Die E-Mobilität kostet viele Jobs
Fast jeder zweite Betrieb hat keine ausreichende Strategie für den Wandel, kritisiert die Gewerkschaft IG Metall
Wahrscheinlich war es kein Zufall: Am Mittwoch hatte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann zum öffentlichen Rundumschlag in Frankfurt geladen, um vor den gravierenden Folgen der E-Mobilität und Digitalisierung für die Beschäftigten der Metallund Elektroindustrie zu warnen. Fast zeitgleich versuchte man bei Volkswagen in Wolfsburg, ein beruhigendes Signal zu senden: Man habe sich mit dem Betriebsrat darauf geeinigt, bis 2029 auf Kündigungen zu verzichten. 2000 Stellen sollen in der IT geschaffen werden. Aber zur Botschaft gehörte auch: 4000 Stellen in der Verwaltung der Kernmarke VW fallen weg. Bis Ende 2020 läuft zudem ein großes Sparprogramm, das VW im Herbst 2016 mit der Arbeitnehmerseite verabredet hatte. Es sieht den weltweiten Abbau von 23.000 Stellen vor.
Es droht die strukturelle Arbeitslosigkeit von 2005
Deutschlands wichtigste Branche steht vor einem tiefgreifenden Wandel. 800.000 Beschäftigte arbeiten in der Automobilindustrie – noch, muss man hinzufügen. Weil der Diesel aus vielen Innenstädten verbannt wird, weil künftig mehr Elektrofahrzeuge verkauft werden sollen, weil die Digitalisierung die Produktion effizienter macht, werden viele Jobs überflüssig. Die IG Metall hat daher in den vergangenen Monaten Unternehmen der Branche danach befragt, wie sie sich auf den Wandel einstellen. 2000 Betriebe, die rund 1,7 Millionen Beschäftigte repräsentieren, haben geantwortet.
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann hat am Mittwoch ein ernüchterndes Fazit gezogen: Knapp die Hälfte der Betriebe habe keine oder keine ausreichende Strategie zur Bewältigung der Probleme, sagte der Gewerkschaftschef.
54 Prozent der Firmen aus der Automobil- und der Zulieferindustrie rechnen der Befragung zufolge damit, dass die Zahl der Arbeitsplätze sinken wird. „Vor allem für Zulieferer kann die Transformation existenzgefährdend werden, wenn sie nur über wenig Kapital und keine tragfähigen neuen Geschäftsmodelle verfügen“, sagte Hofmann. Wenn sich die Unternehmen weiterhin so defensiv verhielten, spielten sie „Roulette mit der Zukunft der Beschäftigten“. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall sieht das anders. Die 25.300 Betriebe der Metall- und Elektroindustrie könnten den Strukturwandel meistern und packten das auch schon an, erklärte Hauptgeschäftsführer Oliver Zander.
Konkrete Zahlen, wie viele Beschäftigte ihren Job verlieren werden, nannte Gewerkschaftschef Hofmann nicht. Schätzungen etwa des Fraunhofer Instituts gehen von 150.000 Jobs aus, die gefährdet sind. Die Rechnung ist schlicht: Zur Fertigung von Elektrofahrzeugen braucht es weniger Menschenkraft. EAutos benötigen viel weniger Komponenten als Benziner und Diesel.
Außerdem wird mit den Batteriezellen ein wesentlicher Teil des Fahrzeugs nicht mehr in Deutschland hergestellt – sondern in Asien eingekauft. „Es drohen industrielle Wüsten“, sagte Hofmann und nannte in diesem Zusammenhang WestThüringen, Mittelhessen und das Saarland, die stark von der Verbrennertechnologie abhängig seien. Zulieferer wie Mahle, der zu den weltweit größten Herstellern von Kolben und Zylindern zählt, oder Bosch spüren den Wandel bereits. Bei Bosch stehen Standorte, die auf Dieselkomponenten spezialisiert sind, massiv unter Druck. Im Werk Bamberg gibt es bereits Schließschichten. Auch im Bosch-Werk Homburg sind als Reaktion auf die schwindende Nachfrage Schließtage vereinbart worden.
Damit die Beschäftigten nicht massenweise auf der Straße landen, fordert die IG Metall von der Bundesregierung die Einführung eines neuen Kurzarbeitergeldes. Aus konjunkturellen Gründen können Arbeitszeiten bereits jetzt vorübergehend gekürzt werden. Die Beschäftigten erhalten für den Verdienstausfall Kurzarbeitergeld aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung. Experten gehen davon aus, dass in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 und 2009 durch Kurzarbeit kein großer Jobverlust stattfand.
Mit einer schwächelnden Konjunktur hat der nun anstehende Umbruch aber freilich nichts zu tun. Hofmann will daher das Kurzarbeitergeld um öffentlich geförderte Weiterbildungsmaßnahmen ergänzen – sodass Beschäftigte anschließend in anderen Bereichen im Betrieb oder in einer ganz anderen Branche arbeiten können. Der Bereichsleiter für Prognosen am Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung, Enzo Weber, hält das für ein „vernünftiges“Konzept. „Wenn wir nicht mit einer öffentlichen Förderung auf die technologischen Veränderungen in der Automobilbranche reagieren, dann droht uns ein Anstieg der strukturellen Arbeitslosigkeit, wie wir ihn bis 2005 erlebt haben“, sagt er unserer Redaktion. Weber sieht allerdings auch gute Chancen, dass Beschäftigte durch die Weiterbildung eine neue Anstellung finden. Denn die Nachfrage nach technisch versierten Fachkräften sei hoch. Allerdings könnten sie nicht davon ausgehen, weiterhin im selben Betrieb arbeiten zu können.