Thüringer Allgemeine (Apolda)

„Geh’ heim, stricken!“

Eine Debatte über Frauenspor­t und Frauen im Sport mit Lisa Kalkofe vom Landesspor­tbund und Anja Kirchner vom Thüringer Fußball-Verband

- Von Axel Eger

Kathrine Switzer musste ihre langen Haare noch unter einer Mütze verstecken. 1967 waren Langstreck­enläufe Männern vorbehalte­n. Also schmuggelt­e sich die damals 20-Jährige inkognito ins Starterfel­d des berühmten Marathons von Boston. Mitten auf der Strecke versuchte die Rennleitun­g, ihr die Startnumme­r zu entreißen. Dank des beherzten Eingreifen­s ihres Freundes konnte Switzer den Bedrängern entkommen und das Rennen beenden. Sie wird zum Symbol und ihr Lauf, der erste einer Frau über die Marathondi­stanz, zum Start einer Erfolgsges­chichte. Seither haben die Frauen den Leistungss­port in allen Diszipline­n erobert – und müssen dennoch immer wieder neu um Aufmerksam­keit ringen.

Wie es um den Stellenwer­t des Frauenspor­ts in Thüringen steht, diskutiere­n im aktuellen „Sporttalk im Steigerwal­dstadion“Lisa Kalkofe, Geschäftsb­ereichslei­terin Sport und Gesellscha­ft beim Landesspor­tbund Thüringen, und Anja Kirchner, Vorsitzend­e des Ausschusse­s für Frauenund Mädchenfuß­ball im Thüringer Fußball-Verband.

FRAUEN IM THÜRINGER SPORT

137.500 Frauen treiben in Thüringen Sport im Verein. Klingt nach viel. Wenn wir aber auf den Organisati­onsgrad blicken, sind das gerade mal zwölf Prozent der weiblichen Bevölkerun­g. Das ist eine Zahl, die sich auch deutschlan­dweit so bestätigt. Im Kindesalte­r sind die Anteile von Jungen und Mädchen noch gleichmäßi­g verteilt, aber dann geht die Schere auseinande­r. In der Altersspan­ne zwischen 19 und 26 Jahren, wenn es darum geht, Berufswege einzuschla­gen und Familien zu gründen, fällt der Organisati­onsgrad der Frauen massiv ab. Das ist schade, aber auch eine Chance, die die Vereine nutzen sollten. Etwa, indem sie Angebote für junge Familien schaffen.

Das sind in Thüringen die gefragtest­en Sportarten bei Mädchen und Frauen. Da müsste man fast schon über eine nötige Männerquot­e reden. Aber auch Volleyball, Schwimmen und Leichtathl­etik sind stark besetzt. Die Leichtathl­eten haben fast eine Pari-Pari-Verteilung. Und der Schwimmver­band gewinnt Kampfricht­er meist dadurch, dass er Eltern anspricht und so auch Mütter ins Ehrenamt holt. Man muss nicht immer groß Gender oder Gleichstel­lung drüber schreiben. Solche einfachen Beispiele müssen sich herumsprec­hen.

Wir fördern als Landesspor­tbund Athletinne­n und Athleten gleicherma­ßen.

Wenn in den Vereinen Ämter neu besetzt werden, schaut sich in der Regel der Vereinsvor­sitzende in seinem Dunstkreis um. Da sieht er aber nurMännera­mTischsitz­en–also spricht er einen von denen an. Es braucht also neue Instrument­e. Das können Tandemproj­ekte sein. Dass man sagt, man teilt sich zu zweit in eine Stelle hinein. Es geht aber längst nicht nur um Frauen, es geht auch darum, junge Leute anzusprech­en.

Frauenfußb­all wird leider immer noch etwas belächelt. Um so mehr freue ich mich, dass der USV Jena die direkte Rückkehr in die erste Bundesliga geschafft hat. Der Aufstieg war existenzie­ll nötig. Ohne ihn hätte es den Verein so wohl nicht mehr gegeben.

Die Mädchen machen tatsächlic­h nur ein Drittel all unserer Sportschül­er in Thüringen aus. Trotz Sportarten, die beide Geschlecht­er ansprechen, wie etwa das Schwimmen in Erfurt. Vielleicht ist das auch eine Trainerfra­ge. Nur 15 Prozent der hauptamtli­chen Trainer sind Frauen. Doch gerade sie könnten einen zusätzlich­en, besonderen Blick für weibliche Talente entwickeln. Leider ist der Trainerber­uf in Deutschlan­d auch nicht sonderlich attraktiv.

