Chinas Antwort auf Facebook
Die Konkurrenz unter sozialen Netzwerken wächst. Junge Menschen wechseln zu neuen Plattformen – wie Tik Tok
Natürlich hat Julius einen Facebook-Account. Der 19-jährige Jura-Student nutzt ihn aber nur selten. Sein letzter Eintrag ist fast ein Jahr alt. Damals hat er sich für Glückwünsche zu seinem Geburtstag bedankt, die von Gratulanten kamen, die deutlich älter sind als er. Es ist nicht so, dass der Hamburger Jugendliche ein SocialMedia-Muffel wäre. Nur bevorzugt er, ebenso wie seine gleichaltrigen Freunde, Plattformen wie Instagram, Snapchat oder – die neueste Plattform – Tik Tok. Allen ist gemein: Sie sprechen ein deutlich jüngeres Publikum an als Facebook.
Tik Tok erreicht in Deutschland zwar erst 4,1 Millionen Nutzer, hat weltweit nach eigenen Angaben aber schon 800 Millionen tägliche aktive User. Mit Tik Tok können Teenager 15 Sekunden lange Handyvideos teilen, die sie selbst produziert oder von anderen hochgeladen haben. Nach dem Anschauen verschwinden die Videos wieder – so ähnlich wie bei Snapchat.
Laut dem Digitalexperten Sascha Lobo besteht die Kernzielgruppe aus 14- bis 21-jährigen Mädchen. Im ersten Quartal dieses Jahres wurde Tik Tok in Apples App-Store mehr als 33 Millionen Mal heruntergeladen. Damit war die App – zum fünften Mal in Folge – die erfolgreichste weltweit. Youtube, Instagram, WhatsApp und die Messenger-App von Facebook ließ sie hinter sich.
Das Netzwerk hat bereits ein paar Stars hervorgebracht, die auch bei analogen Veranstaltungen auftreten. Zu den TopInfluencern (1,3 Millionen Follower) gehört etwa Chany Dakota, die Videos aus ihrem Alltag hochlädt. Erst kürzlich hat die Plattform in Berlin ein Team für die deutsche Werbevermarktung zusammengestellt. „Es ist ein wichtiger Schritt, um wirklich lokal und marktnah zu sein und unseren Nutzern ein noch besseres Erlebnis zu bieten — was wiederum unser Wachstum antreibt“, sagte eine Sprecherin von Tik Tok dem
„Business Insider“.
Tik Tok gehört dem chinesischen
Konzern ByteDance. Der Vorgänger von Tik Tok ist die
App Musical.ly.
Die App wurde
Ende 2017 von ByteDance gekauft und im August 2018 in Tik Tok umbenannt. Für das Online-Portal Socialmediawatchblog ist es nicht unproblematisch, dass der Betreiber in China sitzt. Es müsse angenommen werden, dass Tik Tok, wie auch andere Plattformen aus dem Reich der Mitte, „stark zensiert wird“. Zudem reihe sich das Netzwerk „in die Gruppe der Überwachungskapitalisten“ ein, „die aus jedem Nutzer maximalen Profit schlagen wollen“. Dennoch wächst Tik Tok rasant – so rasant, dass Facebook mit Lasso eine ähnliche App entwickelt hat, die allerdings nicht sonderlich erfolgreich ist. Der Erfolg von Tik Tok macht dem ohnehin angeschlagenen Netzwerk zu schaffen. „Wenn ich in eine Schulklasse komme, geben von gut 20 Schülern maximal zwei an, noch Facebook zu nutzen“, sagt Sascha Lobo. „Und die beiden sind da auch nur noch, weil der Trainer ihrer Fußball- oder Handballmannschaft via Facebook mit ihnen kommunizieren möchte.“
Nicht nur Teenager, auch Twens verlassen die Mutter aller sozialen Netzwerke in Scharen. Das amerikanische Forschungsinstitut Pew Research fand heraus, dass allein 2017 44 Prozent der 18- bis 29-Jährigen die Facebook-App von ihrem Handy löschten.
Die Gründe für die schleichende Vergreisung der Plattform liegen für Digitalexperten Lobo auf der Hand. Früher habe es mit Facebook nur ein soziales Netzwerk gegeben, das den Ansprüchen aller Nutzer gerecht werden musste. Nun suchten sich insbesondere junge Zielgruppen Plattformen, die zu ihnen passten. Jugendliche, hat Lobo beobachtet, hätten ein ganz anderes Verständnis von Datenschutz als Erwachsene: „Ihnen geht es nicht so sehr darum, sensible Daten vor dem Zugriff des Staates zu schützen, sondern vielmehr vor dem der Eltern.“
Es bleibt abzuwarten, ob Tik Tok ein ähnliches Schicksal droht. Auch Snapchat musste die Erfahrung machen, dass Jugendliche keine treue Zielgruppe sind. Als Anfang 2018 an der Plattform ein paar Veränderungen vorgenommen wurden, kam das überhaupt nicht gut an. Das US-Sternchen Kylie Jenner kündigte an, Snapchat nicht mehr nutzen zu wollen. Zahlreiche User folgten ihrem Beispiel.
Snap erzielte bisher keinen Gewinn
Der Aktienkurs der Muttergesellschaft Snap stürzte ab. Zwar gelang es Ende 2018, den Abwärtstrend zu stoppen. Die Plattform kommt nun wieder auf 186 Millionen tägliche aktive Nutzer. Aber das Beispiel zeigt, wie schwierig es sein kann, mit fast ausschließlich jugendlichen Usern Geld zu verdienen. Snap ist dies noch nie gelungen. 2018 machte die Firma 1,2 Milliarden Dollar Verlust bei einem ebenso hohen Umsatz.
Auch Tik Tok verlor bereits zwei ihrer wichtigsten Influencerinnen: Die größten Stars waren die 16-jährigen SchwabenZwillinge Lisa und Lena. Im März 2019 löschten sie ihren Account – bei Instagram allerdings sind sie weiter zu sehen. Die nächsten Apps sind bereits programmiert: Lobo sieht Twitch, ein Netzwerk, das sich an Jugendliche richtet, die sich für Computerspiele interessieren, und You Now, eine Plattform, über die junge Zielgruppen in Echtzeit in Bewegtbildern kommunizieren, stark im Kommen.