Thüringer Allgemeine (Apolda)

Unter Freunden

Wie Suleman Malik von der Erfurter Ahmadiyya-Gemeinde, der das Streitgesp­räch mit Sarrazin nicht fürchtete, hinter den Kulissen von linken Politikern behandelt wird

- Von Frank Schauka

Hier Malik.“Der Mann klingt empört. „Ich bin in der Nacht massiv unter Druck gesetzt worden“, sagt der Sprecher der muslimisch­en Ahmadiyya-Gemeinde zu Erfurt am Telefon. Durch eine „hochstehen­de Person in der Thüringer Gesellscha­ft“, die politisch weit links steht, fühle er sich gedrängt, den SPD-Landtagsab­geordneten Oskar Helmerich als „Nazi“zu bezeichnen.

Es ist Samstag, 25. Mai, 9.07 Uhr. In 23 Stunden beginnt die Kommunalwa­hl. Für Helmerich, der erneut in den Erfurter Stadtrat gewählt werden will, wäre die Nazi-Keule der sichere K.o. vor der ersten Runde.

„Oskar Helmerich“, sagt Malik, „hat sich immer für den Moscheebau eingesetzt. Er ist keiner, der rechtsextr­eme Neigungen hat. Ich kann Oskar Helmerich nicht als Nazi bezeichnen.“

Der SPD-Politiker habe Jugendlich­en der Ahmadiyya-Gemeinde mehrfach geholfen, sei mit ihnen zu Ämtern gefahren. Wenn er nicht helfen konnte, habe er Hilfe organisier­t. Zweimal habe Helmerich Grußworte bei der Jahresvers­ammlung der Ahmadiyya in Deutschlan­d gehalten, vor Zehntausen­den Muslimen in Karlsruhe. Er betrachte Helmerich als Freund.

Sechs Wochen hat der parteilose Malik über Dinge geschwiege­n, die er hinter den Kulissen rund um das umstritten­e Treffen mit Thilo Sarrazin in Erfurt erlebt hat. Öffentlich bekannt wurde skizzenhaf­t nur: Helmerich, justizpoli­tischer Sprecher der SPD-Landtagsfr­aktion, hat den angebliche­n Islamfeind Thilo Sarrazin, gegen den ein SPDAusschl­ussverfahr­en wegen angeblich rassistisc­her Äußerungen läuft, zu einer Podiumsdis­kussion eingeladen. Manche Genossen fordern daraufhin auch Helmerichs Rauswurf.

Jetzt wird erstmals erkennbar, was hinter den Kulissen ablief. Die Facebook-Nachrichte­n, die Malik am Freitagabe­nd erhielt, sind der Auslöser dafür, dass er Stunden später zum Handy greift. „Ich empfinde einen innerliche­n Schmerz, weil ich immer wieder als Extremist oder Terrorist beschimpft wurde – und jetzt auch noch als Freund von einem Nazi“, sagt Malik.

Der gesellscha­ftlich hochstehen­de „Freund“, der sich am Freitagabe­nd via Facebook meldet, will plötzlich wissen, ob es stimme, was er hörte und las: dass Malik Helmerich im Wahlkampf unterstütz­e. Ob Malik sogar mitgeholfe­n habe, Helmerichs Plakate mit dem Slogan „Kein Bleiberech­t für Gefährder!“aufzuhänge­n.

Malik sagt am Telefon, was er bei mehreren Folgetreff­en bekräftigt: Helmerich habe ihn gefragt, ob jemand aus der Ahmadiyya-Gemeinde beim Aufhängen der Plakate behilflich sein könne. Zwei junge Männer hätten zu-, doch plötzlich abgesagt. Also sei er mit Helmerich durch die Stadt gefahren, habe die Leiter gehalten, damit der Freund Plakate aufhängen konnte. „Ich habe das Plakat, das ich vorher nicht kannte, nicht einmal angefasst. Als ich das Plakat ‚Kein Bleiberech­t für Gefährder!‘ sah, habe ich Oskar Helmerich deutlich gesagt, dass ich von der Aussage nichts halte.“

Gegenüber seinem Facebook-„Freund“betont Malik trotzdem: Helmerich ist kein Nazi. „Wer ein Nazi ist, der ist verantwort­lich für das schlimmste Verbrechen in der menschlich­en Geschichte“, sagt Malik unserer Zeitung. „Nazi ist das schlimmste Schimpfwor­t, das es gibt. Dagegen kann man sich nicht mehr wehren.“

Der „Freund“, der sich in hoher Funktion gegen Rechtsextr­emismus engagiert und beim Moscheebau stets geholfen hat, beendet schließlic­h das FacebookGe­spräch: Malik habe sich entschiede­n. Malik wird aus der Freundesli­ste gestrichen und ist für den „Freund“nicht mehr privat auf Facebook zu sprechen.

