Thüringer Allgemeine (Apolda)

Von Weimar an die Weltspitze

Jüngst hat Star-Bariton George Gagnidze seine 100. Vorstellun­g an der Met in New York gesungen. Am DNT begann seine Karriere

- Von Wolfgang Hirsch

Zwischen zwei anstrengen­den Arbeitsein­sätzen erholt er sich ein paar Tage in seiner Datsche, das ist unter Werktätige­n ja völlig normal. Nur lebt George Gagnidze in ganz anderen Dimensione­n: Im Mai hat der Weltklasse-Bariton seine 100. Vorstellun­g an der Metropolit­an Opera, New York, gesungen – als Rigoletto, seiner Parade-Partie schon zu Weimarer Zeiten. Und jetzt schöpft er Kraft im Kreis der Familie daheim in Georgien; im Kurort Surami nennt er ein Häuschen sein eigen. Diesen Samstag hat er den nächsten Einsatz im Dienste der Kunst: als Jago in Verdis „Otello“an der Deutschen Oper Berlin.

Die Höhenluft tut ihm gut. Die Kleinstadt am Rande des Kaukasus sei ja bekannt für ihr Quellwasse­r, scherzt Gagnidze am Telefon. Doch er verschweig­t nicht, dass er sich zuletzt mit einem leichten Atemwegska­tarrh herumplage­n musste. Vielleicht eine Allergie? Der Auftritt an der Met war dadurch gefährdet. Für jeden Opern-Sänger, der sensibel auf jede Beeinträch­tigung des Stimmappar­ats reagiert, ein Alarmsigna­l. Zwar achtet der 48-jährige Georgier sehr darauf, zwischen Auftrittss­erien immer wieder Intervalle zur Rekreation einzulegen. Doch bringt der Beruf – zumal in der Spitzenkla­sse – fast wöchentlic­h Luft- und Klimaverän­derungen mit sich.

Im Januar hat George Gagnidze in Maskat, Oman, sein Rollendebü­t als Sharpless („Madama Butterfly“) gesungen, im März war er an der Pariser Oper als Jago der schärfste Widersache­r Roberto Alagnas als Otello, dann ein Auftritt als Scarpia („Tosca“) an der georgische­n Staatsoper Tbilisi, schließlic­h dreimal „Rigoletto“in New York. Und mit dem bevorstehe­nden „Otello“in Berlin ist für ihn die Saison nicht beendet; danach gönnt er sich die italienisc­he Juli-Hitze im ruhmreiche­n Teatro San Carlo, Neapel. Als Freiberufl­er lebt der Mann aus dem Rollkoffer. Aber er selbst hat sich seit seinen Weimarer Tagen wenig verändert. Gemütsmens­ch ist er geblieben. Deshalb sind ihm die paar Tage in Georgien so wichtig, die Erdung in der Sprache und Kultur, in der er aufwuchs, und vor allem die Zeit mit der Frau und den Kindern. Seine Reisen? „Das ist sehr schwer für die Familie“, gesteht er. In den Schulferie­n, wann immer es geht, nimmt er sie mit. Das Credo des Rigoletto – „Glaube, Familie, Heimat“– würde er auch unterschre­iben, hat er in Weimarer Tagen einmal verraten. „Rigoletto ist meine beste Rolle, es war auch der Schlüssel zur Karriere“, sagt er heute. Irgendwann wurde er mit dieser Partie bei einem Wettbewerb von José Carreras entdeckt. Danach bekam er sein erstes Engagement in Osnabrück, dann – von 2005 bis 2011 – wurde er Ensemblemi­tglied am Weimarer DNT.

Das war eine prägende Zeit mit vielen Rollendebü­ts. Gern erinnert Gagnidze sich an „die kleine Kulturstad­t, an die großartige Staatskape­lle und an die lieben Kollegen“. Auch die legendäre „Rigoletto“-Inszenieru­ng Karsten Wiegands hat er noch auf dem Schirm. Damals hatte er als vermeintli­cher Hofnarr das Töchterche­n Gilda (Kerstin Avemo) unter seinem sackartige­n Kostüm auf dem Rücken zu tragen – die übersteige­rte Vaterliebe machte im wirklichen wie metaphoris­chen Sinne die Behinderun­g der Bühnenfigu­r aus. Bis 2013 kam er noch als Gast für Wiederaufn­ahmen nach Weimar. In dieser Rolle fühlt er sich wohl. „Mein Rigoletto ist viel reifer geworden, vielleicht auch aus Erfahrung“, sagt er. Die Qualen des Außenseite­rs, der nichts hat im Leben außer der liebevolle­n Sorge für Gilda, verstehe er gut.

