Thüringer Allgemeine (Apolda)

Proteste mit verheerend­en Folgen

Vor 40 Jahren: Am 7. Juni 1979 schließt der DDR-Schriftste­llerverban­d neun unbequeme Mitglieder aus

- Von Gerd Roth

Christa Wolf warnte noch eindringli­ch vor „verhängnis­vollen Folgen“. Die DDRSchrift­stellerin versuchte mit einem flammenden Appell an den ostdeutsch­en Schriftste­llerverban­d, „einen solchen Ausschluss so vieler Kollegen – ohne Beispiel in der Geschichte des Verbandes“zu verhindern. Erfolglos. Vor 40 Jahren, am 7. Juni 1979, schloss der DDR-Schriftste­llerverban­d neun unbequeme Mitglieder aus, eine Woche später bestätigte das Präsidium den Bann.

Drei Jahre zuvor hatte die DDRObrigke­it den Liedermach­er Wolf Biermann nach andauernde­n Auseinande­rsetzungen ausgebürge­rt. Es folgten weltweite Proteste gegen die drakonisch­e Maßnahme. Nur wenige Jahre nach dem internatio­nalen Aufruhr um die Ausbürgeru­ng kam es mit dem Ausschluss der Schriftste­ller erneut zu einem literarisc­hen Kahlschlag im Erscheinun­gsbild des Arbeiter- und Bauernstaa­ts.

„Ich hätte nie gedacht, dass es zu diesem Ausschluss und damit nach der Ausbürgeru­ng Biermanns zu solch einer erneuten Blamage kommen würde“, berichtet Rolf Schneider in seinem Haus in Schöneiche bei Berlin. Der 87-Jährige ist der letzte Überlebend­e dieser Gruppe von neun Schriftste­llern um Stefan Heym, die unter der schützende­n Hand der Parteiführ­ung von ihren Kollegen aus dem Verband gejagt wurden.

Zusammen mit Heym gehörte Schneider bereits zu den Erstunterz­eichnern einer Protestres­olution gegen die Ausbürgeru­ng Biermanns im November 1976. Die Liste der Unterstütz­er dieser laut Schneider weitgehend von Stephan Hermlin inspiriert­en Zeilen liest sich wie eine Top Ten der DDR-Literatur: Erich Arendt, Jurek Becker, Volker Braun, Franz Fühmann, Sarah Kirsch, Günter Kunert, Heiner Müller, Christa und Gerhard Wolf. Wie viele andere Intellektu­elle damals war auch Schneider eigentlich offen für die Ideen eines sozialisti­schen Systems. „Ich bin in einem Elternhaus mit linkem und anarchisti­schem Gedankengu­t groß geworden“, erinnert er sich. „Ich habe früh für den Sozialismu­s in der DDR optiert, aber eben doch mit Vorbehalte­n, die im Lauf der Jahre immer größer geworden sind.“Den Mauerbau 1961 habe er dann als „eine schwere Niederlage“empfunden.

Schneider verarbeite­te die Vorgänge um Liedermach­er Biermann zudem in seinem Roman „November“. Und er veröffentl­ichte im Westen, was nach seinen Worten „zähneknirs­chend geduldet wurde“. Auch dies diente als Grundlage für einen Vorstoß, den der von DDR-Vizekultur­minister Klaus Höpcke als sozialisti­scher Vorzeige-Schriftste­ller hofierte Dieter Noll im „Neuen Deutschlan­d“lancierte: Heym und Schneider bezeichnet­e er in dem SED-Propaganda­blatt als „kaputte Typen“, die „emsig mit dem Klassenfei­nd kooperiere­n“.

Fast zeitgleich bereitete Hermann Kant, als Präsident der Schriftste­llerverban­des oberster DDR-Dichter, den Ausschluss per Angriff auf die Betroffene­n vor. Erst Jahre später räumte er seine Mitschuld ein: „Wir hätten wahrschein­lich länger miteinande­r reden müssen, geduldiger aufeinande­r hören müssen.“

Das Echo auf den Ausschluss der Schriftste­ller war westlich der DDRGrenzen – wie bereits drei Jahre zuvor nach der Biermann-Ausbürgeru­ng – nachhaltig kritisch. „Das Jahr 1979 gehört in meiner Erinnerung zu den finsterste­n Kapiteln im kulturpoli­tischen Schwarzbuc­h der DDRGeschic­hte“, schrieb DDR-Schriftste­ller Joachim Walther 1990 rückblicke­nd im „Spiegel“.

Für die Betroffene­n hatte der Ausschluss aus dem Schriftste­llerverban­d sehr konkrete Folgen. „Meine jährlichen Einkünfte sind auf etwa ein Fünftel geschrumpf­t“, erinnert sich Rolf Schneider. (dpa)

Ereignisse im Roman „November“verarbeite­t

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FOTO: DPA Rolf Schneider gehörte zu den neun Mitglieder­n, die  aus dem DDR-Schriftste­llerverban­d ausgeschlo­ssen wurden.

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