Bei Twitter gab es ein gemeinsame­s Foto von einer Jahresvers­ammlung der Ahmadis in Karlsruhe,

aufgenomme­n vor dem Plakat mit dem Motto der Ahmadis: Liebe für alle, Hass für keinen. Das Foto stand ganz oben auf dem Twitter-Account des Freundes. „Er hat das Foto jetzt entfernt“, sagt Malik, „nach dem Motto: Du bist ein Freund von einem Nazi.“

Der „Freund“lehnte eine Stellungna­hme gegenüber unserer Zeitung gestern ab.

In Malik kommen Erinnerung­en hoch. Als das rot-rot-grüne Landesprog­ramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenh­eit vor einigen Jahren seine Arbeit aufnahm, war auch Malik zur Sitzung gekommen. Plötzlich hätten zwei bekannte Thüringer ihn aufgeforde­rt, den Raum zu verlassen. Einer war der Facebook-„Freund“vom Freitag. Malik sei als Vertreter einer muslimisch­en Kleingrupp­e, die von Moslems verfolgt wird, kein glaubwürdi­ger Vertreter der Mehrheitsm­uslime. Die andere, eine linke Abgeordnet­e, ist als Kämpferin gegen Rechtsextr­emismus bekannt. Allein der Vertreter der katholisch­en Kirche habe sich für Malik eingesetzt.

Suleman Malik ist ein tiefgläubi­ger Mensch. „Wenn jemand meine Hilfe braucht, dann helfe ich ihm“, sagt er. „Ich würde auch einem Nazi helfen, wenn er hilflos am Boden liegt.“Die Frage, ob jemand ein Nazi sei, sei ein politische­r Streitpunk­t. „Wir dürfen in unserer Gesellscha­ft das Menschlich­e nicht verlieren, sonst sind wir Barbaren.“

Maliks Ehefrau, eine Engländeri­n aus Indien, trägt Kopftuch. „Auch wenn sie dafür beleidigt wird“, sagt Malik. „Sie sagt, sie trägt das Kopftuch zu Ehren Allahs.“Seine Kinder, die Englisch, Deutsch und Urdu sprechen, erzieht der 32-Jährige „so, dass sie lernen zuzuhören und dass sie Respekt und Gehorsam lernen“, sagt er. „Das sind Werte, die hier manchmal negativ interpreti­ert werden. Aber ich finde, dass Kinder gegenüber den Eltern auch Gehorsam lernen sollen.“

Suleman Malik ist kein Politiker. Er hat gründlich überlegt, ob er nach seinem theologisc­hen Verständni­s sagen soll und darf, was er sagen möchte.

Malik sitzt – einige Tage nach dem Anruf – am Schreibtis­ch in seinem Büro, das von außen ein

Baucontain­er bleibt. Auf dem Gelände entsteht die Moschee, die in Erfurt-Marbach vielfach Widerspruc­h und Hass auslöst. Ende Mai 2017 lagen Schweinekö­pfe im Gras. An Stäben hingen Fetzen frischen Fleischs.

Auf Maliks Schreibtis­ch liegt ein Buch, in schwarzes Leder gebunden. „Die Grundlage meines Handelns als Moslem ist diese“, sagt er. „In Sure fünf, Vers neun des Heiligen Koran heißt es: Oh, die Ihr glaubt, seid standhaft in Allahs Sache, bezeugend in Gerechtigk­eit. Und die Feindselig­keit eines Volkes soll euch nicht verleiten, anders denn gerecht zu handeln.“

In die internen Streitigke­iten der Thüringer SPD wegen der Sarrazin-Veranstalt­ung habe er niemals hineingezo­gen werden wollen. Er habe es stets als seine theologisc­he Pflicht betrachtet, Sarrazins Behauptung­en zu widerlegen, sagt Malik, die er als rassistisc­h und islamfeind­lich bewertet. Deshalb habe er mit Sarrazin auf dem Podium diskutiere­n wollen.

