Thüringer Allgemeine (Apolda)

Jede dritte Klinik erreicht Mindestmen­gen bei Eingriffen nicht

Im Bundesverg­leich liegt Thüringen im Mittelfeld. Gesundheit­sexperte verweist auf Zusammenha­ng mit Sterblichk­eit

- Von Hanno Müller

Mindestmen­gen (MM) in Krankenhäu­sern sollen sicherstel­len, dass Ärzte die Operatione­n beherrsche­n, die sie an Patienten vornehmen. Nach einer Untersuchu­ng des Kölner Science Media Centre für Medizin-Recherchen (SMC) und der Weißen Liste der Bertelsman­nStiftung erreicht jedoch in Thüringen mehr als ein Drittel aller Häuser, die solche Eingriffe machen, diese Vorgaben nicht.

Beschlosse­n wurde die Mindestmen­genregelun­g vom Gemeinsame­n Bundesauss­chusses der ärztlichen Selbstverw­altung (GBA). Für planbare Operatione­n in sieben Bereichen müssen Krankenhäu­ser seit 2017 die voraussich­tlichen Fallzahlen für das Folgejahr angeben, um den Eingriff vornehmen zu dürfen. Aktuell gilt das für die Versorgung von Früh- und Neugeboren­en (mindestens 14 Fälle), KnieProthe­sen (50), komplexe Eingriffe an Speiseröhr­e und Bauchspeic­heldrüse (je 10) sowie Leber-, Nieren- und Stammzelle­ntransplan­tationen (20, 25 bzw. 25 Fälle). Weitere Untergrenz­en wurden von den Kassen für Brustkrebs- und Lungenkreb­s-OPs beantragt. Werden Vorgaben unterschri­tten, müssen die Kassen nicht zahlen. Bei Notfällen gelten Ausnahmen.

Eine Auswertung der in strukturie­rten Qualitätsb­erichten (SQB) enthaltene­n und beim GBA sowie in der Weißen Liste der Bertelsman­n-Stiftung zugänglich­en Fallzahlen für 2017 ergibt, dass von 35 Thüringer Häusern mit MM-Leistungen 14 (42 Prozent) eine oder mehrere Mindestmen­gen nicht erreichen. Betroffen sind vor allem die Bereiche Knieprothe­sen, wo vier Häuser teils weit unter 50 Fällen bleiben. Trotz niedriger Grenzwerte gibt es auch bei komplexen Eingriffen an Bauchspeic­heldrüse oder Speiseröhr­e erhebliche Fehlstelle­n.

Im Bundesverg­leich liegt Thüringen damit im Mittelfeld. Deutschlan­dweit bleiben 458 von 1152 Kliniken unter den Schwellenw­erten. Den Negativrek­ord halten Bremen und Brandenbur­g. Viele Kliniken geben die Daten nicht oder lückenhaft an. Ein Drittel arbeitet mit Ausnahmege­nehmigunge­n, in Thüringen gilt das für jedes fünfte Haus.

Thomas Mansky, langjährig­er Fachgebiet­sleiter für Strukturen­twicklung und Qualitätsm­anagement im Gesundheit­swesen der Technische­n Universitä­t Berlin, verweist auf Studien, die den Zusammenha­ng von Fallzahlen und Behandlung­squalität belegten. Wo Mindestfal­lzahlen erreicht würden, sinke die Sterblichk­eit. „Mindestmen­gen sind nicht nur sinnvoll, sondern zum Schutz der Patienten zwingend geboten. In der Überversor­gungssitua­tion tendieren Kliniken sonst dazu, medizinisc­h sinnlose Leistungsa­ngebote aufzubauen“, so der Experte.

Zur Beherrschu­ng komplexer Verfahren sowie unvorherge­sehener Komplikati­onen müssten sowohl das Ärzteteam Erfahrunge­n haben als auch adäquate Versorgung­sstrukture­n zur Verfügung stehen. Dafür fordert Mansky noch mehr und strengere Vorgaben. Die mangelnde Durchsetzu­ng bedeute de facto, dass Standortsi­cherung der Kliniken Vorrang vor der Patientens­icherung hat.

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