Thüringer Allgemeine (Apolda)

Wer ist schuld an den Fan-Krawallen in Jena?

Nach Randalen beim Spiel des Fußball-Drittligis­ten FC Carl Zeiss kritisiert der Innenminis­ter den Club. Der wehrt sich

- Von Fabian Klaus

Zwei Wochen später stecken die Verantwort­lichen des FC Carl Zeiss Jena mitten in der Arbeit, die neue Spielzeit vorzuberei­ten. Dennoch: Die Bilder der Gewalteska­lation vom jüngsten Heimspiel gegen 1860 München bleiben – trotz triumphale­r Rettung vor dem Abstieg aus dem Profifußba­ll.

Dass der Klassenerh­alt geschafft wurde, grenzt nach wie vor an ein Fußball-Wunder und kann es ob der Dramatik schon fast mit dem Klassenver­bleib von Eintracht Frankfurt vor 20 Jahren – damals mit einem 5:1 gegen Kaiserslau­tern und Übersteige­r-Tor in letzter Minute – in der Fußball-Bundesliga aufnehmen, der bis heute als „Mutter aller Klassenerh­alte“im Profifußba­ll gilt.

Die Freude wird in Jena aber getrübt. Zu präsent sind die Bilder der Auseinande­rsetzung Jenaer Anhänger mit der Polizei. Oder der Polizei mit Jenaer Fans? Schon hierzu gibt es unterschie­dliche Sichtweise­n. Eine Klärung aber wird erst die Aufarbeitu­ng bringen. Fest steht: Zwei Beamte erlitten ein Schädelhir­ntrauma, nachdem sie von einem kiloschwer­en Kantholz getroffen worden sein sollen. Insgesamt wurden elf Polizisten verletzt. Viele Fragen wirft auf, was sich vor dem entscheide­nden Spiel ereignet hat. Warum ist auf einem Video zu sehen, dass das von einem Chaoten Richtung Polizei geworfene Kantholz – von der Polizei als Ursachen für die schweren Verletzung­en der Beamten angegeben – nicht zwei Polizisten trifft und stattdesse­n an einer Mülltonne abprallt und auf dem Boden landet? Wieso setzte die Polizei Wasserwerf­er in einer Menge ein, in der auch Frauen und Kinder standen? Ein Jena-Fan, regelmäßig­er Besucher von Heimund Auswärtssp­ielen seines Clubs, wirkt auch zwei Wochen nach dem Spiel noch wütend. „Mit einem Wasserwerf­er auf Frauen und Kinder zielen, das geht gar nicht“, sagt er. Er hatte mitten in der Auseinande­rsetzung gestanden. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen.

Noch sind die Geschehnis­se vor dem letzten Heimspiel nicht gänzlich aufgearbei­tet. Die Polizei sieht sich zu Unrecht als Schuldige an den schlimmen Bildern. Die Clubführun­g hingegen wehrt sich gegen die Darstellun­g, dass seitens des FCC nicht alles dafür getan werde, um gewalttäti­ge Auseinande­rsetzungen zu verhindern. Mitten hinein in diese Debatte kommt die Wortmeldun­g von Innenminis­ter Georg Maier (SPD), der den Club aufgeforde­rt hatte, sich „deutlicher als bisher von allen gewaltbere­iten Fußballfan­s zu distanzier­en“. Deutlicher als bisher? Im Innenminis­terium will man nach Informatio­nen dieser Zeitung nicht wahrgenomm­en haben, dass es von der Vereinsfüh­rung eine zügige Stellungna­hme zu den Auseinande­rsetzungen in einem Fernsehint­erview gegeben hat. Darin soll die Schelte des Innenminis­ters begründet liegen.

Beim Club kommt dieser Satz nicht gut an. „Noch in der Halbzeitpa­use hat sich unser Geschäftsf­ührer Chris Förster sehr deutlich dazu geäußert“, sagt Vereinsspr­echer Andreas Trautmann und legt noch einmal nach: „Der FC Carl Zeiss Jena lehnt Gewalt, egal in welcher Form und von wem auch immer ausgehend, ab. Das ist selbstvers­tändlich.“Vielmehr sei der Verein „stolz darauf, dass wir eine Fangemeind­e haben, mit der wir uns von einigen anderen Clubs deutlich unterschei­den“. Trautmann nennt soziales Engagement und das Eintreten gegen jedwede Form der Intoleranz, für das die Jenaer Fußballfan­s stünden. Das sei Markenkern des Vereins. Trautmann fordert dazu auf, „Dinge ohne Schaum vor dem Mund differenzi­ert zu betrachten“. Innenminis­ter Maier will indes keinesfall­s so verstanden werden, als dass er Jena nach den Ereignisse­n an den Pranger stellt und schlechter behandelt als andere Clubs. „Meine Aussage bezieht sich allein auf die Ereignisse an diesem Tag“, stellt er auf Nachfrage klar.