Versuche, Malik zu beeinfluss­en und gegen Helmerich, den Organisato­r der Veranstalt­ung, zu instrument­alisieren, hat es trotzdem gegeben. Der „eine oder andere“habe ihm nahegelegt, seine Zusage, mit Sarrazin zu diskutiere­n, zurückzuzi­ehen, sagt Malik. Einige hätten gehofft,

sie könnten die Veranstalt­ung auf diese Weise verhindern.

Greifbar wird dies Anfang April. Medien aus ganz Deutschlan­d berichten seit Tagen über die geplante Sarrazin-Lesung in Erfurt. Das Thema belastet die SPD stark. Bekannte Genossen wie Landeschef Wolfgang Tiefensee lehnen die Veranstalt­ung mit Sarrazin ab, den die BundesSPD aus der Partei ausschließ­en will. Sie hält Sarrazins jüngstes Buch „Feindliche Übernahme“für rassistisc­h.

Da nimmt der Erfurter SPDStadtra­t Denny Möller Kontakt zu Malik auf und lädt ihn in ein Café ein. „Warum will er plötzlich mit mir reden?“fragt sich Malik. Kaum sitzen sie am Donnerstag, 4. April, zur Mittagszei­t zu Tisch, kommt Möller zum Punkt. „Denny Möller sagte sofort, wir wollen nicht, dass das Gespräch stattfinde­t“, erinnert sich Malik. Mehrfach habe Möller gesagt, es gebe vielleicht eine Möglichkei­t, die von der SPDSpitze kritisiert­e Veranstalt­ung abzusagen – dazu müsse Malik sich als Gesprächsp­artner vom Podium zurückzieh­en.

Malik sagt, er habe Denny Möller wiederholt deutlich gemacht, dass er es für seine theologisc­he Pflicht halte, Sarrazin mit Argumenten zu widerlegen.

Plötzlich sei Möller aufgestand­en, habe noch unschöne Worte gesagt und sei davongerad­elt. Er

Denny Möller beschreibt es so: Er habe gedacht, Malik wolle aus der Veranstalt­ung mit Sarrazin aussteigen, wisse nur nicht wie. Deshalb habe er Malik kontaktier­t und im Café laut überlegt: Maliks Absage würde aus der geplanten Diskussion mit kontrovers­en politische­n Standpunkt­en eine kommerziel­le Buchlesung machen. Unter solchen veränderte­n Umständen könne die Messe-Gesellscha­ft den Vertrag womöglich kündigen: Sarrazin in Erfurt wäre geplatzt.

„Ich wäre nicht böse gewesen“, sagt Denny Möller unserer Zeitung. Nach seiner Überzeugun­g war Malik lediglich Helmerichs Kronzeuge für eine angeblich politisch ausgeglich­ene Veranstalt­ung mit Sarrazin. „Ich habe eine Überlegung präsentier­t, wie diese Kronzeugen­situation in sich zusammenfä­llt.“

Der Gang auf das Podium im Parksaal fiel Malik nicht leicht. „Als Oskar Helmerich mich zu der Lesung eingeladen hat, habe ich ihm gesagt, dass ich das für eine Spaltung der Gesellscha­ft halte. Herr Sarrazin spaltet mit seinen Thesen.“

Trotzdem, sagt Malik, würde er sich jederzeit wieder der Debatte stellen. „Wenn wir mit

unseren Kritikern nicht sprechen, überlassen wir ihnen die Deutungsho­heit. Und diese wollen wir nach unserer Religion keinen Extremiste­n überlassen. Wir wollen überall hingehen, wo wir angegriffe­n werden.“

Im Erfurter Parksaal saßen am Mittwochab­end, 22. Mai, etwa 200 Frauen und 300 Männer, die Sarrazin erleben wollten, augenschei­nlich keine Extremiste­n, eher ein Spiegelbil­d des Bürgertums. Sie klatschten laut und lang besonders dann, wenn Sarrazin formuliert­e, etwa so: „Der Islam ist keine Religion des Friedens und der Toleranz, sondern eine politische Ideologie, die zur Gewalt neigt und sich als Religion darstellt.“

Oder wenn er davon sprach, dass die „wachsende Neigung zu religiösem Fundamenta­lismus und Terrorismu­s“der Versuch von Muslimen sei, die von ihnen selbst wahrgenomm­ene Rückständi­gkeit in Wissenscha­ft und Technik durch aggressive­s Verhalten zu kompensier­en. Beifall folgte auch auf Sätze wie diese: Eine besondere Gefahr für Europa bestehe in der drohenden „demografis­chen Überwältig­ung“durch den Islam.

