Keine Angst vor Tränen
Neulich fragt mich Pia: „Warum haben wir eigentlich so einen Schiss vor Trauernden?“
„Unsicherheit. Viele wissen nicht, wie sich das anfühlt, einen nahen Menschen verloren zu haben. Und dazu kommt die Angst, etwas falsch zu machen“, sag’ ich.
„Aber was könnte man denn falsch machen?“, sagt Pia.
„Gute Frage. Also aus Erfahrung sag’ ich dir, das Schlimmste sind eigentlich eine aufgesetzte Betroffenheitsmiene und gestelzte, salbungsvolle Worte.
Ist zwar verzeihlich, aber auch Trauernden gegenüber kann man klar und authentisch bleiben und muss sich nicht verstellen“, sag’ ich.
„Und was machen ausgemachte Stimmungskanonen, notorische Witze-Reißer? Die sollten sich wahrscheinlich schon ein bisschen zurücknehmen?“, sagt Pia.
„Logisch. Aber auch so aufgedrehte Typen wiehern und witzeln ja nicht rund um die Uhr. Ich hab’ jedenfalls die Erfahrung gemacht, dass genau diese Leute sehr sensibel sein können. Aber klar, als Trauernder hast du besonders geschärfte Sensoren. Plumpe Sprüche oder Geschmacklosigkeiten, die du sonst mit einem Klacks wegbügeln würdest, treffen dich plötzlich“, sag’ ich.
„Lachen verboten?“, sagt Pia. „Quatsch! Du bleibst doch der Mensch, der du vor dem Verlust warst. Bist einfach ein bisschen gedämpft, traurig, wund. Dem einen helfen Abstand, Rückzug, eine Auszeit. Dem anderen Zerstreuung, reden, stundenlang über den Friedhof spazieren. Manchem ein Mix aus beidem“, sag’ ich.
„Einfach ist es jedenfalls nicht“, sagt Pia.
„Nein, weder sterben noch tot sein noch zurückbleiben sind einfach. Aber etwas, was täglich Tausenden widerfährt. Und am Ende hat genau das etwas Tröstliches“, sag’ ich.
„Du meinst, irgendwann trifft es jeden?“, sagt Pia.
„Jedenfalls trifft jeder irgendwann auf einen Trauernden. Im Freundeskreis, unter Kollegen, in der Familie. Keine Angst vor Tränen! Wie alles im Leben schult die Erfahrung, machen Fehler klug und wächst, so platt es klingt, der Mensch mit seinen Aufgaben“, sag’ ich.