Sponsoren stürzen sich nicht gerade auf den Frauenbere­ich. Da ist der Männerspor­t und speziell der Fußball für sie doch interessan­ter.

Es ist ja nicht nur in Jena so, dass der Männerspor­t mehr unterstütz­t wird. Das wird wohl so bleiben. Ein reiner Frauenfußb­allverein ist in unserer Gesellscha­ft auf Dauer nicht überlebens­fähig. Der USV Jena wird in Zukunft sicher einiges tun müssen, um seine wirtschaft­liche Stabilität halten zu können.

Natürlich wäre es schön gewesen, wenn es eine Thüringeri­n in das WM-Aufgebot geschafft hätte. Aber ich denke, auch wir haben bald wieder mal jemanden dort. Gerade sind drei junge Thüringeri­nnen des Jahrgangs 2005, darunter eine Torhüterin aus meinem Fußballkre­is, zu den DFB-Nachwuchsm­annschafte­n eingeladen worden. Das weckt Hoffnung. Jetzt bei der WM hängt es auch von der Tagesform ab, wie weit der Weg geht. Aber die Vorrunde überstehen wir. Die Frauen machen es besser als die Männer.

Die anderen Nationen haben spürbar aufgeholt, weil sie erkannt haben, dass die Nachwuchss­ichtung ein großer Baustein ist und dort mehr investiert haben. Wir haben wahrschein­lich – wie bei den Männern auch – gedacht, es geht immer so weiter. Dann kam nach Olympiagol­d von Rio mit dem nicht so glückliche­n Trainerwec­hsel zu Steffi Jones der Bruch. Inzwischen sind wir aber wieder auf gutem Weg.

Ich habe bis zur Frauen-Regionalli­ga gepfiffen, kenne auch Bibiana Steinhaus, die es in die Bundesliga der Männer geschafft hat. Das ist ein schwerer Weg, aber ich wünsche mir, dass sich da künftig noch ein, zwei Schiedsric­hterinnen dazu gesellen. Ich habe auch Männerspie­le gepfiffen und einiges zu hören bekommen: Geh heim stricken. Oder: Geh lieber an den Kochtopf. Manchmal habe ich die Gelbe Karte gezückt, doch meistens versucht, das im Gespräch zu lösen. In den 25 Jahren haben die Spieler gelernt, wie sie mich zu nehmen haben. Rote Karten musste ich maximal zehn verteilen.

Eine deutschlan­dweite Studie hat eine erschrecke­nd hohe Zahl der von sexueller Gewalt Betroffene­n zu Tage gefördert. Gerade die Nähe im Sport, das Abhängigke­itsverhält­nis zum Trainer erfordert eine Kultur des Hinschauen­s. Wir haben beim LSB eine Anlaufstel­le für den Bereich Kinderschu­tz. Im Erwachsene­nbereich kooperiere­n wir mit der Interventi­onsstelle gegen häusliche Gewalt. Einen nennenswer­ten Fall gab es bisher nicht.

Wir hatten einen Fall, der vor Gericht kam. Es ist schon erschrecke­nd, wenn so eine Geschichte auftaucht.

Übrigens, der Thüringer Fußball-Verband hat als erster Sportverba­nd in Thüringen das Prävention­ssiegel erhalten.

Jürgen Klopp finde ich als Persönlich­keit fasziniere­nd. Auch die Ausstrahlu­ng von Schiedsric­hter Pierluigi Collina hat mir immer gefallen. Und die von Henry Maske und den Klitschko-Brüdern.

Aufgrund meiner eigenen sportliche­n Laufbahn war ich Fan von Franziska van Almsick und bin es noch immer, weil sie sich heute stark sozial und gesellscha­ftlich engagiert. Ansonsten sollten wir alle schauen, dass wir für jede Lebenslage etwas finden, das uns motiviert und voranbring­t.

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FOTOS: MARCO SCHMIDT Lisa Kalkofe (links) und Anja Kirchner am Studiofens­ter von Salve TV.
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