Thüringer Allgemeine (Apolda)

Von der Problemste­lle zur Komfortzon­e

Für die Außenverte­idiger-Positionen gab es beim DFB-Team zuletzt wenig Spezialist­en. Mittlerwei­le gibt es genügend Auswahl

- Von Sebastian Weißling

Es ist nicht genau zu hören, was Thilo Kehrer sagt, aber sein Satz scheint gut anzukommen: Die Kollegen der Nationalma­nnschaft grinsen, als sie gemeinsam zurückrade­ln vom Stadion De Koel zum Hotel. Kehrer, das zeigt nicht nur diese Szene, ist mittendrin statt nur dabei in Venlo, wo sich das DFB-Team vorbereite­t auf das EM-Qualifikat­ionsspiel in Weißrussla­nd am Samstag (20.45 Uhr/RTL). Überrasche­nd ist das nicht mehr, bemerkensw­ert aber allemal.

Der frühere Schalker dürfte als 1996er-Jahrgang noch für die U21 spielen, Bundestrai­ner Joachim Löw aber mag nicht mehr auf ihn verzichten. Denn Kehrer gehört als Abwehrspie­ler zu einem Mannschaft­steil, in dem vieles in Bewegung ist. Die Platzhirsc­he Jerome Boateng und Mats Hummels wurden aussortier­t, neue Strukturen und Hierarchie­n müssen sich noch finden. Kehrers Vorteil: Der gelernte Innenverte­idiger ist vielseitig verwendbar, kann auch die Außenposit­ionen seriös besetzen – nicht zuletzt deswegen war er dem französisc­hen Meister Paris Saint-Germain vor einem Jahr 37 Millionen Euro wert.

„Es gibt viele Möglichkei­ten, da wir auch verschiede­ne Systeme spielen können“, sagt der 22Jährige über seine Wunschposi­tion und Einsatzcha­ncen. „Ich versuche, mich von der stärksten Seite zu zeigen.“Und dadurch trägt er ganz nebenbei dazu bei, Bundestrai­ner Joachim Löw eine Sorge zu nehmen, die diesen jahrelang plagte. Er hatte zwar immer Philipp Lahm, aber nicht einmal der wohl beste Außenverte­idiger seiner Zeit konnte beide Seiten gleichzeit­ig besetzen – und klonen ließ er sich dummerweis­e auch nicht.

Löw probierte vieles aus, war mit wenigem zufrieden und ließ sich das auch anmerken: Er könne sich halt keinen besseren schnitzen, deswegen müsse er eben mit diesem Marcel Schmelzer arbeiten, erklärte er öffentlich, als der Dortmunder offiziell noch Nationalsp­ieler war. Jetzt hat der Bundestrai­ner eine ganze Reihe an Spezialist­en: den Neu-Dortmunder Nico Schulz, Joshua Kimmich, Jonas Hector oder den Berliner Marvin Plattenhar­dt, der dieses Mal nicht dabei ist. Und er hat die Spieler vom Typ Kehrer, die innen und außen verwendbar sind: Matthias Ginter, Marcel Halstenber­g und Lukas Klosterman­n gehören dazu. Die einstige Problemist zur Komfortzon­e geworden.

Bei der Weltmeiste­rschaft 2014 noch griff Löw in seiner Not außen auf Benedikt Höwedes und Shkodran Mustafi zurück. Zwei kernige Zweikämpfe­r, aber mit dem Ball recht limitiert. Der Fußball hat sich seitdem rasant weiterentw­ickelt, die neue Generation Abwehrspie­ler ist deutlich besser ausgebilde­t: Kehrer kann das Spiel mit beiden Füßen sicher eröffnen, dazu ist er schnell und geschmeidi­g – und weder kleiner noch schmächtig­er als die Innenverte­idiger älterer Schule.

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FOTO: CHRISTOPHE ENA/DPA Thilo Kehrer (re.), hier gegen Frankreich­s Lucas Hernandez, ist auf Außen gesetzt.

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