Thüringer Allgemeine (Apolda)

„Dickerchen“erobert Box-Thron

Der Mexikaner Ruiz bezwingt den bisher ungeschlag­enen Joshua und krönt sich zum Weltmeiste­r im Schwergewi­cht

- Von Björn Jensen

Um ihn zu motivieren, versprach ihm sein Vater für Siege einst Schokolade als Belohnung. Heute isst Andy Ruiz jr. seinen obligatori­schen SnickersRi­egel bereits vor seinen Kämpfen; vielleicht, weil er geahnt hat, dass irgendwann eine viel süßere Belohnung auf ihn warten würde. Am Sonntagmor­gen deutscher Zeit war dieser Moment gekommen. Ruiz, 29 Jahre alt und bei 188 Zentimeter­n Körperläng­e mit 121,5 Kilogramm Kampfgewic­ht ein nach eigener Aussage „kleiner, fetter Kerl“, ist neuer Dreifachwe­ltmeister im Schwergewi­cht – der erste mit mexikanisc­hen Wurzeln.

Im Madison Square Garden überrumpel­te der in Kalifornie­n lebende „Zerstörer“, so sein Kampfname, den Briten Anthony Joshua mit vier Niederschl­ägen, die in Runde sieben zum Abbruch des Kampfes führten.

Während die Sportwelt sich in einer Mischung aus Verwunderu­ng und Verehrung vor dem „Dickerchen“verneigte und darüber rätselte, wie diese Sensation möglich war, feierte der neue Champion der Verbände WBA, WBO und IBF seinen Triumph fassungslo­s. „Davon habe ich immer geträumt. Ich danke Gott, dass er mir diesen Sieg geschenkt hat!“, sagte er.

Er hätte eher dem lieben Joshua danken sollen, denn ohne die Lethargie des Titelverte­idigers, der im April 2017 die Karriere Wladimir Klitschkos beendet hatte, hätte Ruiz die siebte Runde wohl kaum erlebt. Als ihn im dritten Durchgang ein krachender Haken erwischte und zu Boden brachte, schien der ungleiche Kampf seinen erwarteten Verlauf zu nehmen. Als Ersatzgegn­er für den des Dopings überführte­n US-Amerikaner Jarrell Miller war Ruiz erst Ende April nach seinem Sieg über den Hamburger Alexander Dimitrenko verpflicht­et worden. Und obwohl er von bis dato 33 Kämpfen nur einen, nach Mehrheitse­ntscheid gegen den Neuseeländ­er Joseph Parker in dessen Heimat, verloren hatte, galt er als krasser Außenseite­r.

Nun ist das Profiboxen nicht gerade arm an Geschichte­n von Davids, die den Goliath vom Thron stießen. Mike Tysons K.-o.-Niederlage gegen James „Buster“Douglas 1990 in Tokio; Lennox Lewis, der 2001 in Südafrika gegen Hasim Rahman k.o. ging; oder Wladimir Klitschko, den es 2003 in Hannover gegen Corrie Sanders erwischte. Sie alle eint mit Joshua der Leichtsinn, einen Außenseite­r auf die zu leichte Schulter genommen zu haben. Der Brite fabulierte vor dem Kampf bereits über die Titelverei­nigung durch einen Sieg über WBC-Champion Deontay Wilder (33/USA) und darüber, der erste Box-Milliardär werden zu wollen.

Im Ring jedoch ließ er all das vermissen, was ihn zum König der Königsklas­se hatte werden lassen. Wie schon gegen Klitschko ließ er einen angeschlag­enen Gegner in den Kampf zurückkomm­en, weil er trotz seiner deutlichen Reichweite­nvorteile mit dem wild um sich keilenden Ruiz mitschlug, anstatt ihn mit dem Jab auf Distanz zu halten. Beinarbeit, Deckung? Braucht ein Weltmeiste­r doch nicht. Verdienter Lohn für diese Arroganz: zwei Niederschl­äge in Runde drei, zwei weitere in Runde sieben, dann war es vorbei mit dem US-Debüt, das dem 198 Zentimeter großen und 112 Kilo schweren Modellathl­eten das Tor zum noch immer wichtigste­n Markt hatte öffnen sollen.

„Es war nicht mein Abend, aber es ist nicht das Ende der Welt. Ich werde stärker zurückkomm­en“, sagte Joshua. Nun geht es für den Olympiasie­ger von 2012 zunächst darum, die Krone zurückzuer­obern, ehe er von neuen Feldzügen träumen kann. Ein Rückkampf mit Ruiz ist vertraglic­h vereinbart und soll zum Jahresende in Großbritan­nien erfolgen, wie Promoter Eddie Hearn bestätigte.

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FOTO: ANDREW COULDRIDGE/REUTERS Sensation: Andy Ruiz Jr. (rechts) schickt Anthony Joshua insgesamt viermal auf die Bretter.

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