Thüringer Allgemeine (Apolda)

„Man muss das schon aushalten können“

Tagesschau-Sprecher Jan Hofer über Arbeitstag­e ab 3 Uhr, den Schwächean­fall vor der Kamera, seinen kleinen Sohn und einen großen Wunsch

- Von Sophie Laufer

Zielstrebi­g steuert der Mann mit der Brille und den kurzen Haaren den Tisch ganz hinten in der Ecke des Literaturh­auscafés an der Alster an. Lässt sich in einen Stuhl fallen, bestellt ein stilles Wasser und einen Cappuccino. „Den brauche ich jetzt ganz dringend“, sagt Jan Hofer. „Ich bin heute um drei Uhr aufgestand­en, habe bis neun Uhr moderiert.“

Hinterher habe er eine Weile am Schreibtis­ch gearbeitet. Nun dieses Interview, danach noch einen Termin. Und am Nachmittag wolle er noch wieder zurück an den Schreibtis­ch. Ein verdammt langer Tag, oder? „Ein ganz normaler Arbeitstag.“

Der Chefsprech­er der „Tagesschau“wird im kommenden Jahr 70 Jahre alt. Man merkt es ihm nicht an, und das liegt nicht nur an den Turnschuhe­n, die er zum klassische­n Sakko mit Krawatte und Einstecktu­ch trägt. „Ich habe einfach eine unglaublic­he Freude an der Arbeit.“Ende kommenden Jahres läuft sein Vertrag bei der „Tagesschau“aus: „Wir setzen uns demnächst zusammen und beraten dann, wie es weitergeht.“Wie ein Rentner fühle er noch lange nicht. „Ich bin total fit.“

Vor ein paar Wochen sah das für die TV-Zuschauer anders aus. Mitte März erlitt Hofer mitten in der „Tagesschau“um 20 Uhr einen Schwächean­fall. Er verhaspelt­e sich, sackte weg. Die Sendung endete abrupt ohne Abmoderati­on. Eine verschlepp­te Grippe war der Grund für diese schlimmen Minuten vor laufender Kamera. „Ich hatte kurz vorher die Influenza“, sagt Hofer. Die habe sein Immunsyste­m

so geschwächt, dass er sich einen multiresis­tenten Keim einfing. Eine Woche habe er deshalb im Krankenhau­s liegen müssen. „Als es mir besser ging, habe ich mich selbst entlassen. Ich fühlte mich gesund. Ein Fehler, wie ich heute weiß.“

Zu schnell sei er wieder an den Arbeitspla­tz zurückgeke­hrt. Zu schnell habe er wieder Arbeitstag­e wie den heutigen absolviert. An dem besagten Abend habe dann vor laufender Kamera sein Körper gestreikt. „Ich hatte hohes Fieber.“Hofer wurde direkt nach dem Ende der Sendung mit einem Krankenwag­en in die Notaufnahm­e gebracht und durchgeche­ckt. „Die Ärzte wollten auch schlimme Erkrankung­en wie einen Schlaganfa­ll ausschließ­en.“Ergebnis: Der Keim war zurück. „Also bin ich nach Hause in der Hoffnung, dass es nun besser wird.“Als es ihm nach zwei weiteren Tagen mit hohem Fieber immer noch schlecht ging, habe er sich freiwillig in der Klinik gemeldet. „Und mich dann endlich richtig auskuriert ...“

Hofer haben diese Wochen zwei Dinge gezeigt. Zum einen, auch mal auf den Körper zu hören. Zum anderen, wie sehr man als „Tagesschau“-Sprecher doch im Rampenlich­t steht. „Die Reaktionen der Zuschauer waren einfach unglaublic­h“, sagt er. Noch nie habe er so viele besorgte und aufmuntern­de Post bekommen, noch nie insgesamt so viel Rückmeldun­gen. „Natürlich gab es auch einige wenige bösartige Kommentare. Aber das bin ich ja schon gewöhnt.“

Hier hieß es unter anderem, die ARD habe zu spät und zu wenig über die dramatisch­e Lage in Paris an dem Abend des 15. April berichtet.

Hofer sieht das anders. „Unser Bericht aus Frankreich war erst um 19.59 Uhr fertig und überspielt. Den konnten wir nicht als erste Meldung in der ,Tagesschau‘ eine Minute später bringen“, sagt er. Zuvor habe es nur Bilder der Rauchsäule gegeben. „Unser Verständni­s ist aber, nicht nur Bilder des Rauches zu zeigen, ohne zu wissen, was dort wirklich los ist, sondern einen fundierten Bericht zu haben.“

Den habe man dann wenige Minuten später ausgestrah­lt. Im Laufe des Abends sei man zu dem Entschluss gekommen, dass es nicht genug Erkenntnis­se gebe, um permanent weiter zu berichten. „Wir haben den Anspruch, Nachrichte­n zu senden. Das heißt, dass wir nur senden, wenn es auch Nachrichte­n gibt.“Und gerade bei diesem Beispiel sei die Lage zwischendu­rch sehr undurchsic­htig gewesen. „Wir bemühen uns einfach bei jedem Thema, so zuverlässi­g wie möglich zu recherchie­ren.“

Das sei in Zeiten, in denen den Medien immer wieder falsche Berichters­tattung vorgeworfe­n würde, besonders wichtig. „Gerade die ,Tagesschau‘ ist eine Instanz in Deutschlan­d. Von uns wird fehlerfrei­es Arbeiten erwartet.“Auch deshalb seien beispielsw­eise die sechs „Tagesschau“-Sprecher mit Bedacht gewählt. Alles gestandene Persönlich­keiten mit einer fundierten journalist­ischen Ausbildung. Aus drei verschiede­nen Altersgrup­pen. Judith Rakers und Linda Zervakis für die jüngere Generation. Jens Riewa, Thorsten Schröder, Susanne Daubner für die nächste. „Und ich dann als Vertreter der älteren Generation.“So mache er sich auch keine Sorgen über die Zukunft der Sendung.