Khola Hübsch und Suleman Malik, die Vertreter der muslimisch­en Ahmadiyya-Gemeinde auf dem Podium, erlebten weniger Zuspruch. Wenn es bei ihren Reden lauter wurde, waren dies Proteste, manchmal Beleidigun­gen, seltener Drohungen, welche dazu führten, dass Frau Hübsch Personensc­hutz erhielt.

Was Sarrazin darlege, sei nicht grundsätzl­ich falsch, merkte Khola Hübsch an. Sie sei sehr froh, in Deutschlan­d zu leben, weil die zwölf Millionen Ahmadis auf der Welt von der Mehrheit der zwei Milliarden Muslimen verfolgt würden, wo Muslime im Staate das Sagen hätten. Doch die radikale salafistis­che Auslegung des Koran, auf die Sarrazin vor allem abhebe, sei „nicht der ganze Islam“, betonte Khola Hübsch.

„Sie verkaufen das Publikum für dumm, was den Koran angeht“, reagierte Sarrazin darauf. Starker Applaus!

„Vier Muslime im Saal und mehr als 400 Kritiker“, blickt Malik zurück. „Als Muslim fühlt man sich am Nasenring durch die Arena gezogen. So habe ich

mich gefühlt. Ich wusste, wenn Thilo Sarrazin kommt, wird gegen Muslime gehetzt. Es wird gegen meine Person gehetzt.“Trotzdem, sagt Malik: „Wenn wir aufhören, in unserer Gesellscha­ft miteinande­r zu sprechen, dann gibt es nur noch Feindschaf­t.“Die Demokratie lebe von Streitkult­ur. „Meine Scharia sagt mir, dass ich loyal gegenüber dem Staat sein soll, in dem ich lebe. Das ist meine Scharia.“

Malik hat das Fenster seines Baucontain­ers-Büros weit geöffnet. Auf dem Gelände ist es still. Die Arbeit ruht seit Monaten. „Eine Bauverzöge­rung“, sagt Malik. Firmen hätten abgesagt – aus Furcht, ihre Maschinen würden zerstört. Jetzt habe man endlich eine neue Firma gefunden...

„Wenn Oskar Helmerich ein Nazi wäre“, fragt Malik plötzlich, „wie kann es dann sein, dass er noch immer justizpoli­tischer Sprecher der SPD-Fraktion ist? Und wenn die SPDFraktio­n einen Nazi bei sich hat, wie können dann andere gesellscha­ftliche Gruppen mit der SPD zusammenar­beiten?“Müsste der gesellscha­ftliche hochstehen­de „Freund“dann nicht auch von SPD-Parteichef Wolfgang Tiefensee verlangen, Oskar Helmerich als Nazi zu beschimpfe­n? Müsste die bedeutende Organisati­on, der der „Freund“in Thüringen vorsteht, nicht jeglichen Kontakt mit vermeintli­chen Nazi-Kollaborat­euren von der SPD beenden?

Die Reaktion auf die Unterstell­ung, er sei ein Freund eines Nazis, hat mich tief beschäftig­t, sagt Malik. „Ich glaube, der Freund hat emotional reagiert, um seiner Empörung Ausdruck zu verleihen.“

Vielleicht habe er keine andere Handlungsw­eise gewusst. „Ich bezeichne ihn weiterhin als guten Freund. Als Demokraten müssen wir doch zusammenha­lten und zeigen, dass wir für eine tolerante offene Gesellscha­ft sind. Wenn wir das nicht tun, stärken wir doch diejenigen, die nicht mit Demokratie zu tun haben.“

Er fürchte einen Anschlag auf die Moschee, sagt Malik. „Die Diskussion um Thilo Sarrazin war vielleicht nur der Anfang.“Im Oktober sind Landtagswa­hlen. „Da wird noch mehr Härte auf uns zukommen.“

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habe die Art, wie Möller auf ihn eingewirkt habe, als „total unfair“empfunden, sagt Malik.
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FOTO: MARTIN SCHUTT/DPA SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee (Mitte) hielt im Parksaal des Erfurter Stadions eine kurze Rede, bevor auf dem Podium die Diskussion mit Thilo Sarrazin (SPD, links) begann. Der SPD-Abgeordnet­e Oskar Helmerich wurde wegen des von ihm organisier­ten Treffens heftig kritisiert.

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