Massengrab in ehemaligem Konzentrationslager entdeckt
Neuer Beweis für NS-Gräuel in Ellrich: Überreste von 1000 Häftlingen aufgefunden
Ein Massengrab als Beweismittel: Auch darum gehe es in Zeiten, in denen „die Zahl derer, die geneigt sind, die NS-Verbrechen zu relativieren, zunimmt“. Jens-Christian Wagner, Leiter der niedersächsischen Gedenkstätten, weiß die Nachricht einzuordnen, die am Donnerstag auch überregionale Medien nach Ellrich blicken lässt: Auf dem Areal des früheren KZAußenlagers Ellrich-Juliushütte (Landkreis Nordhausen) wurden zwei Sammelgräber mit den Überresten von rund 1040 Häftlingen entdeckt.
„Dass im März und April 1945 tote Häftlinge im Krematorium des Lagers und auf einem Scheiterhaufen verbrannt wurden, wussten wir. Aber wir hatten keine Kenntnis über den genauen Standort“, so Wagner. Das Gelände ist etwa fünf Hektar groß.
Auf die Spur verhalfen Fotos, aufgenommen vom amerikanischen Fernmeldeoffizier George Phillipps nach der KZ-Befreiung im Mai 1945. Eine Nahaufnahme von diesem lässt erschaudern: Knochenteile, manche unterarmgroß, häufen sich, dazwischen feine Asche.
Es sind die Überreste von Menschen, deren Leichen hier auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Von Menschen vor allem polnischer und sowjetischer Staatsangehörigkeit. Denn kurz vor der Lagerbefreiung rollte ein Transport aus dem KZ Sachsenhausen nach Ellrich. „Die Häftlinge waren sehr geschwächt, haben häufig nur wenige Tage hier gelebt“, erklärt Wagner. Da unter ihnen auch zahlreiche Juden waren, verbietet sich aus Respekt vor ihrer Religion eine Exhumierung der sterblichen Überreste. Zwischen Mai 1944 und April 1945 sind in Juliushütte im Schnitt rund 8000 Menschen inhaftiert. 4000 überleben die Deportation – die Zwangsarbeit unter Tage beim Stollenvortrieb, den Schlafentzug, die Misshandlung, den Hunger – nicht.
Mit Traktor-Anhängern werden die Leichen ins Hauptlager Dora gebracht, im März 1945 geht das Ellricher Krematorium in Betrieb. Die Asche der Toten lässt die SS direkt dahinter abkippen, berichtet Regine Heubaum, die kommissarische Leiterin der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Als kurz vor der Befreiung die Todesraten weiter steigen, brennt auch der Scheiterhaufen, keinen Kilometer von Ellrich entfernt.
Die Fotos des amerikanischen GI‘s hat die Gedenkstätte Mittelbau-Dora im Sommer 2017 vom Regionalhistoriker Karl-Heinz Schwerdtfeger bekommen. Ein Zufall also rief die Bodenarchäologen auf den Plan. Stefan Flindt, der Göttinger Kreisarchäologe, erinnert sich: „Direkt unter der Grasnarbe fanden wir menschlichen Leichenbrand.“
Nach der archäologischen Sondierung – also Aufnahme des genauen Standorts und des genauen Ausmaßes beider Gräber – will die Gemeinde Walkenried diese würdig gestalten. Die Überlebendenverbände sind eingebunden. Zum 75. Jahrestag der KZ-Befreiung nächstes Frühjahr werde man sicher noch nicht fertig sein, schätzt Wagner. Er hofft sehr, dass Juliushütte künftig stärker im öffentlichen Bewusstsein präsent ist.