger sein. Den Übergang wollen wir gut hinkriegen. Themen müssen neu geordnet werden. Die DOSB-Leistungssportreform steht an. Wie geht’s weiter im Spitzensport, wo auch in Thüringen Leistungsrückgänge zu verzeichnen sind? Paradebeispiel ist das Biathlon: Thüringen stellte bei den Frauen mal fast eine ganze Erfolgs-Staffel mit Kati Wilhelm, Andrea Henkel und Katrin Apel, jetzt ist da niemand mehr in der Weltspitze, trotz guter Rahmenbedingungen. Und ich befürchte, daran wird sich auch bis zur Weltmeisterschaft 2023 in Oberhof nichts ändern. Auch ein Erik Lesser ist dann deutlich über 30. Was müssen wir strukturell ändern, wie bekommen wir mehr, bessere Trainer? Für Erfolge in Mannschaftssportarten wie dem Fußball fehlen im Osten die wirtschaftlich über Generationen gewachsenen Vereine. 50 Prozent der Thüringer Vereine haben weniger als 50 Mitglieder, 75 Prozent weniger als 100. Das ist keine optimale Vereinsstruktur. Hier basiert fast alles auf öffentlicher Förderung.
Wie geht es für Sie weiter?
Ich werde nicht ganz aufhören. Ich habe schon etwas im Auge, wo ich mich engagieren möchte. Anonsten will ich mal angehen, was ich schon immer machen wollte, wofür ich bisher aber keine Zeit hatte: Golf spielen.