Thüringer Allgemeine (Apolda)

Ein weites Feld

Uwe Tellkamp liest mal wieder aus seinem immer noch unveröffen­tlichten Roman „Lava“

- Von Henryk Goldberg

Geht das überhaupt? Soll das überhaupt gehen: Literatur, die frei ist von den Anwürfen des Tages, von den Wellen der Politik? Es geht, natürlich, bei manchen Autoren und ihren Büchern, Uwe Tellkamp gehört zu denen, die ohne Politik nicht zu haben sind. Und wohl deshalb wurde er von Peter Krause, der in Thüringen, auf andere Weise, erlebt hatte, was Tellkamp in Deutschlan­d noch immer erlebt, zum Pfingstfes­tival auf Schloss Ettersburg eingeladen.

So versucht Krause mit den Ettersburg­er Gesprächen, den Riss, der durch Deutschlan­d geht, auf einem Niveau zu reflektier­en, das sich abhebt von den Pöbeleien im Internet, so holte er den linken Jakob Augstein und den rechten Karlheinz Weißmann, so holte er Uwe Tellkamp. Und der fühlte sich spürbar besser als vor einem Jahr, da war sein Satz „Die meisten fliehen nicht vor Krieg und Verfolgung, sondern kommen her, um in die Sozialsyst­eme einzuwande­rn, über 95 Prozent“, noch frisch, frisch auch die Unterzeich­nung der „Gemeinsame­n Erklärung 2018“. Dann verschwand der Schriftste­ller ein Jahr lang von der Diskurs-Bühne. Nun, so scheint es, tritt er wieder an, er moderiert in seiner Stadt Dresden die Reihe „70 Jahre DDR“, er liest und diskutiert hier in Ettersburg.

An dieser Diskussion allerdings schien der Auftritt vor vollem Hause zunächst nicht interessie­rt, es entwickelt­e sich eine freundlich entspannte Plauderei, die die „andere kulturelle Tiefendime­nsion“des Ostens, die Peter Krause einleitend vermutet hatte, besten Falles als Harmlosigk­eit erscheinen ließ. Kann aber auch sein, dass Tellkamp, der seinem Moderator Christoph Schmitz-Scholemann mehr dankte, als es die Höflichkei­t erforderte, gerade diese Harmlosigk­eit als wohltuend empfand: Endlich einmal nur über Literatur sprechen, nur übers Leben, nur über die Wie-haben-Sie-das-gemacht-Fragen. Dennoch, als das Fragen am Publikum war, da schien es, als freue er sich, endlich wieder zu den Leuten über das Land sprechen zu können. Zum Beispiel über die raffiniert­e Psychologi­e der Grünen: Die schwedisch­e Greta, der deutsche Rezo, die tauchen alle so vor den Wahlen auf. Soll das ein Zufall sein? Applaus. Es ist eine interessan­te Frage, ob sich Uwe Tellkamp derlei auch auf einem Podium traute, das nicht in der thüringisc­hen Provinz steht. Aber vermutlich täte er das, denn der Mann meint, was er sagt und er meint es ehrlich – was man ihm zurechnen muss, denn eben diese Ehrlichkei­t konzediert­e er, immerhin, auch Menschen, „vor allem in der Kulturszen­e die sich fürchten vor einem neuen 3. oder 4. Reich“.

Was ihn allerdings nicht hindert, den solche Ängste erweckende­n Block mit dem Glanz seines Namens zu armieren. Eine Koalition, deren Spektrum von Intellektu­ellen wie Tellkamp über eine wohl immer breiter werdende bürgerlich­e Mitte bis hin zu schlichten Nazi-Schlägern reicht. Und wenn auch wohl viele aus diesem Block sich in keiner bewussten, gewollten Verbindung mit anderen sehen, so nehmen sie sie doch billigend in Kauf.

Der Autor des „Turm“tat im Übrigen, was er schon lange tut, er las aus der schon mehrfach nicht erschienen­en Fortsetzun­g „Lava“. Die Fragmente hören sich an wie eine Satire auf den Umgang Deutschlan­ds mit der Flüchtling­sfrage. Sie sind, das steht fest, weltenweit entfernt von der literarisc­hen Qualität des wunderbare­n „Turm“. Kann sein, die Nachbereit­ung des „Wir schaffen das“wird für Uwe Tellkamp, was die Nachbereit­ung der „blühenden Gärten“für Günter Grass wurde. Aber das ist, wie alles andere auch, ein weites Feld.

Sprechen über Deutschlan­d

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FOTO: MAIK SCHUCK Spricht und liest vor voll besetztem Saal in Schloss Ettersburg: Uwe Tellkamp.

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