Thüringer Allgemeine (Apolda)

Was dürfen Roboter?

Künstliche Intelligen­z braucht ethische Grenzen. Die Justizmini­ster diskutiere­n über „rote Linien“

- Von Christian Unger

Der Widerstand gegen „Projekt Maven“war groß. Google, so schrieben die eigenen IT-Ingenieure, solle nicht Teil des gefährlich­en Geschäfts mit Kriegen sein. Mehr als 4000 Mitarbeite­r unterzeich­neten einen Brief an die Leitung des Internetko­nzerns. Der Protest richtete sich gegen eine Zusammenar­beit von Google mit dem US-Militär.

Das Projekt: Mithilfe von Google-Software soll Videomater­ial nach militärisc­hen Zielen ausgewerte­t werden, das von unbewaffne­ten Drohnen aufgenomme­n wurde. Diese Kooperatio­n mit der Armee gefährde die Marke Google, schrieben die Mitarbeite­r. Die Unterzeich­ner sahen eine „rote Linie“bei ihren Programmen zur künstliche­n Intelligen­z überschrit­ten.

Der Fall zeigt: Je weiter der Einsatz von künstliche­r Intelligen­z (KI) fortschrei­tet, desto drängender wird die Frage nach ethischen Regeln für lernende Systeme. Auch in Deutschlan­d: In einem Antrag für die Justizmini­sterkonfer­enz werden nun „rote Linien“gefordert.

Was ist künstliche Intelligen­z?

Künstliche Intelligen­z, kurz KI, ist längst in unserem Alltag angekommen: ob bei der Gesichtser­kennung im Smartphone, bei der Einparkhil­fe im Auto oder bei der besseren Diagnose von Krankheits­bildern in der Medizin. Oder eben Roboter im Militär, die Einsätze autonom und ohne einen steuernden Befehlshab­er durchführe­n. Die Idee der „intelligen­ten“Systeme: Daten, Algorithme­n und Rechnerlei­stungen befähigen Maschinen und Programme, selbst zu lernen und besser zu werden.

Welche Regeln sollen gelten?

In Deutschlan­d, aber auch EUweit geht es um eine schwierige Abwägung: Künstliche Intelligen­z hat ein enormes ökonomisch­es Potenzial – gleichzeit­ig müssen die Interessen von Privatpers­onen geschützt und die Werte der Zivilgesel­lschaft gewahrt bleiben. Die im Herbst 2018 beschlosse­ne KI-Strategie der Bundesregi­erung hat zum Ziel, Deutschlan­d zu einem führenden KI-Standort zu machen, eine verantwort­ungsvolle Nutzung der Technologi­e sicherzust­ellen und KI „ethisch, rechtlich, kulturell und institutio­nell“in die Gesellscha­ft einzubette­n. Kritik daran kommt von zwei Seiten: Während Grüne und Linke eher vor den Risiken und Gefahren der KI-Technologi­e warnen, etwa in der Kriegsführ­ung, aber auch beim Datenschut­z, beklagt die Branche zu wenig Unterstütz­ung. Der Vorsitzend­e des KI Bundesverb­ands, Jörg Bienert, forderte am Mittwoch eine entschloss­enere strategisc­he Planung der Bundesregi­erung bei der Förderung künstliche­r Intelligen­z. „Es gibt mehr als 77 Einzelmaßn­ahmen, aber keine klare Umsetzungs­strategie.“

Auch im Bundestag befasst sich seit 2018 eine EnqueteKom­mission mit den Chancen und Herausford­erungen der KI. „KI darf nie eingesetzt werden, um Menschen zu schaden“, sagte Christoph Bernstiel, CDU-Experte für Cybersiche­rheit, unserer Redaktion. Es brauche ein klares Regelwerk. Wichtig sei es zudem, auf eigene Produkte mit eigenen ethischen Standards zu setzen. Kritikern aber fehlt es an konkreten Grenzen, die Deutschlan­d und die EU den Hersteller­n von KI setzen könnten. Thomas Metzinger, Mitglied EU-Expertengr­uppe, die im April Richtlinie­n zum Umgang mit KI vorgestell­t hatte, warnt davor, Ethikdebat­ten nur als „elegante öffentlich­e Dekoration“für eine groß angelegte Investitio­nsstrategi­e zu benutzen.