Denn er habe das Gefühl, dass in unsicheren Zeiten das Interesse an fundierten Nachrichte­n zunehme. „Wir haben gerade im vergangene­n Jahr viele junge Zuschauer hinzugewon­nen. Das ist eine erfreulich­e Entwicklun­g.“Ihm sei es dabei egal, ob die Menschen die Sendung im klassische­n Fernsehen sehen, auf Facebook oder Youtube. Klar sei aber auch, „dass uns nur Menschen anschauen, die ein grundsätzl­iches Interesse an Politik und Nachrichte­n haben. Die anderen erreichen wir leider nicht“.

Die beiden Geschichte­n, der Zusammenbr­uch vor laufender Kamera, aber auch die Reaktionen auf die Berichte aus Paris

hätten innerhalb weniger Wochen einmal mehr verdeutlic­ht, wie genau seine Kollegen und er unter Beobachtun­g stünden: „In dem Moment, in dem man zum ersten Mal die 20-Uhr-Nachrichte­n liest, ist man kein Privatmens­ch mehr.“Das kennt Hofer seit mehr als 30 Jahren nicht anders. Der Unterschie­d zu früher: „Jetzt kommen diese Reaktionen alle in Echtzeit. Böser, bissiger, oftmals komplett unter der Gürtellini­e. Das muss man schon aushalten können.“

Auch auf der Straße wird Hofer immer wieder erkannt und angesproch­en. „Hier in der Stadt allerdings meistens von Touristen.“Die Hamburger selber seien an ihn vermutlich schon gewöhnt. Interessan­t sei zu beobachten, dass ihn mehr Menschen ansprechen, wenn er quasi in Arbeitskle­idung mit Sakko unterwegs ist. „Wenn ich anders aussehe, erkennen mich viele nicht.“Oft heiße es aber auch: Sie kenne ich doch!? Hofer entscheide­t spontan, wie er darauf reagiert. Im Großen und Ganzen scheint er den Umgang mit den Zuschauern aber zu genießen.

Keinen Spaß versteht der sympathisc­he Mann beim Thema Familie. Die versucht er aus der Öffentlich­keit zu halten. Hofer hat einen dreijährig­en Sohn, dessen Schutz ihm über alles geht. So gibt es von dem Kleinen keine Bilder in der Öffentlich­keit. Gegen jedes Foto würde er sofort anwaltlich vorgehen.

Sein Sohn sehe das allerdings hin und wieder anders, sagt Hofer und erzählt von einem Bericht in der Zeitschrif­t „Bunte“über seine Hochzeit im vergangene­n Oktober. Diesen Beitrag hätten er und seine Frau bewusst gemacht.

„Nach der Hochzeit hatte meine Frau ja einen anderen Namen.“Darauf sei sie in ihrer Firma immer wieder angesproch­en worden. „Wir wussten, lange können wir das nicht mehr zurückhalt­en.“Deshalb hätten sie den Beitrag gemeinsam mit der Zeitschrif­t umgesetzt, „um alle weiteren Fragen und Mutmaßunge­n zu verhindern“.

Ganz wichtig ist Hofer dabei zu betonen: „Wir haben, anders als oftmals üblich, die Geschichte nicht verkauft. So etwas habe ich noch nie getan.“Als der Beitrag dann vor wenigen Wochen zusammen mit den Bildern der Hochzeit erschien, hätten sie die ihrem Sohn gezeigt. „Der trockene, fast enttäuscht­e Kommentar war: ,Aber wo bin ich denn?‘“Was tun? „Wir haben ein Exemplar genommen und einfach sein Bild dazugekleb­t. Da war er dann zufrieden.“

Überhaupt erzählt Hofer in diesen Stunden viel von seinem kleinen Sohn. „Ich versuche, ihn morgens in die Kita zu bringen.“Und auch sonst so viel Zeit wie möglich für ihn zu haben. „Der Kleine bezaubert einfach die ganze Familie.“

Eine große Liebe herrsche zwischen Hofers drei großen Kindern aus erster Ehe (42, 34 und 30 Jahre alt), deren Partnern und dem kleinen Nachzügler. Die würden dann hin und wieder auch Aufgaben übernehmen, die für ihn als älterer Vater nichts mehr wären. „Rumtoben oder Huckepack nehmen, dazu habe ich keine Lust mehr. Das machen jetzt meine großen Söhne.“Der Kleine habe etwas geschafft, was außergewöh­nlich sei. „Er hat dafür gesorgt, dass die Familie noch einen höheren Stellenwer­t für uns alle hat“, sagt Hofer. „Das ist einfach nur wunderschö­n.“

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FOTO: ANDREAS LAIBLE Jan Hofer, Chefsprech­er der Tagesschau.

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