Zwischen dem Innenminis­terium und dem Verein hat es bis heute keinen Kontakt nach den Ausschreit­ungen gegeben, heißt es vom Verein. Trautmann macht aber deutlich, dass vom Club alle Register gezogen worden seien, damit der Fußball im Mittelpunk­t steht. „Das, was unser Verein präventiv machen kann, hat er getan“, sagt Trautmann. Er verweist darauf, dass es in der vergangene­n Saison erstmals ein Dekra-zertifizie­rtes Sicherheit­skonzept für die Heimspiele gegeben hat. Dafür wendete der Club einen sechsstell­igen Betrag auf – beispielsw­eise auch für die Finanzieru­ng eines gewerblich­en Sicherheit­sdienstes. Im Thüringer Innenaussc­huss werde die Randale dennoch präsent bleiben. Das Thema nimmt die Politik auf. Für den Verein sagt Trautmann zu, dass er sich konstrukti­v an der Aufarbeitu­ng der Geschehnis­se beteiligen werde. „Uns geht es darum, herauszufi­nden, was an diesem Tag schief gelaufen ist und nicht um einseitige und vorschnell­e Schuldzuwe­isungen“, sagt er. Eine konsequent­e Ahndung der Gewalttate­n fordert der CDU-Innenexper­te Raymond Walk. „Gewalt und Sport gehören nicht zusammen“, sagt er. Attacken auf Einsatzkrä­fte müssten Folgen haben. Das habe auch der Bundestag im Mai 2017 beschlosse­n mit der Verabschie­dung des Gesetzes zur Stärkung des Schutzes von Vollstreck­ungsbeamte­n und Rettungskr­äften.

Ein wichtiger Schritt zur Aufklärung hätte bereits am 4. Juni beginnen können – mit einem Schnellver­fahren gegen jenen Schweizer Stadionbes­ucher, Mitglied der Ultragrupp­ierung eines Eishockey-Clubs, der auf Grundlage eines Videos als Kantholz-Werfer identifizi­ert wurde. Aus dem geplanten raschen Prozessbeg­inn wird aber nichts, wie die Polizei Jena gestern mitteilte. Der Verdächtig­e bringt zu viele Vorstrafen mit, was ein beschleuni­gtes Verfahren unmöglich macht. Er sitzt weiter in Untersuchu­ngshaft.

Dass der Kantholzwu­rf keinen Polizisten traf und es deshalb fraglich scheint, ob die Darstellun­g der Polizei den Tatsachen entspricht, weist die Sprecherin der Landespoli­zeiinspekt­ion Jena, Steffi Kopp, scharf zurück: „Wer sagt, dass die Beamten bei dem auf dem Video zu sehenden Wurf verletzt wurden?“Weitere Details will sie wegen laufender Ermittlung­en nicht nennen.

Offenbar, das erfuhr unsere Zeitung aus dem Polizeiumf­eld, wird allerdings untersucht, ob es einen zweiten Kantholzwu­rf derselben Person gegeben haben könnte. Indizien sprechen dafür, heißt es von Ermittlern. Ob auch ein Videoaussc­hnitt eines zweiten Wurfes existiert? Bisher unbekannt.

Die Polizei sieht als Hauptveran­twortliche für die Auseinande­rsetzung die Jenaer Fans. „Leider verhielten sich einige Fußballfan­s an diesem Tag nicht deeskalier­end“, sagt Kopp. Deshalb sei es schon im Rahmen des Fanmarsche­s, also vor den Ereignisse­n vor dem Stadionein­gang, zu tätlichen Übergriffe­n auf Polizeibea­mte gekommen. Dass Beamte, so berichten es Augenzeuge­n, wegen einer Identitäts­feststellu­ng mit Schlagstoc­k und Tränengas durch eine Menschenme­nge mit Frauen und Kindern „gepflügt“seien, „können wir nicht bestätigen“, sagt Kopp.

Für die Clubverant­wortlichen in Jena kommt zu den Vorbereitu­ngen auf die neue Saison nun auch die Aufarbeitu­ng der Gewalteska­lation hinzu. „Wir wollen diese Aufarbeitu­ng, weil sie aus unserer Sicht nötig ist“, sagt Trautmann. Das soll helfen, wieder zum Kern der Sache zurückzufi­nden.

Den beschreibt Trautmann in einem Satz: „Wir wollen in Jena Fußballfes­te feiern, Familien und Kindern einen sicheren und freudvolle­n Stadionbes­uch ermögliche­n.“

Jede Seite hat ihre Wahrnehmun­g

Kontaktnah­me bisher nicht zustande gekommen

 ?? FOTOS: POLIZEIINS­PEKTION JENA ?? Ein Bild aus einem Polizeivid­eo zeigt einen Jena-Fan, der ein Vierkantho­lz wirft. Der Mann ist identifizi­ert. Ihn erwartet ein Prozess. Ob die Aufnahmen aber die ihm vorgeworfe­ne Körperverl­etzung von Polizisten zeigt, wird angezweife­lt.
FOTOS: POLIZEIINS­PEKTION JENA Ein Bild aus einem Polizeivid­eo zeigt einen Jena-Fan, der ein Vierkantho­lz wirft. Der Mann ist identifizi­ert. Ihn erwartet ein Prozess. Ob die Aufnahmen aber die ihm vorgeworfe­ne Körperverl­etzung von Polizisten zeigt, wird angezweife­lt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany