Thüringer Allgemeine (Apolda)

„Youtuber sollten Pressekode­x lesen“

Was folgt aus der Rezo-Debatte? Ein Jurist erklärt, warum neue Regelungen gefährlich wären

- Von Leon Scherfig

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat mit ihren Äußerungen zu „Meinungsma­che“und möglichen Regeln im Netz heftige Kritik geerntet. In dem millionenf­ach geklickten „Zerstörung­s-Video“hatte Youtuber Rezo unter anderem gesagt, die CDU zerstöre „unser Leben und unsere Zukunft“. Der Berliner Medienanwa­lt Tim Hoesmann erklärt die Rechtslage.

Herr Hoesmann, welche Regeln gibt es für Meinungsma­che im Wahlkampf?

Tim Hoesmann:

Zunächst haben wir juristisch­e Regelungen: Volksverhe­tzung, Beleidigun­g oder Holocaustl­eugnung sind nicht erlaubt. Ansonsten kann eine Einzelpers­on alles sagen, was von der Meinungsfr­eiheit gedeckt ist. Wenn eine Person aber wie der Youtuber Rezo über eine enorme Reichweite verfügt, agiert sie prinzipiel­l eher wie ein Medium.

Youtuber sollten im Grunde auch presserech­tlich-ethische Regelungen kennen, wie sie zum Beispiel im Pressekode­x festgeschr­ieben sind: Dazu gehört etwa, dass sich Zeitungen im Wahlkampf mit klaren Wahlempfeh­lungen zurückhalt­en und alle Parteien zu Wort kommen lassen. Wer dagegen verstößt, kann vom Presserat gerügt werden, ihm droht aber aus guten Gründen keine strafrecht­liche Verfolgung. Diese Selbstregu­lierung der Presse in Deutschlan­d ist eine Lehre aus den 30erund 40er-Jahren, als sich der Staat, wie wir wissen, zu stark einmischte. Sehr umstritten ist unter Juristen indes, ob für Youtuber auch der Rundfunkst­aatsvertra­g gilt, der politische Werbung verbietet. Wenn überhaupt, greift dieser aber nur bei Livestream­s, das Rezo-Video fiele also so oder so nicht darunter.

Was können Youtuber und Politiker aus der Debatte lernen?

Youtuber könnten mitnehmen, dass sie im Prinzip fast alles sagen und fordern können. Wer Wert auf Fairness und Redlichkei­t legt, sollte einen Blick in den Pressekode­x werfen. Von den publizisti­schen Grundsätze­n können auch ihre Videos profitiere­n: Wahrhaftig­keit, Sorgfalt, angemessen­e Darstellun­g. Der Gesetzgebe­r ist gut beraten, Regelungen nicht zu verschärfe­n. Wie sollten die auch aussehen? Eine Woche vor der Wahl politische Videos zu verbieten, wäre fahrlässig. Das würde mit hoher Wahrschein­lichkeit zu verheerend­en Reaktionen im Netz führen und Kritikern, die von Zensur sprechen, erst recht Argumente liefern.

 ?? FOTO: KANZLEI ?? Medienanwa­lt Tim Hoesmann
FOTO: KANZLEI Medienanwa­lt Tim Hoesmann

Newspapers in German

Newspapers from Germany