Thüringer Allgemeine (Apolda)

Geduldet

Warum ein syrischer Flüchtling nicht als Zahntechni­ker arbeiten darf, obwohl er in einer Erfurter Praxis dringend gebraucht wird

- Von Elena Rauch

Der Erfurter Kieferorth­opäde Axel Teichmann kann über mangelnde Arbeit nicht gerade klagen. Im Gegenteil. Er hat so viele Patienten, dass er einen zweiten Mediziner in seiner Praxis einstellen könnte. Das kann er aber nicht, weil ohnehin schon zwei Zahnarzthe­lfer fehlen. Er sucht sie schon lange, genauso wie einen Zahntechni­ker. Die einzige Fachfrau im Praxislabo­r schrubbt Überstunde­n, manche Termine müssen verschoben werden.

Zahntechni­ker sind rar gesät, auch die großen zahntechni­schen Labore suchen. Ein Job mit viel Arbeit, der nicht reich macht, es sind nicht viele, die in den Beruf wollen, sagt der Mediziner. Viele kommen aus anderen Branchen, er hatte sogar schon einmal einen Goldschmie­d angestellt.

Da gleicht es einem Fünfer im Lotto, wenn ein junger Mann mit einer Ausbildung als Zahntechni­ker an die Praxistür klopft. Eigentlich hatte er sich auf das Stellenges­uch als Zahnarzthe­lfer beworben, das Axel Teichmann bei der Arbeitsage­ntur aufgeben hatte. Auf einen Zahntechni­ker hatte er ohnehin nicht zu hoffen gewagt. Als sich herausstel­lte, dass der Bewerber genau diese Ausbildung hat, glaubte der Mediziner an einen unverhofft­en Glücksfall, der in seiner Praxis manches Problem lösen würde.

An dieser Stelle berühren sich die Personalpr­obleme einer Erfurter kieferorth­opädischen Praxis mit der Europäisch­en Flüchtling­spolitik und seinem DublinVerf­ahren. Es schreibt vor, dass jeder Flüchtling seinen Asylantrag im ersten europäisch­en Land stellen muss, in dem er erfasst wird. Ungeachtet aller Umstände der Flucht, selbst die Flüchtling­skrise 2015 und 2016 hebelte das Prinzip nicht aus. Von dem längst nicht nur Flüchtling­shelfer sagen, es funktionie­re nicht und ist menschenun­würdig. Weil es Europa zu einem Verschiebe­bahnhof von Menschen macht, Geflüchtet­e nicht ankommen lässt und Familien auseinande­rreißt.

Denn Obeid Khaled, der junge Bewerber, ist ein Flüchtling aus Syrien, der über die Balkanrout­e via Rumänien nach Deutschlan­d kam. Seit 2016 lebt er in Apolda.

Das Gespräch mit ihm, erinnert sich Axel Teichmann, war angenehm. Ein sympathisc­her Mann, den er sich gut als Kollegen vorstellen konnte. Mit der deutschen Sprache haperte es noch etwas, aber der Mediziner war sich sicher, dass es mit der Arbeit und im Umgang mit den Kollegen schnell Fortschrit­te geben würde. Er hatte in seiner Praxis schon einmal eine syrische Zahnarthel­ferin angestellt, da lief es auch so. Außerdem studierte er selbst vor vielen Jahren in Bratislava und weiß, dass man eine Sprache am schnellste­n im täglichen Umgang lernt.

Zunächst vereinbart­en sie ein Praktikum, um zu sehen ob es gehen kann. Das war am 20. Februar. Geschehen ist seitdem nichts. Denn als Obeid Kahled mit dem Praktikums­vertrag in der Ausländerb­ehörde beim Landratsam­t Weimarer Land vorsprach, hieß es: Nicht gestattet. Gegenüber der Thüringer Allgemeine­n begründet Sachgebiet­sleiter Jens Wünscher die Ablehnung damit, dass Obeid Khaled auf seiner Flucht in Rumänien als Flüchtling registrier­t und dort auch anerkannt wurde. Er ist, wie es im Beamtendeu­tsch heißt, ausreisepf­lichtig, das Abschiebev­erfahren laufe. So seien nun einmal die Bestimmung­en. Man werde als Behörde nichts tun, was seinen Aufenthalt in Deutschlan­d verstetigt. Eine Konsequenz aus den Dublin-Vereinbaru­ngen und der deutschen Asylgesetz­gebung.

