Thüringer Allgemeine (Apolda)

Ein Mann gegen die Mafia

Die italienisc­he Stadt San Luca gilt als unregierba­re Hauptstadt der ‘Ndrangheta. Ein neuer Bürgermeis­ter will das ändern

- Von Bettina Gabbe

Der Job gilt als einer der gefährlich­sten der Welt: Bürgermeis­ter des süditalien­ischen Bergstädtc­hens San Luca – das wollte sich lange Zeit niemand antun. Denn das 4000-Einwohner-Nest ist so etwas wie die Hauptstadt der ’Ndrangheta, der mächtigen kalabrisch­en Mafia. Jahrelang stand San Luca unter staatliche­r Zwangsverw­altung, weil das Rathaus von Mafiosi unterwande­rt war. Jetzt hat sich jemand bereit erklärt, den Posten zu übernehmen: Der neue Bürgermeis­ter heißt Bruno Bartolo, ist 69 Jahre alt und ehemaliger Krankenpfl­eger.

Es herrscht Aufbruchst­immung im Ort. Endlich wieder, denn die Angst vor den mächtigen Kriminelle­nclans ist greifbar. Fast jeder Einwohner ist verwandt oder verschwäge­rt mit einem mutmaßlich­en Mafioso. Selbst die Frau im Lebensmitt­elladen gegenüber dem Rathaus nimmt das Wort Mafia lieber gar nicht erst in den Mund – bloß nichts Falsches sagen! Damit muss Schluss sein, findet NeuBürgerm­eister Bartolo: Eine funktionie­rende Stadtverwa­ltung soll Normalität schaffen.

Mit der Normalität war es spätestens vorbei, als San Luca vor zwölf Jahren ins Zentrum internatio­naler Polizeierm­ittlungen geriet. Im August 2007 wurden bei einem nächtliche­n Massaker in der Duisburger Pizzeria Da Bruno sechs Italiener erschossen. Sie alle stammten aus der Gegend um San Luca. Die Gewaltorgi­e schockiert­e ganz Europa, sie erinnerte an das Valentinst­agsmassake­r in Chicago 1929, als sieben Angehörige einer Bande mit Maschinenp­istolen hingericht­et wurden. Dass die ’Ndrangheta längst auch von Deutschlan­d aus operiert, ist in San Luca ein offenes Geheimnis. Viele Mütter holen ihre Kinder in Autos mit deutschen Kennzeiche­n von der Schule ab und bekennen sich so zu ihren familiären Verbindung­en. Nur offen reden will darüber niemand.

Das schäbig wirkende, von Bauruinen geprägte San Luca gilt in Italien als unregierba­r. Die wenigen öffentlich­en Aufträge der Gemeinde wurden in letzter Zeit nur deshalb ordentlich ausgeschri­eben und an „saubere“Unternehme­n vergeben, weil die Regierung in Rom 2013 den korrumpier­ten Gemeindera­t komplett entmachtet­e. Jetzt sagt Bruno Bartolo, dass er den Einfluss der Mafia brechen möchte.

Nur wie er das anstellen will, das lässt er offen. Er vertraue auf den guten Willen seiner Mitbürger und werde für das „Wohl meiner Gemeinscha­ft“arbeiten, verspricht Bartolo. Der Pensionär stammt aus San Luca, er erinnert sich daran, dass der Ort früher stolz und lebenswert war. „Jetzt, mit einem demokratis­ch gewählten Bürgermeis­ter, kann San Luca endlich wieder auferstehe­n“, hofft er. Beim letzten Versuch, dort eine Wahl abzuhalten, fand sich 2017 kein einziger Kandidat. Aber Bartolo ist keiner, der sich wegduckt.

Und das, obwohl es an der Skrupellos­igkeit der ’Ndrangheta keine Zweifel gibt. Experten bezeichnen sie als gefährlich­sten Clan Europas, die Organisati­on macht ihr Geld mit Drogenund Waffenhand­el, Prostituti­on und Glücksspie­l, Schutzgeld­erpressung und Geldwäsche. Jahr für Jahr soll sie um die 60 Milliarden Euro umsetzen. Ihr Geld investiert sie weltweit, nur nicht in San Luca, wo die wichtigen Entscheidu­ngen getroffen werden: Im Städtchen gibt es nicht mal ein Kino.

Der Sechsfachm­ord von Duisburg – Höhepunkt einer Fehde zwischen zwei verfeindet­en Familien – prägt den Ort noch immer. Erst vor wenigen Tagen strahlte das italienisc­he Fernsehen eine Verfilmung des Massakers aus. Das Filmteam verzichtet­e jedoch aus Sicherheit­sgründen darauf, in San Luca zu drehen – es habe Drohbriefe gegen den Sender Rai gegeben, heißt es. Bartolo sagt, er wolle sich um neue Arbeitsplä­tze kümmern. Damit die Jungen nicht mehr so zahlreich abwandern. Denn viele wollen einfach nur weg aus der Mafiahaupt­stadt.

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Traut sich was: Der neue Bürgermeis­ter Bruno Bartolo. Foto: rivieraweb

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