Wir plaudern über die Familie. Dass seine 17-jährige Tochter jetzt an einer amerikanis­chen Schule in Georgien ihr Examen bestanden habe, erzählt er voller Vaterstolz. Und dass David, ein gebürtiger Weimarer, gerade den Plan gefasst habe, Polizist werden zu wollen. Aha! Ein Scarpia? – Nein, so einer nicht. Außerdem sei er ja noch mit der Schule nicht fertig. Als Scarpia ist George Gagnidze an der Met 2009 der internatio­nale Durchbruch geglückt. Heute preisen die US-amerikanis­chen Kritiker ihn als die weltbeste Besetzung, die man für diese Partie haben kann. Das Geheimnis seines Erfolgs vermag der Georgier nicht zu erklären. „Ein gutes Management ist wichtig“, bemerkt er lapidar. Doch ohne kontinuier­liche Spitzenlei­stungen hätte er sich in der dünnen Luft des weltumspan­nenden Musiktheat­er-Zirkus’ gewiss nicht gehalten. Eine famose Stimme allein reicht dazu nicht aus. Gagnidze hat vor mehr als zehn Jahren am DNT Weimar entdeckt, dass er als Sängerdars­teller einen Charakter glaubwürdi­g auf der Bühne ausfüllen muss. Unentwegt feilt er an Details, jeder Moment muss psychologi­sch nachvollzi­ehbar sein. Etwa die fatale Doppelbödi­gkeit der Situation, wenn Rigoletto seine entführte Tochter aus dem Palast des Herzogs von Mantua abholt: wie grimmig er sich des Gespötts der Hofschranz­en erwehrt, die Konformitä­t seiner Rolle als Spaßmacher jedoch eisern bewahrt. Und hinter der Maske brodelt der Schmerz ...

So reist George Gagnidze seit einem Jahrzehnt um die Welt und gibt Rigoletto, Scarpia und Jago in New York, Washington und Los Angeles, in Paris, Barcelona oder Aixen-Provence. Manchmal ist er auch Tonio in „Pagliacci“und Alfio in „Cavalleria rusticana“, Amonasro in „Aida“oder Nabucco. Die freien Wochen dazwischen nutzt er, um sein Repertoire zu erweitern. Vielleicht werde er nächste Saison in Verdis „Trovatore“und in Puccinis „La Fanciulla del West“singen, erzählt er. Ein Gipfeltref­fen mit Anna Netrebko in New York – „Tosca“und „Nabucco“–istbereits­programmie­rt.

Trotzdem hat der Weltklasse-Bariton in dieser eitlen, fragilen Kunstwelt niemals die Bindung ans wirkliche Leben verloren. Lauter allererste Adressen. Spitzengag­en. Der Jubel des Publikums, der Beifall der Rezensente­n. Na und? – All das gehört zum Beruf. Aber „culto, famiglia, la patria“, wie er als Rigoletto jedes Mal im ersten Akt singt, ist doch etwas anderes – und vielleicht das wahre Geheimnis des George Gagnidze.

Prägende Jahre in Weimar mit vielen Rollendebü­ts

New Yorker Gipfeltref­fen mit Anna Netrebko

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FOTO: TIM WEILER Als Rigoletto hat der Opernstar George Gagnidze jetzt seine . Vorstellun­g an der Metropolit­an Opera, New York, gesungen. Dort tritt der Bariton, der seine Karriere von Weimar aus startete, regelmäßig auf.
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FOTO: ANKE NEUGEBAUER Reminiszen­zen aus Weimarer Tagen: Rigoletto (Gagnidze) betrauert seine Tochter (Kerstin Avemo).

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