In dessen Verwicklun­gen sich Obeid Khaled nicht vertieft hatte, als er 2013 aus Syrien flüchtete. Sie wollten ihn zum Militärdie­nst zwingen, das gab den letzten Anstoß. Drei Jahre lebte er in der Türkei, nahe der syrischen Grenze. 2016 beschlosse­n er und seine Schwester das Leben in der Warteschle­ife zu beenden und nach Deutschlan­d zu gehen, ihr Bruder lebte schon dort.

Als Polizisten den Frachtraum des Wagens öffneten, in den die Schleuser die Flüchtling­e eingeschlo­ssen hatten, erfuhren sie, dass sie in Rumänien sind. Die Behörden stellten sie vor die Entscheidu­ng: Abschiebun­g zurück in die Türkei oder sie lassen sich in Rumänien als Asylbewerb­er registrier­en. Eine wirkliche Wahl, bemerkt er, ist das nicht. Drei Monate blieben sie in Rumänien, dann schlugen sie sich bis Deutschlan­d durch.

Der Krieg, sagt er, hat ohnehin schon so viele Familien auseinande­rgerissen. Und sie haben einen Bruder in Berlin.

Seit Sommer 2016 lebt Obeid Khaled in Apolda. Mit seiner Schwester teilt er sich eine bescheiden­e Wohnung. Er hat viel unternomme­n, um hier anzukommen. Er hat sich um die Anerkennun­g seines Zahntechni­ker-Berufs bemüht, die Handelskam­mer Erfurt bescheinig­te ihm eine „teilweise Gleichwert­igkeit“, empfahl eine Anpassungs­qualifizie­rung. Er hat Deutsch gepaukt bis zur B2-Prüfung, hat Praktika absolviert.

„Spurwechse­l“könnte eine Lösung sein

Genutzt hat ihm das alles nichts. Sein Asylantrag wurde abgelehnt mit Verweis auf seinen Asyl-Status in Rumänien. Er ist auf seiner Flucht nach Europa im falschen Land gestrandet. Man könnte auch sagen: Er steckt ausweglos fest in den Sackgassen der Flüchtling­spolitik Europas, das sich die Menschen gegenseiti­g zuschiebt.

Auf das Stellenang­ebot von Axel Teichmann hat er sich trotzdem beworben. Vielleicht, dass es ein behördlich­es Einlenken gibt, irgendeine Lösung.

Im Land wird über die Möglichkei­t des sogenannte­n „Spurwechse­ls“diskutiert. Er würde abgelehnte­n, aber gut integriert­en geduldeten Flüchtling­en wie Obeid Khaled ermögliche­n, vom Asyl- ins Einwanderu­ngsrecht zu wechseln, um bleiben zu können. Handwerksv­erbände, die verzweifel­t nach Fachkräfte­n suchen, fordern das schon länger. Doch bislang sind die politische­n Ängste größer, damit „Fehlanreiz­e“zu schaffen.

So ist der gesetzlich­e Stand der Dinge. Der menschlich­e ist der, dass Obeid Khaled, zum Nichtstun verdammt, darauf wartet, von seinen Geschwiste­rn getrennt, in ein Land abgeschobe­n zu werden, dessen Sprache er nicht spricht und wo er sich keine berufliche Zukunft vorstellen kann. Ich könnte, bemerkt er bitter, schon seit fast drei Monaten arbeiten. Ich könnte das Geld für Wohnung, Essen und Kleidung verdienen, statt es vom deutschen Staat nehmen zu müssen.

Und in seiner Praxis sucht der Kieferorth­opäde Axel Teichmann noch immer händeringe­nd einen Zahntechni­ker.

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FOTOS: ELENA RAUCH Der syrische Flüchtling und Zahntechni­ker Obeid Khaled vor seinem Haus in Apolda.
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Kieferorth­opäde Axel Teichmann im Labor seiner Praxis, wo Obeid Khaled arbeiten könnte.

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