Rücktritt von SPD-Chefin Nahles – Ramelow warnt vor Häme
Tiefensee enttäuscht über Rückzug der Bundesvorsitzenden. Mohring für Fortsetzung der großen Koalition
Thüringens SPDChef Wolfgang Tiefensee hat sich enttäuscht über den angekündigten Rücktritt der Bundesvorsitzenden Andrea Nahles gezeigt. „Ich habe mit ihr viele Jahre hervorragend zusammengearbeitet und sie als engagierte, kämpferische Sozialdemokratin schätzen gelernt“, schrieb er gestern auf Twitter. Er bedauere den Rücktritt sehr. Nun komme es darauf an, „in Ruhe und ohne Schnellschüsse die Partei neu aufzustellen“, so Tiefensee.
Andrea Nahles hatte gestern angekündigt, als SPD-Parteiund Fraktionschefin zurückzutreten. Nach Informationen dieser Zeitung will sich die 48-Jährige komplett aus der Politik zurückziehen und zeitnah ihr Bundestagsmandat niederlegen. Der genaue Zeitpunkt müsse noch besprochen werden, hieß es aus Nahles’ unmittelbarem Umfeld. An der Vorstandsklausur heute und der Fraktionssitzung am Dienstag werde Nahles aber teilnehmen. „Die Diskussion in der Fraktion und die vielen Rückmeldungen aus der Partei haben mir gezeigt, dass der zur Ausübung meiner Ämter notwendige Rückhalt nicht mehr da ist“, schrieb Nahles an alle SPD-Mitglieder. Sie war nach dem Desaster der SPD bei der Europawahl vor einer Woche stark unter Druck geraten.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) warnte nach Nahles’ angekündigtem Rücktritt vor einem grundlegenden Wandel in der Parteienlandschaft. „Häme ist wirklich nicht angebracht, aber Sorge“, schrieb er auf Twitter. „Was passiert, wenn das Parteiensystem endgültig ins Rutschen kommt, kann man in Italien besichtigen. Ein Komiker verhilft mit fünf Sternen dem Neofaschismus in den Sattel und hält dazu denen die Steigbügel. Nein, danke!“
Thüringens CDU-Landeschef Mike Mohring sagte, er nehme den Rücktritt von Andrea Nahles mit Respekt zur Kenntnis. „Ich hoffe, die SPD findet zügig zu einem Modus, der die Nachfolge in beiden Funktionen regelt. Die große Koalition sollte die Personaldebatten schnell beenden und umgehend zur Sachpolitik zurückkehren“, erklärte Mohring. Ein Platzenlassen der Koalition von Union und SPD würde seiner Ansicht nach bei Neuwahlen weiter Vertrauen der Wähler kosten. Auch die Grünen sprachen Andrea Nahles ihren Respekt aus. Stephanie Erben, Vorsitzende der Thüringer Grünen, sagte darüber hinaus, sie hoffe, „dass die SPD nun rasch ihre Personalfragen klärt und sich dann mit neuer Kraft auf ihre Aufgaben konzentrieren kann. Die Menschen erwarten zu Recht, dass die Parteien in Regierungsverantwortung sich um die großen Fragen, wie zum Beispiel den Klimaschutz, kümmern.“Ebenso argumentiert die aus Thüringen stammende Bundestagsfraktionsvorsitzende der Grünen, Katrin Göring-Eckardt: „Die SPD muss sich nun rasch sortieren und ihrer Verantwortung für das Land gerecht werden.“
Thüringens Juso-Chef Oleg Shevchenko forderte nach einem Bericht des MDR, mehr Jüngere in die Parteispitze der SPD zu wählen. Auch brauche es im Vorstand „neue Gesichter, die nicht schon 20 Jahre in der Politik sind“. (mit dpa)