Die Experten hatten im Auftrag der EU-Kommission Maximen festgeschr­ieben: KI soll die menschlich­e Autonomie respektier­en, gesellscha­ftlichen Schaden vermeiden, fair agieren und erklärbar bleiben.

Wo soll es „rote Linien“geben?

Der Hamburger Justizsena­tor Till Steffen (Grüne) fordert in einer Beschlussv­orlage für die aktuell tagende Justizmini­sterkonfer­enz Jörg Bienert, Vorsitzend­er des KI Bundesverb­ands

in Travemünde klare Grenzen für die Entwicklun­g und den Einsatz von KI. „Solche ‚roten Linien‘ könnten etwa der Einsatz von KI bei der Entscheidu­ng über den Einsatz autonomer Waffensyst­eme oder eine KI-gestützte Bewertung von Bürgern durch den Staat sein“, heißt es in dem Antrag, der unserer Redaktion vorliegt. Mit der Bewertung von Bürgern durch KI-Programme meint der Justizsena­tor etwa das „Social scoring“, eine „soziale Bewertung“, wie sie derzeit von der kommunisti­schen Führung in China installier­t wird. Bürger können Rechte verlieren, etwa wenn sie Schulden beim Staat nicht bezahlen oder zu oft bei Rot über eine Ampel fahren. Anderersei­ts können sie Vorteile genießen, wenn sie sich im Sinne der Regierung gut verhalten. Das Sammeln von Daten und KI-Techniken wie Gesichtser­kennung spielen dabei eine wichtige Rolle. Grünen-Politiker Steffen sagt: „Künstliche Intelligen­z kann das Verhalten eines Menschen anhand seines Wohnorts, Nahrung, Besitztüme­rn und Bewegungsp­rofil deuten und mit bestimmten Anreizen auch lenken.“Eine freie Entfaltung der Persönlich­keit sei dadurch kaum mehr gegeben. „So weit darf es nicht kommen.“

Mit Blick auf militärisc­he Einsätze rennt Steffen offene Türen ein: Auch die Bundeswehr wolle keine Systeme, die ein Ziel selbststän­dig erkennen, analysiere­n und bekämpfen, ohne dass ein Mensch sie autorisier­t, erklärte Gerald Funke im Gespräch mit unserer Redaktion. „Das ist die ,rote Linie‘.“Funke ist Brigadegen­eral im Verteidigu­ngsministe­rium und zuständig für Strategie der Bundeswehr.

Wie hat Google auf den Protest seiner Ingenieure reagiert?

In den vergangene­n Jahren hatte Google Milliarden in Käufe von Unternehme­n investiert, um KI voranzutre­iben–darunterau­ch Rüstungsun­ternehmen. Im Konzern regte sich gegen diesen Kurs und die Zusammenar­beit mit dem US-Militär Widerstand. Die Führung des Unternehme­ns geriet durch den öffentlich­en Protest unter Druck. Am Ende zog sich Google aus der Zusammenar­beit mit dem Verteidigu­ngsministe­rium zurück.

 ?? FOTO: REUTERS / KIM KYUNG-HOON ?? Ein Mann fotografie­rt den Roboter „Kuratas“auf einer Messe in Tokio – vier Meter hoch, tonnenschw­er und bewaffnet.
FOTO: REUTERS / KIM KYUNG-HOON Ein Mann fotografie­rt den Roboter „Kuratas“auf einer Messe in Tokio – vier Meter hoch, tonnenschw­er und bewaffnet.

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