Eine große Theaterfamilie
Eisenach präsentiert seine neue Saison unter Beteiligungen aus Gotha, Rudolstadt, Meiningen, Weimar und Amateuren der Stadt
Andris Plucis staunt am Dienstag selbst ein wenig: „So viele verschiedene Theater und Institutionen“, so der Chef des Landestheaters, habe man noch nie an einem Tisch versammelt, um eine Spielzeit zu präsentieren. Es sind jetzt: sechs.
Vier dieser Partner, Eisenach inklusive, folgen gleichsam den aktuell gültigen Gesetzestafeln der Kulturpolitik: Du sollst kooperieren! Eisenach tut dergleichen demnächst in dritter Saison: mit den Theatern aus Rudolstadt und Meiningen sowie mit der Thüringen-Philharmonie GothaEisenach. Insofern sind, was das Theater betrifft, aber auch mindestens zwei jener Gebote außer Kraft gesetzt, wie sie Moses einst vom Berg Sinai heruntertrug: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“gilt im Musentempel nicht mehr, „Du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren“ebenso wenig.
Im Gegenteil begehren die Häuser einander sehr und sind, so Philharmonie-Intendantin Michaela Barchevitch, „eine große Familie geworden“. Das funktioniert nach außen hin prächtig, treibt die Partner intern aber an ein Limit des Leistbaren. Um Nachbesserung der Verträge wird deshalb fast permanent verhandelt.
Zugleich wächst die Familie aus eigenem Antrieb zusehends. Insbesondere die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Nationaltheater verlangt nach Fortsetzung. Während der außergewöhnliche Abend „On the edge“mit jeweils fünf Tänzern und Schauspielern aktuell in Weimar angekommen ist, planen die beiden Häuser erneut auszubrüten, was DNT-Dramaturgin Eva Bormann in Eisenach als bislang noch „extrem ungelegte Eier“bezeichnet: eine gemeinsame Stückentwicklung von Andris Plucis und Hasko Weber soll danach fragen, wie gültig und verbindlich jene zehn Gebote noch sind.
Diese Idee der Weimarer Chefdramaturgin Beate Seidel hat bei Plucis „schon Fantasieschübe ausgelöst.“Seine Idee, mit der Eisenacher Premiere zugleich eine neue Sommerbespielung im Burghof der Wartburg zu etablieren, verlangt indes nach Aufschub: Renovierungsarbeiten am Dach des Palas und die dafür erforderlichen Gerüste erlauben es 2020 nicht, eine Bühne adäquat zu planen und auch aufzubauen. Also bleibt man daheim, im Landestheater.
Dieses schlägt unterdessen eine Brücke auch dorthin, wohin kein Weg zu führen schien, solange der Meininger Intendant Ansgar Haag auch in Eisenach der Chef war: zum Theater am Markt (TAM), das Amateuren einen professionellen Rahmen bietet. Dieses kleine Haus bringt die Komödie „Männerhort“im Oktober auf die große Bühne. Mit mobilen Produktionen gastiert das Landestheater seinerseits bei den Kollegen.
Man ist, soll das wohl heißen, stark aufeinander angewiesen: um etwa ein breites Publikum zu erreichen beziehungsweise heranzuziehen. Deshalb gründen beide Häuser gerade auch einen gemeinsamen Theaterjugendclub, für 14- bis 21-Jährige.
Das Junge Schauspiel selbst stemmt, mit sechs Spielern (und einem Gast) am Landestheater „ein umfangreiches Programm“, so die Leiterin Christine Hofer, die selbst vier der neun Produktionen inszeniert. Das reicht von „Alice im Wunderland“, ihrem „Herzensstück“, über die Generationenkonflikte in Schillers „Kabale und Liebe“bis zur Komödie „Charleys Tante“, in der sich laut Hofer „Generationen mischen und Grenzen, auch erotische, zerfließen“sollen. Sie will, sagt Hofer, ihrem Bildungsauftrag im Brechtschen Sinne „über die Brücke des Vergnügens“gerecht werden.
Nachdem Plucis als Ballettdirektor jüngst Abende programmierte, die „mehr nach Ästhetik und Entwicklung, weniger nach Wirksamkeit“schauten, sucht er jetzt nach Ausgleich dafür. Er selbst wird den Abend „Petruschka/Boléro“nach Strawinsky und Ravel choreografieren. Der Spanier Jorge Pérez Martínez kehrt zurück, um Beethovens Ballett „Die Geschöpfe des Prometheus“zu realisieren.
Beide Abende werden von der Thüringen-Philharmonie begleitet, die auch im Konzert den 250. Geburtstag Beethovens sehr in den Blick nimmt. Höhepunkt im April: die Uraufführung des restaurierten Stummfilms „Beethoven“mit Fritz Kortner (1927); für die Kooperation mit „Arte“schreibt Komponist Malte Giesen eine neue Musikfassung.
Nach dem aktuellen Erfolg mit „Carmen“prognostiziert Plucis eine „Wende in der Oper“aus Meiningen, die in den letzten Jahren „ein bisschen stiefmütterlich behandelt“worden sei: Häufiger und früher soll das Musiktheater zu Gast sein. In Puccinis „La Rondine“sind Eisenachs Tänzer ohnehin beteiligt.
Neben dem Programm plant Plucis die Zukunft des Hauses. Dafür hat er der Kulturstiftung MeiningenEisenach gerade ein Papier vorgelegt, das Mitte Juni im Stiftungsrat zu diskutieren sein wird. Ein neuer Ballettdirektor soll ihn entlasten und die Compagnie entwickeln helfen. Zwei zusätzliche Stellen im Schauspiel schlägt er vor. Und parallel ist die erste Planungsstufe zu beschließen, um das Werkstattgebäude wiederaufzubauen, das 2018 abgebrannt war.