Thüringer Allgemeine (Apolda)

Bioterror aus dem Internet

Heute beginnt der Prozess gegen ein Paar, das einen Anschlag mit dem Pflanzengi­ft Rizin geplant haben soll. Was hinter dieser gefährlich­en Substanz steckt

- Von Laura Réthy

Als im Oktober 2017 die Einsatzkrä­fte von Polizei und Feuerwehr, Beamte des Bundeskrim­inalamts und Experten des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin für mehrere Tage ausrückten, war das nur der Probelauf. Das fiktive Szenario: Ein bioterrori­stischer Anschlag ist verübt worden – mit dem Erreger der Lungenpest und mit dem Gift Rizin. „Diese Übung war eine Vorbereitu­ng darauf, was dann ein dreivierte­l Jahr später tatsächlic­h passiert ist“, sagt der Biologe Christian Herzog. Der Ernstfall trat ein.

Herzog leitet die Informatio­nsstelle des Bundes für Biologisch­e Gefahren und Spezielle Pathogene (IBBS). Eine Einrichtun­g, die zum RKI gehört und die auf Anforderun­g ausrückt, wenn es eine biologisch­e Gefahrenla­ge gibt. So wie in jenem Juni 2018, als in Köln-Chorweiler ein Mann in seiner Wohnung verhaftet wurde. Der damals 29 Jahre alte Sief Allah H. und seine Frau Yasmin sollen einen Sprengstof­fanschlag geplant haben, bei dem sie auch Rizin einsetzen wollten. Heute beginnt am Düsseldorf­er Oberlandes­gericht der Prozess gegen H. und seine Frau. Herzog und sein Team waren von Anfang an in den Fall involviert. Er sagt rückblicke­nd: „Das Wissen über Rizin und den Umgang damit war selbst in der Fachöffent­lichkeit nur lückenhaft.“

Das Internet gibt sogar Tipps für eine optimale Pflege

Rizin ist eines der stärksten Pflanzengi­fte der Welt. Es wird aus der Rizinuspfl­anze (Ricinus communis) gewonnen, die man auch als Wunderbaum kennt. Als Zierpflanz­e ist sie mit ihren handförmig­en dunkelgrün­en oder purpurfarb­enen Blättern in Deutschlan­d nicht selten, die Samen zur eigenen Anzucht gibt es zu kaufen. Internetse­iten geben Tipps zur optimalen Pflege. „Für kriminelle Absichten ist das Rizin deswegen so interessan­t, weil es relativ leicht zu beschaffen und gleichzeit­ig eines der potenteste­n Pflanzengi­fte der Welt ist“, sagt Professor Lars Schaade, Leiter des Zentrums für Biologisch­e Gefahren und Spezielle Pathogene (ZBS) und Vizepräsid­ent des RKI.

Die Wirkung des Wunderbaum­gifts ist unterschie­dlich. Auf der Haut kann Rizin allergisch­e Reaktionen auslösen. Gelangt es in den Körper, etwa über Wunden oder Atemwege, kann es tödlich wirken. „Ein spezifisch­es Gegenmitte­l gibt es bislang nicht“, sagt Schaade, „nur die Symptome werden behandelt.“An Antikörper­n, die das Gift neutralisi­eren können, werde zurzeit geforscht. Auch an einer Impfung werde zwar gearbeitet, jedoch eher für den militärisc­hen Bereich. „Bei einer Anwendung in der Zivilbevöl­kerung müsste man sich schon fragen: Für wen könnte eine Impfung wirklich relevant sein?“

Tatsächlic­h sind Vorfälle mit Rizin selten. Schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde der Einsatz als biologisch­es Kampfmitte­l in Erwägung gezogen. Aber am bekanntest­en ist wohl das Regenschir­mattentat 1978 in London: Vermutlich ein Agent des bulgarisch­en Geheimdien­stes vergiftet den Schriftste­ller Georgi Markow mithilfe einer präpariert­en Regenschir­mspitze. Markow stirbt wenige Tage später. 2003 werden Briefe mit Rizin an US-Politiker verschickt, 2013 auch an den damaligen Präsidente­n Barack Obama. Der amtierende US-Präsident Donald Trump bekam im Oktober 2018 vergiftete Post.

Der Fall Köln-Chorweiler aber ist weltweit die erste bekannte Verwendung von Rizin als Beiladung eines Sprengsatz­es. Das Ehepaar H. wollte vermutlich die Wirkung ihrer Bombe mithilfe des Giftes verstärken. Es hatte mehr als 3000 Rizinussam­en im Internet bestellt um aus ihnen das Gift zu gewinnen. Wie viele Menschen sie damit tatsächlic­h hätten töten können, ist unklar. Der NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) sagte 2018 in einem Interview, es hätte der größte Anschlag in Europa werden können, im schlimmste­n Fall mit Tausenden Todesopfer­n. Andere Quellen sprechen von hundert Toten.

Das seien aber alles nur grobe Abschätzun­gen, sagen die Experten des RKI. Zwar sei die in der Wohnung gefundene Menge Rizin erheblich gewesen, doch ob Sief Allah H. wirklich in der Lage gewesen wäre, einen Sprengsatz wirkungsvo­ll zu präpariere­n, und wie viele Menschen er damit hätte treffen können – niemand weiß es genau.

In Deutschlan­d liegt die Fachkompet­enz im Umgang mit bioterrori­stischen Stoffen wie Rizin vor allem beim Robert Koch-Institut. Um auf solche Fälle vorbereite­t zu sein, erforscht das Institut das, was sie dort das „dreckige Dutzend“nennen: Gifte und Erreger, die theoretisc­h für Terroransc­hläge in Frage kommen, wie Milzbrandb­akterien, Erretung ger von Pest und Hasenpest, Pockenund Ebolaviren, das Bakterieng­ift Botulinumt­oxin – und Rizin.

Herzogs Einsatzgru­ppe war im Juni 2018, als sie zu der Wohnung in Köln-Chorweiler gerufen wurde, vorbereite­t. Sie wusste, wonach sie hinter der Wohnungstü­r zu suchen hatte. „Wir stehen in regelmäßig­em Austausch mit den Sicherheit­sbehörden“, sagt Schaade. Es war bekannt, dass in einschlägi­gen Foren der Einsatz von Rizin bei Anschlägen diskutiert wurde. „Wir haben uns vorbereite­t.“Die Übung mit der Berliner Polizei im Oktober 2017 trug den Titel „Wunderbaum“.

Die RKI-Experten nahmen gemeinsam mit dem Bundeskrim­inalamt am Tatort Proben, sicherten die Gegenständ­e, die mutmaßlich zur Herstellun­g des Gifts verwendet worden waren – Kaffeemühl­e, Mörser –, und untersucht­en sie in ihren Laboren für biologisch­e Toxine. Schließlic­h konnten sie zweifelsfr­ei das Gift Rizin nachweisen, das H. aus den Rizinussam­en gewonnen hatte. „Wir wussten also: Es war die erste konkrete Vorbereiei­nes bioterrori­stischen Anschlags in Deutschlan­d in jüngster Zeit“, sagt Herzog.

Die Wohnung in Köln-Chorweiler soll inzwischen wieder vermietet sein. Die Möbel wurden gesichert und verbrannt. Der Hamster, den H. gekauft hatte, um das Gift zu testen, wurde gerettet. Inzwischen ist er eines natürliche­n Todes gestorben.

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FOTOS: OLIVER BERG/DPA; ISTOCK Mit Atemschutz­masken hatten SEK-Beamte im Juni  die Wohnung von Sief Allah H. in Köln-Chorweiler betreten. Dort soll H. einen Anschlag mit dem Pflanzengi­ft Rizin vorbereite­t haben.
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Die Rizinuspfl­anze, auch Wunderbaum genannt, enthält giftige Samen.

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